Durch Tschechien, Polen, Slowakei und Ukraine nach Rumänien

Nach Ausbruch der Corona-Pandemie hatte ich mich 2020 und 2021 mit unserem Camper Leoni nicht mehr aus Deutschland herausgetraut. Doch inzwischen bin ich zweifach geimpft und bereit, das Risiko plötzlich geschlossener Grenzen und unverhofft auftretender Quarantäne-Situationen einzugehen. Als Zielgebiet habe ich das mir in weiten Teilen unbekannte Osteuropa und den mir ebenso wenig vertrauten Balkan ausgesucht. Dort gibt es zwar besonders viele Grenzen zu überqueren, die zum Teil auch aus der EU herausführen, aber eben auch viele Chancen, Neues zu entdecken. Hildegard dagegen hat nach Panamericana und Australien mit dem Camper-Leben abgeschlossen, so dass ich mich alleine aufmachen muss.

3.8.2021: Mein erstes Zielgebiet ist das westböhmische Bäderdreieck. Unmittelbar nach Überschreiten der Grenze zur tschechischen Republik fallen mir viele Schilder auf, die mit mir unverständlichen Worten und Darstellungen auf das Thema Straßenmaut aufmerksam machen. Doch ich hatte mich vorher auf der Website des ADAC kundig gemacht. Die Mautstrecken betreffen, soweit ich das verstanden habe, nur die Autobahnen in Richtung Prag, und ich will im ehemals deutsch besiedelten Sudetenland im Norden bleiben und dann nach Schlesien weiterreisen. Folglich fühle ich mich nicht betroffen.

Franzensbad/ Františkovy Lázně

Bei Franzensbad/ Františkovy Lázně schlage ich mein erstes Lager auf und bin völlig überrascht über den geradezu mondänen Charakter dieses vergleichsweise doch eher kleinen Ortes. Weitläufige Parkanlagen schließen einen kompakten Ortskern ein, der perfekt restauriert und wie aus einem Guss wirkt. Gut gefällt mir auch, dass es überall Pilsener Urquell vom Fass gibt. Weniger gut dagegen der Wechselkurs, den ich am ATM bekomme. An der Rezeption des Campingplatzes gibt man mir volle 10% mehr. Dieses Prinzip gilt offenbar generell, auch in den noch folgenden Ländern meiner Reise. Also: ATMs wo möglich vermeiden, lieber Cash tauschen.

Auf dem Marktplatz von Eger/Cheb

Das knapp 10 km entfernte Eger/Cheb besuche ich mit dem Fahrrad. Wobei ich mir dort gleich einen neuen Sattel kaufen muss, denn der alte ist aufgerissen, und die hervortretende klebrige Masse geht eine innige Verbindung mit meiner Hose ein, was ich als sehr unschön bewerte. Eger hat einen sehr weitläufigen und eindrucksvollen Marktplatz. Entlang der Hauptstraße ist die jahrhundertealte Geschichte Egers in drei Sprachen in Metallplatten am Boden aufgezeichnet, in tschechischer, deutscher und englischer Sprache. Dort heißt es u.a. „1946 Zwangsaussiedlung der deutschen Stadtbewohner beendet“.

Ansonsten finde ich auch in den folgenden Tagen sehr wenige Hinweise auf die deutsche Vergangenheit. Die sogenannte Entgermanisierung wurde offenbar sehr systematisch und erfolgreich betrieben. Praktisch nirgendwo findet man mehr vertraut klingende Namen. Auch von der Straßenbeschilderung verstehe ich nichts, rein gar nichts. Eine solche Situation hatten wir im krassen Gegensatz dazu beispielsweise auf unserer zweijährigen Panamericana-Reise nie. Da konnte man sich auch mit nur bruchstückhaften Kenntnissen von Latein, französisch, spanisch, portugiesisch oder englisch immer zusammenreimen, um was es gerade ging. Hier klappt das nicht. Der Zugang zum slawischen Sprachraum fehlt mir vollständig.

Nur ganz selten tauchen deutsche Namen auf, z.B. bei Autohäusern. Manfred Schöner oder Richard Müller fallen mir auf. Aber das sind krasse Ausnahmen, möglicherweise auch erst neu Zugewanderte. In der Regel jedenfalls gibt es keinen Hinweis auf die Vergangenheit. Gewisse Ausnahmen stellen Burgen und Schlösser dar. Die heißen schon mal Hrad Himlstejn, Hrad Grabstejn o.ä., so dass der deutsche Ursprung bei genauem Hinsehen erkennbar wird.

Treffen mit Kaiser Franz Josef von Österreich und König Edward VII von Großbritannien in Marienbad/ Mariánské Lázně
Im Thermalbäderbereich von Karlsbad/Karlovy Vary

Über das mich weniger beeindruckende Marienbad/ Mariánské Lázně fahre ich weiter nach Karlsbad/Karlovy Vary. Dies ist der mit Abstand größte, wichtigste und auch mondänste der drei Badeorte im westböhmischen Bäderdreieck. Ein Hotel nach dem anderen, unterbrochen von Thermalbädern, Restaurants und Kolonaden, folgt dem gewundenen Verlauf der Teplá, die sich durch ein vergleichsweise enges Tal schlängelt. Es herrscht reger Betrieb, denn Touristen gibt es mehr als reichlich, deutlich mehr als in Franzens- oder Marienbad.

Rathaus in Reichenberg/Liberec

Nach einem kurzen Stopp zum Mittagessen in Reichenberg/Liberec vertanke ich mein restliches tschechisches Geld, überquere das dicht bewaldete Riesengebirge mit der polnischen Grenze und erreiche somit Schlesien.

Info an der Grenze zur Mautsituation in Polen

Von Schreiberhau/Szklarska Poręba aus, wo es auch von Touristen nur so wimmelt, mache ich, ausgestattet mit Wanderschuhen, Wanderstock und Rucksack, auf Rübezahls Spuren eine ausgiebige Wandertour durch den dichten Forst. Das anschließende wohlverdiente Essen nehme ich in der Lukasmühle ein, die neben dem entsprechenden polnischen auch noch ihren ursprünglichen deutschen Namen trägt. Der Weg zur Terrasse wird mit einer alten Inschrift auf der Wand gewiesen: „Durchgang nur für meine Gäste“. Wie ich in den nächsten Tagen feststelle, sind solche Relikte aus deutscher Vergangenheit auch in Schlesien die krasse Ausnahme.

Die Lukasmühle in Schreiberhau/Szklarska Poręba

Mir ist bekannt, dass manche Autobahnstrecken in Polen mautpflichtig sind. Darauf wurde auch schon mit einem Schild an der Grenze hingewiesen. Betroffen ist zum Beispiel die von mir vorgesehene Strecke von Breslau über Kattowitz nach Krakau. Von Zeltplatznachbarn werde ich nun eingeweiht, wie das Thema Maut in Polen im Einzelnen geregelt ist. Ich erfahre, dass für Fahrzeuge > 3,5 t, und das trifft auf Leoni zu, eine viaTOLL-Box einzusetzen ist, die man an Tankstellen mit entsprechender Kennzeichnung besorgen kann. Das Verfahren ist offenbar völlig analog zu dem mir bekannten mit der GO-Box in Österreich. So ein Ding muss ich mir also besorgen.

Doch bevor es dazu kommt, geht es erst einmal darum, meine Vorräte in einem Supermarkt aufzufüllen. Parkplätze sind rar in Schreiberhau/ Szklarska Poręba, und vor dem örtlichen Lidl-Supermarkt ist unübersehbar eine Parkuhr mit großen Hinweisschildern aufgebaut. Schade nur, dass ich nichts davon verstehen kann. Ich bin ratlos und werfe versuchsweise ein paar 2-Zloty-Münzen ein, was der Automat aber nicht akzeptiert. Ein junges Pärchen kommt mir zu Hilfe. Die Lady drückt ohne Geld einzuwerfen der Reihe nach ein paar Knöpfe, und ein Parkschein wird ausgeworfen, für anderthalb Stunden freies Parken. Danach kostet es Geld. Wieviel bleibt zwar rätselhaft, spielt aber im aktuellen Fall keine Rolle. Als Nächstes kommt das Thema Einkaufswagen. Der kann mit verschiedenartigen Münzen freigeschaltet werden, sogar mit einer 1-Euro-Münze. Ich habe aber nur 2-Zloty-Münzen dabei, und genau die nimmt er nicht. Ein älterer Herr wechselt mir freundlicherweise nach einigem Hin und Her einen 10-Zloty-Schein in zwei passende 5-Zloty-Münzen. Und schon kann ich bei Lidl rein. So einfach ist das.

Die viaTOLL-Box

Auf der Weiterreise fahre ich jede Menge Tankstellen an, um die benötigte viaTOLL-Box zu besorgen. Doch das Ergebnis ist jedes Mal dasselbe: Haben wir nicht. Schon etwas entnervt suche ich nach ein paar Tagen in Waldenburg/ Wałbrzych die Tourist Information auf, um dieses Problem zu lösen. Die Dame dort weiß es auch nicht, telefoniert aber lange mit Breslau/ Wrocław und behauptet anschließend, dass ich mir keine Sorgen machen muss, da am Beginn jeder Mautstrecke ein Portal ist, wo ich alles regeln kann. Ich fahre weiter Richtung Breslau, gerate ungewollt auf die dortige Autobahn und werde mit heftig blinkenden Warnungen bombardiert: viaTOLL, viaTOLL, viaTOLL. Ich fahre auch durch eine Sensorbrücke, ahne Böses, verlasse bei der nächsten Möglichkeit die Autobahn und fahre eine BP-Tankstelle an. Nein, eine viaTOLL-Box haben sie auch nicht, aber ca. 6 km entfernt kann man eine solche an einer anderen BP-Tankstelle erwerben. Man programmiert mir sogar den entsprechenden Ort in mein Handy ein.

Also nichts wie hin. Doch das angegebene Ziel entpuppt sich als Autohaus: Volkswagen, Seat, Škoda. OsmAnd verrät mir dann jedoch, dass in der gleichen Straße, nur ein paar hundert Meter entfernt, eine BP-Tankstelle existiert. Das muss sie sein. Doch der direkte Weg dorthin ist durch ein verrücktes Straßengewimmel incl. der besagten Autobahn komplett versperrt. OsmAnd bietet eine ca. 8 km lange Umleitung an, auf der mich zur Feier des Tages in einem Wohngebiet auch noch kräftig verfahre. Irgendwann aber ist besagte BP-Tankstelle in Sicht, doch prompt verpasse ich die geschickt getarnte Einfahrt. Wenden ist auf der vierspurigen Straße nicht möglich. Folge: Ich muss dieselbe 8-km-Umfahrung noch einmal machen. Doch dann bin ich endlich da. Und tatsächlich gibt es drinnen eine viaTOLL-Verkaufsstelle, mit dem schönen Titel „viaTOLL Punkt Dystrybucji“ (s. Foto). Der junge Mann hinter der Theke spricht zum Glück etwas deutsch. Viele Papiere werden ausgefüllt, die ich x-mal unterschreiben muss. Ich lege 240 Zloty auf den Tisch, ungefähr 54 Euro, die Hälfte davon als Pfand für die Box.

Verkaufsstelle für die viaTOLL-Box

Und dann erfahre ich, dass ich mit der Box gar nicht bis Krakau/Kraków fahren kann, sondern nur bis Kattowitz/Katowice. Denn ab da ist eine andere Autobahngesellschaft zuständig. Mit einer neuen Box. Ich bin etwas fassungslos, was der junge Mann grinsend auf Deutsch so kommentiert: „Willkommen in Polen!“

Am gleichen Tag mache ich abends eine interessante Entdeckung. Wenn man den neu gelernten Begriff „viaTOLL Punkt Dystrybucji“ ins Internet eingibt, findet man problemlos die über ganz Polen verstreuten Ausgabestellen, und zwar mit genauer Adresse und GPS-Koordinaten. Vorher war ich an dem Problem krachend gescheitert. Etwas spät wird somit klar, dass zielloses Anfahren irgendwelcher Tankstellen keinerlei Sinn macht. Die Trefferquote dabei ist nahezu Null.

Die Suche nach Spuren der deutschen Vergangenheit in Schlesien gestaltet sich – wie schon angedeutet – ähnlich wie in Böhmen schwierig. Ortsnamen auf Schildern beispielsweise geben keinerlei Hinweise. In den Städten selbst sieht es meistens ähnlich aus. Besonders schwierig ist naturgemäß die Vergangenheit aus den alten Kirchen mit den vielen deutsch beschrifteten Grabplatten zu entfernen. Doch auch das gelingt in vielen Fällen. Beispiele dafür sind die Kirche in Waldenburg/Wałbrzych oder auch die ehrwürdige Elisabeth-Kirche in Breslau/Wrocław. Rundherum sind die Wände mit Tafeln und Plaketten geschmückt. Alle nach 1945 entstanden, alle polnisch beschriftet, gerne mit dem polnischen Papst Johannes Paul II als Thema. So gut wie keine deutschen Grabplatten sind mehr zu sehen. Nicht einmal die Steine sprechen noch deutsch.

Eine Ausnahme bei den von mir besuchten Orten stellt Hirschberg/Jelenia Góra dar. Hier findet man über die ganze Stadt verteilt Hinweisschilder zur Historie der Stadt, und zwar in vier Sprachen, darunter immer auch deutsch. Sogar die Inschriften der alten deutschen Grabtafeln sind gut lesbar auf Tafeln dargestellt und ins Polnische, Tschechische und Englische übersetzt. So geht es also auch.

Die alten deutschen Namen sind nicht mehr zu erkennen.
Rathaus in Hirschberg/Jelenia Góra
Viersprachige Erklärungstafel auf dem Marktplatz in Hirschberg/Jelenia Góra

Die Altstadtkerne der von mir besuchten schlesischen Städte Hirschberg, Waldenburg und Breslau sind perfekt restauriert und strahlen den Glanz vergangener Zeiten aus. Doch ein paar Straßen weiter außerhalb sind die Zeichen des Verfalls oft unübersehbar.

Perfekt restauriertes Rathaus in Breslau/Wrocław
Zeichen des Verfalls in Waldenburg/Wałbrzych

Ganz aufschlussreich auf Reisen ist in der Regel auch ein Besuch der Friedhöfe. Denjenigen in Waldenburg/Wałbrzych sehe ich mir ausführlich an. Er ist von den Ausmaßen her geradezu riesig. Hier haben viele tausend Menschen ihre letzte Ruhestätte gefunden, fast alle mit polnischen Namen auf den Grabsteinen. Deutsche Namen finden sich nur noch ganz, ganz vereinzelt, und wenn, dann häufig verändert von Schulz zu Szulc oder von Eisenstein zu Ajsenstejn. Man muss sich klar machen, dass 1945 inzwischen mehr als 75 Jahre her ist. Hier auf dem Friedhof wird dieser Umstand sehr klar.

Auf der Fahrt nach Kattowitz taucht wie angekündigt kurz hinter Breslau eine Mautstelle auf. Ich fahre ohne anzuhalten hindurch und stelle fest, dass meine viaTOLL-Box offenbar funktioniert. Sie piept zweimal, was sich in der Folge bei der Durchfahrt unter den vielen Sensorbrücken regelmäßig wiederholt und mich jedes Mal mit tiefer Freude erfüllt. Denn dieses glücklich machende Erfolgserlebnis hat mich wie berichtet ja viel Kraft gekostet. In Kattowitz fahre ich die mir jetzt exakt mit GPS-Daten bekannte Servicestelle an und gebe meine viaTOLL-Box nach nicht einmal 24 Stunden wieder ab. Alles funktioniert perfekt. Ich bekomme meine 120 Zloty Pfand zurück, mehr aber auch nicht. Damit ist das Kapitel Maut in Polen hoffentlich endgültig abgeschlossen. Denn auf dem Weg zu meinen nächsten Zielen Auschwitz und Krakau habe ich vor, Mautstrecken konsequent zu vermeiden. Die bisherigen Erfahrungen reichen mir völlig aus.

Auschwitz, Eingang zum Stammlager

In Auschwitz finde ich einen Stellplatz unmittelbar gegenüber dem Stammlager Auschwitz I. Zuerst muss ich mir hier nach langem Anstehen einen kostenlosen Entry Pass besorgen. Mit dem Shuttle Bus fahre ich anschließend zum etwa 2 km entfernten Vernichtungslager Birkenau oder Auschwitz II, wo meine gerade erworbene Zugangsberechtigung erstaunlicherweise gar nicht kontrolliert wird.

In Birkenau wurden 1943/1944 insgesamt 1,5 Millionen Menschen umgebracht, meistens Juden. Eine unfassbar gigantische Zahl. Unter hinter jedem dieser Fälle steht ein individuelles Einzelschicksal. Erschüttert und fassungslos stehe ich vor den Resten der beiden unterirdischen Gaskammern und Krematorien, die vor der Flucht noch von der SS gesprengt worden sind. Verwundert bin ich darüber, dass nur sehr wenige Erklärungstafeln aufgestellt sind. Dieses Thema kommt aus meiner Sicht deutlich zu kurz.

Ich denke, dass jede deutsche Schulklasse verpflichtet werden sollte, diesen Ort so ungeheurer deutscher Verbrechen zu besuchen. Leider ist das Wissen darüber vor allem in der jüngeren Bevölkerung komplett unterentwickelt. Was aus meiner Sicht zum großen Teil an den Kultusministerien und ihren Lehrplänen liegt.

Im Vernichtungslager Birkenau
Eine der beiden gesprengten Gaskammern in Birkenau

Für das Stammlager Auschwitz I habe ich einen Time Slot um 17.45 h. Die Zugangskontrolle wird im Gegensatz zu Birkenau erstaunlich aufwändig durchgeführt, praktisch analog wie auf einem Flughafen. Und natürlich ist auch hier die Atmosphäre gerade für einen deutschen Besucher sehr bedrückend. Aber die Hintergrundinformation über das, was sich hier an Schrecklichem abgespielt hat, ist aus meiner Sicht auf den Schautafeln zu wenig umfangreich dargestellt.

Ich vergleiche die Situation mit dem KZ Buchenwald oder auch mit Yad Vashem in Jerusalem, wo mit deutschen Original-Dokumenten gerade für deutschsprachige Besucher extrem viel Licht in die Zusammenhänge und Verantwortlichkeiten gebracht wird. Wo auch klar wird, dass nicht nur die SS schwerste Schuld auf sich geladen hat, sondern auch die Wehrmacht, was ja immer gern bestritten wird.

Interessant und aufschlussreich finde ich, dass in Auschwitz bei den gegebenen Erklärungen immer von den Nazis als Tätern die Rede ist, nicht von den Deutschen. Dieses die deutschen Besucher schonende Phänomen begegnet mir auch anderswo, zum Beispiel später im ukrainischen Lviv/Lemberg.

Kraków/Krakau ist wahrscheinlich das absolute Top-Touristen-Ziel in Polen. Der Weg von Auschwitz dorthin ist nicht sonderlich weit, und schon bald bin ich vor Ort. Meine erste schweißtreibende Aktion in der wunderschönen Altstadt führt mich den Rathausturm hinauf. Von oben habe ich eine perfekte Aussicht auf die Altstadt mit dem Burgberg Wawel im Hintergrund. Und nach einem Besuch der altehrwürdigen Marienkirche am Markt mit dem berühmten von Veit Stoß geschnitzten Altar zieht es mich genau dorthin. Ausgiebig sehe ich mich in dem eindrucksvollen, über die Jahrhunderte entstandenen Gesamt-Ensemble des Königsschlosses auf dem Wawel, der historischen Residenz der polnischen Könige, um und laufe dann weiter in das alte jüdische Viertel Kazimierz. Etliche orthodoxe Juden sind auf der Straße zu sehen, ein für Mitteleuropa schon lange nicht mehr alltäglicher Anblick. Leider ist der Eingang zum jüdischen Friedhof verschlossen, denn diesen hätte ich mir sehr gerne angeschaut. Dafür habe ich dann aber die Möglichkeit, nach dem Mittagessen in einem offensichtlich jüdischen Straßenrestaurant die Kupa-Synagoge direkt nebenan zu besichtigen.

Krakau/Kraków, Markt mit Marienkirche
Altar von Veit Stoß in der Marienkirche
Auf dem Krakauer Wawel
Orthodoxe Juden im Krakauer Stadtteil Kazimierz
In der Krakauer Kupa-Synagoge

Stellplatznachbarn erzählen mir abends davon, dass sie sich kürzlich wegen Corona in Italien vor der Einreise elektronisch anmelden mussten. Daraufhin checke ich dieses Thema auf der Website des Auswärtigen Amtes für „meine“ Länder und stelle fest, dass dies zwar nicht für Polen, aber auch für mein nächstes Zielland Slowakei gilt.

Zweimal versuche ich mit meiner Personalausweis-Nummer auf der angegebenen slowakischen Website die elektronische Anmeldung durchzuführen und scheitere jeweils. Die daraufhin anzurufende Telefonnummer in Bratislava liefert nur mir unverständliche slowakische Anweisungen. Dann fällt mir ein, dass ich ja anstelle der Personalausweis-Nummer mal die des Reisepasses verwenden könnte. Und siehe da: Es funktioniert auf Anhieb. Zwei mögliche Gründe sind vorstellbar. Entweder sind generell Reisepass-Nummern zu verwenden. Oder meine Reisepass-Daten sind noch im slowakischen System gespeichert und zwei verschiedene Nummern für ein und dieselbe Person nicht vorgesehen. Hintergrund der zweiten Version: Vor ein paar Wochen bin ich mit Hildegard auf einer Donauschiffstour unter anderem auch in die Slowakei eingereist. Dabei wurden die Pässe der Passagiere sowie Unterlagen zum Corona-Impfstatus eingesammelt und möglicherweise oder sogar wahrscheinlich auch meine Passdaten festgehalten. Wie auch immer.

Die elektronische Corona-Anmeldung in der Slowakei ist erfolgreich.

Ich checke auf der Seite des Auswärtigen Amtes nun auch meine anderen Reiseländer und stelle fest, dass ich mich auch in Tschechien hätte anmelden müssen, was ich nicht getan habe. Zum Glück wurde ich nicht erwischt. Eine neue Erkenntnis für mich ist auch, dass die Ukraine wegen Corona zwar keine elektronische Anmeldung, aber seit Kurzem eine Krankenversicherung verlangt, die in der Ukraine „registriert“ ist, was immer das genau bedeuten mag. Und das ist meine Krankenversicherung – wie viele andere auch – wohl eher nicht, was in den nächsten Tagen etliche Telefonate und elektronischen Informationsaustausch zur Folge hat.

Trotz all dieser Problemchen klappt auch schon mal etwas auf Anhieb. Positiv bei all meinen Internet-Aktivitäten in Krakau ist beispielsweise, dass die Bezahlung der Straßenmaut für die Slowakei auf Anhieb gelingt. Dabei hilft, dass Wohnmobile und Camper unabhängig vom zulässigen Gesamtgewicht bemautet werden.

Bestätigung der Bezahlung der Straßenmaut für die Slowakei

Nachdem ich noch in Krakau die letzten Zloty in Diesel umgesetzt habe, bin ich auf der Fahrt nach Süden in Richtung slowakische Grenze plötzlich, unverhofft und ungewollt für ein paar Kilometer auf der nach meiner Kenntnis mautpflichtigen Autobahn A4. Und auch auf dem weiteren Weg durchfahre ich auf der autobahnähnlich ausgebauten Straße Richtung Zakopane immer wieder die beliebten Sensorbrücken. Etwas später kommen auch elektronische Anzeigen zum neuen System e-Toll sowie zu viaTOLL in Sicht, die ich aber wie gehabt nicht interpretieren kann. Ziemlich verunsichert frage ich in einer Tankstelle nach. Nein, die Straße nach Zakopane ist nicht mautpflichtig, wird mir mitgeteilt und später in der Slowakei unabhängig davon auch noch einmal bestätigt. Doch das ungute Gefühl bei mir will nicht weichen, dass ich bei meiner Rückkehr zu Hause Post mit Bußgeldern finden könnte.

Campingplatz am Fuß der Hohen Tatra. Links Leoni

Mehrere Tage stehe ich auf einem Campingplatz bei Tatranská Lomnica mit herrlichem Blick auf die Hohe Tatra. Zu einer ausgiebigen Bergwanderung fahre ich mit der Seilbahn hoch, um dann zurückzulaufen. Vor dem Kauf des Seilbahntickets muss ich zunächst mein Corona-Zertifikat vorweisen. Dann geht es 900 m höher. Das Wetter ist herrlich, der Weg über dicke Steine holprig und anstrengend.

In der Hohen Tatra unterwegs

Meine alten Wanderschuhe zeigten schon in der Vergangenheit erste Auflösungserscheinungen. Im Riesengebirge vor einer Woche ging es noch weitgehend ohne Probleme. Aber jetzt wird es zunehmend kritisch. Irgendwann mitten im Berg löst sich die linke Sohle, und zwar von vorne. Das gleiche Malheur hatte ich bereits zweimal im Leben. Das erste Mal am Auyan Tepui in Venezuela. Dabei habe ich unser gesamtes Verbandsmaterial verbraucht, denn alle ca. 15 – 20 Minuten musste eine neue Bandage um den Schuh herum angelegt werden. Und dann ein zweites Mal auf den Tag genau vor 14 Jahren oben auf dem Kilimandjaro. Da war ich schlauer und hatte Panzerband dabei. Unter anderem ganz oben am Gipfel habe ich zur Freude der Umstehenden neue Panzerband-Bandagen um beide Schuhe gemacht, wodurch das Laufen übrigens so gut wie gar nicht eingeschränkt wurde.

Oben im Berg lösen sich meine Wanderschuhe auf.

Nur jetzt in der Hohen Tatra habe ich nichts dergleichen dabei. Nur das eine Taschentuch, mit dem ich die linke Sohle notdürftig am Schuh befestige. Kurz darauf löst sich auch die Sohle des rechtes Schuhs, zur Abwechslung dieses Mal von hinten. Jetzt wird es echt schwierig. Bald hängt die rechte Sohle nur noch ganz vorne mit etwa einem Zentimeter am Schuh fest. Das Gehen ist jetzt eine wahre Freude. Mit dem linken Bein muss ich gehen wie ein Storch im Salat und als Kontrast den rechten Fuß über den Boden schleifen lassen. Und alle paar Meter muss das Taschentuch neu justiert werden. Ich frage mich, wie ich so je wieder den Berg herunterkommen soll.

Der Zufall rettet mich. Unverhofft taucht nach gefühlt endlos langer Zeit die Bergstation Hrebienok einer mit Seilen gezogenen Kabinenbahn auf, die ich gar nicht auf dem Radarschirm habe. Ich wollte ja den Berg hinunterlaufen. Jetzt kaufe ich also ein Ticket und nehme die Kabinenbahn. Von der Talstation aus bringt mich schließlich ein Taxi zurück zu Leoni. Und nach einem mit Stativ aufgenommenen Beweis-Foto wandern die Schuhe in den Müll. Sie werden definitiv nicht mehr gebraucht.

Das letzte Foto der kaputten Schuhe

In der folgenden Nacht zieht ein ungewöhnlich heftiges Gewitter mit Hagel durch. Und am Morgen ist es nicht nur feucht, sondern auch kalt. Ich fahre zur Zipser Burg, slowakisch Spišský hrad, einer der größten Burganlagen Mitteleuropas. Ganz in der Nähe liegt die gegen Ende des Mittelalters sehr wohlhabend gewordene Stadt Levoča, die noch vor hundert Jahren einen sehr hohen Anteil deutscher Bevölkerung hatte und auch unter dem Namen Leutschau bekannt war. Sowohl die Stadt Levoča mit ihrem eindrucksvollen Stadtkern und der weitgehend intakten Stadtmauer als auch die Zipser Burg gehören heute zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Unmittelbar an der mächtigen Stadtmauer finde ich einen passenden Übernachtungsplatz und sehe mich in der Altstadt mit dem imposanten Rathaus und der danebenstehenden St. Jakobskirche um. Das touristische Highlight der Stadt ist wohl der aus Lindenholz geschnitzte spätgotische Altar in eben dieser Kirche, der auf Paul von Leutschau zurückgeht, einen Zeitgenossen von Veit Stoß und Tilman Riemenschneider. Mit mehr als 16 m Höhe gilt er als der größte der Welt. Leider herrscht in der Kirche Fotografier-Verbot, so dass ich kein Foto vorweisen kann.

Zipser Burg/Spišský hrad
Stellplatz an der Stadtmauer in Levoča/Leutschau
St. Jakobskirche und Rathaus in Levoča/Leutschau

Am nächsten Tag folgt dann der Schritt, der von mir von Anfang an als der spannendste der ganzen Reise angesehen wurde. Der Grenzübertritt in die Ukraine. Das größte Problem sehe ich bei meinem aktuellen Kenntnisstand in der schon erwähnten neuen Regel, dass man eine Krankenversicherung vorweisen muss, die in der Ukraine registriert ist. Ich hatte mir auf die Schnelle noch von Krakau aus von meiner Krankenversicherung per Mail und auf Deutsch ein Bestätigungsschreiben schicken lassen. Darin wird die Übernahme sämtlicher Kosten auch auf dem Gebiet der Ukraine zugesichert. Die eigentlich ausschließlich relevante Frage der Registrierung der Krankenversicherung in der Ukraine wird dagegen nicht angesprochen. Wahrscheinlich gibt es diese „Registrierung“ ganz einfach nicht, was immer sie auch genau bedeuten mag. Aus früheren Jahren habe ich als Backup noch zwei weitere Kostenübernahme-Schreiben im Original in englischer und spanischer Sprache dabei. Mal sehen, ob das reicht.

Bevor es an der Grenze bei Uschgorod zum Thema Krankenversicherung kommt, wird erst einmal mein Impfzertifikat verlangt. Und zwar gleich zweimal kurz hintereinander. Beide Male reicht das elektronische Zertifikat auf dem Handy nicht. Es muss etwas Schriftliches her. Ich zeige den gelben Impfpass vor. Das genügt, obwohl die Kontrolleure ganz sicher von den gezeigten Daten meiner beiden Impfungen nichts wirklich realisiert haben. Am nächsten Schalter folgt das gefürchtete Thema Krankenversicherung. Ich lege meine drei Schreiben vor, betone mehrfach das Wort Ukraine in der deutschen Version und zeige intensiv darauf, ziehe alle verkaufstechnischen Register und bin doch ziemlich erstaunt, als ich nach einiger Zeit alle vorgelegten Dokumente wieder in die Hand gedrückt bekomme und tatsächlich weitergeschickt werde. Wirklich verstanden hat auch hier vom Inhalt der in drei Fremdsprachen abgefassten Dokumente ganz sicher niemand etwas. Als kurz darauf auch Leoni gecheckt und für einreisefähig erklärt ist, habe ich es geschafft. Nach einer Stunde und 20 Minuten bin ich in der Ukraine, vom Personal am Zoll freundlich mit „Welcome to the Ukraine“ entlassen. Irgendwie hat mir das Ganze Spaß gemacht. Es war ein kleines Abenteuer ähnlich wie die vielen Grenzübertritte seinerzeit auf der Panamericana. Mit dem Thema Mautgebühr musste ich mich dieses Mal übrigens nicht befassen. Denn so etwas gibt es in der Ukraine nicht.

Die Einreise in die Ukraine ist geschafft.

Am Ortseingang von Uschgorod hole ich mir an einem ATM einheimische Hrywnja und suche anschließend einen Übernachtungsplatz. Ein von mir angesprochener Taxifahrer lotst mich mit seinem Auto vorausfahrend zu einer Pizzeria, auf deren Parkplatz ich tatsächlich über Nacht stehen darf. Die Uhr muss ich eine Stunde vorstellen.

An die kyrillische Schrift muss man sich erst einmal gewöhnen (I love Uschgorod).
Die längste Lindenallee Europas
Holzkirche im transkarpatischen Freiluftmuseum von Uschgorod
Detaillierte Erklärung, leider nur für Eingeweihte

Uschgorod liegt an einem kleinen Fluss und verfügt mit der 1928 gepflanzten und mit 2,2 km längsten Lindenallee Europas über eine wirklich prächtige Uferpromenade. Die Atmosphäre in der Stadt empfinde ich als ganz angenehm. Es gibt eine ganze Reihe ansehnlicher Bauwerke und schöner Straßenzüge. In der Nähe der Burg stolpere ich am späten Nachmittag buchstäblich über ein transkarpatisches Freiluftmuseum, ein echtes Kleinod mit wunderschönen Holzgebäuden aus dem Gebiet der nahe gelegenen ukrainischen Waldkarpaten. Es macht ausgesprochen Spaß, hindurch zu streunen. Der Eintritt ist mit 25 Hrywnja, nicht einmal einem Euro, sehr überschaubar. Überhaupt stelle ich fest, dass die Preise für praktisch alles in der Ukraine unglaublich niedrig liegen.

Landschaft auf dem Weg nach Lviv/Lemberg
Eine von vielen Kirchen am Straßenrand
Häufig sind Wegweiser zum Glück auch mit lateinischen Buchstaben versehen.

Mein Hauptziel in der Ukraine ist die Stadt Lviv bzw. Lemberg. Die Straßen dorthin sind deutlich besser als erwartet, und ich komme gut voran. Außer geflickten und unebenen Abschnitten, zum Teil mit tiefen Spurrinnen, gibt es auch viele nagelneue Passagen, oft drei- oder vierspurig ausgebaut. Auch die vierspurigen Strecken werden erstaunlicherweise regelmäßig von Zebrastreifen gequert, bei denen die Höchstgeschwindigkeit immer auf 50 km/h heruntergesetzt ist. Aber gefühlt hält sich außer mir niemand daran, übrigens auch bei sonstigen Beschränkungen der Geschwindigkeit nicht, die offenbar allenfalls als eher unverbindliche Empfehlungen gewertet werden. Doch die Polizei ist durchaus präsent und blitzt mit handgehaltenen Radargeräten. Auch ich werde einmal angemessen, gelange aber in jeder Beziehung ohne Probleme und ungeschoren bis nach Lviv. Für drei Tage komme ich mit Leoni im Hof des sehr zentral gelegenen Hotels Dolynskiy unter, muss dafür aber ein Zimmer nehmen, das ich bis auf die Nutzung von Dusche und WLAN jedoch ungenutzt lasse. Ich schlafe lieber in Leoni. Dabei ist das Zimmer durchaus ok und mit knapp 30 Euro pro Nacht auch gut bezahlbar.

Im Zentrum von Lviv/Lemberg. Links das Rathaus
Manche Beine sind völlig, …
… andere nur teilweise zu sehen.

Lviv/Lemberg ist eine sehr attraktive Stadt voll mit pulsierendem Leben, durchaus vergleichbar mit Brünn, Bratislava, Budapest oder auch Krakau. Das alte K&K-Flair ist überall deutlich zu spüren. Es macht wirklich Spaß, durch die Stadt zu schlendern. In der Tourist Information lasse ich mich bzgl. der Highlights beraten. Und das sind ziemlich viele. Einen Besichtigungspunkt legt mir die junge Dame besonders ans Herz: Die Besteigung des Rathausturms. „If you were not on the city hall clock tower, you were not in Lviv.“ Natürlich folge ich dem Rat, nehme die unendlich vielen Treppenstufen nach oben in Kauf und erfreue mich dann an dem wirklich grandiosen Ausblick über die Altstadt und deren Umgebung.

Ich sehe mir die römisch-katholische Kathedrale im Zentrum an, die griechisch-katholische St. Georgs-Kathedrale etwas weiter außerhalb, die armenische Kathedrale sowie viele Paläste und Museen, von denen ich das Ancient Lviv Museum hervorheben möchte mit seiner eindrucksvollen Darstellung der Geschichte Lvivs und der gesamten Region. Noch nie habe ich so viel über den Mongolensturm im 13. Jahrhundert und die nachfolgende Zeit der Goldenen Horde gelernt. Das westliche Europa hatte nach der Schlacht von Liegnitz 1241 weitgehend Ruhe vor den Mongolen, das östliche dagegen nicht.

Das Rathaus mit dem Glockenturm, dem besten Aussichtspunkt über die Stadt
Blick vom Glockenturm

Auch Lviv hat ein Freiluftmuseum, das denselben Namen Skansen trägt wie das skandinavische Vorbild. Auch hier sind Kirchen, Gehöfte, Windmühlen, etc. aus der gesamten West-Ukraine zusammengetragen und ausgestellt. Vom Skansen aus laufe ich zum ebenfalls etwas außerhalb der Stadt gelegenen berühmten Lychakiv-Friedhof. Auch dies ist ein Highlight, das man den Reiseführern zufolge nicht auslassen darf. Vor allem auf den älteren Grabmälern aus der K&K-Zeit findet man noch viele deutsche Namen, interessanterweise auch schon damals oft slawisiert. So wurde aus Kirschner Kirschnerov, aus Hornung Hornungov und aus Neumann Neumannov.

Auf dem Lychakiv-Friedhof

Der Sonntagmorgen ist eine gute Zeit, um aus Lviv abzureisen. Die Straßen sind noch menschenleer, und die Fahrt mitten durch die Stadt ist völlig entspannt. Meine Reise geht jetzt nach Süden in die ukrainischen Waldkarpaten und dann weiter nach Rumänien. Das Mittagessen nehme ich in einem LKW-Stopp am Straßenrand ein. Es gibt nur eine ukrainische Speisekarte in kyrillischer Schrift, die mich völlig überfordert. Doch die Kellnerin weiß Rat. Sie zückt ihr Handy, auf dem eine App installiert ist, die Texte ins Englische übersetzen und anzeigen kann. Schritt für Schritt gehen wir die Speisekarte durch. Salat? Ja, cabbage. Suppe? Ja, Soljanka. Hauptspeise? Ja, Hühnerbrustfilet. Beilage? Ja, Kartoffel. Dazu bestelle ich noch eine Cola und zum Abschluss einen Kaffee. Alles ist ganz ausgezeichnet. Und die Kosten betragen ganze 212 Hrywnia, nicht einmal 7 Euro.

In den ukrainischen Waldkarpaten
Dorfkirche
Auf der Fahrt nach Verchovina (der zweite Ort auf dem Schild)

In Verchovina, schon mitten in den Karpaten, finde ich einen Stellplatz auf einer Wiese direkt am Fluss. Hier bin ich völlig alleine und zahle knapp 5 Euro pro Nacht. Und am Abend kommt die nette Stellplatz-Chefin vorbei und serviert mir auf einem Porzellan-Teller ein leckeres Stück Kuchen.

Die Maut für die Straßenbenutzung in Rumänien habe ich schon in Lviv elektronisch bezahlt und auch die entsprechende Bestätigung wie vorgesehen inzwischen von außen gut sichtbar an der Windschutzscheibe befestigt, so dass ich dem nächsten Reiseland einigermaßen entspannt entgegensehen kann.

Bestätigung, dass die rumänische Straßen-Maut bezahlt ist

Von den insgesamt nur drei Grenzübergängen nach Rumänien wähle ich den nächstgelegenen bei der rumänischen Stadt Sighetu Marmației. In zur Abwechslung mal strömendem Regen nähere ich mich der im Navi einprogrammierten Grenzbrücke über die Theiß. Nichts, aber auch gar nichts weist auf die nur wenige hundert Meter entfernte Grenze hin. Kein Straßenschild, nichts. Jedenfalls nichts, was ich interpretieren könnte. Ich folge blind den Anweisungen des Navis, holpere über löchrige, schlecht instandgesetzte Straßen und stehe plötzlich und unvermittelt vor der Grenzstation. Es ist so, als wollte man die Grenze geheim halten.

Die Kontrolle ist ungewöhnlich scharf. Alle Schränke und Schubladen in Leoni werden durchsucht. Sogar unter der Matratze wird nachgeschaut. Mehrfach kommt die Frage „Pistol?“. Besondere Aufmerksamkeit erzielt ein altes Bundeswehr-Messer, das ich seit vielen Jahrzehnten auf Reisen mitführe und das noch nie irgendjemanden interessiert hat. Eine große Beratung wird abgehalten, der Chef wird geholt, das Messer von allen Seiten begutachtet und mir dann gnädigerweise gelassen.

Grenzbrücke über die Theiß

Weiter geht es über die Grenzbrücke auf die andere Seite der Theiß. Die Brücke sieht aus, als ob sie kurz vor dem Zusammenbrechen stünde. Aber zum Glück komme ich heil hinüber.

Die Kontrolle auf der rumänischen Seite ist deutlich weniger intensiv als die auf der ukrainischen. Meine Körpertemperatur wird gemessen, ein Spürhund um Leoni herumgeführt und die Kabinentür kurz geöffnet. Das war´s. Nach der von mir verneinten Frage „You have nothing illegal?“ und Rückgabe der Dokumente werde ich in mein nächstes Reiseland entlassen. Eine Corona-bedingte Einreiseanmeldung war für Rumänien übrigens nicht nötig.

Fortsetzung folgt.

 

3 Comments

  1. Innocenz said:

    Hi Franz, interessante Sonntagmorgen Lektüre, vielen Dank für die ausführlichen Schilderungen: wecken Lust, an deinen Abenteurer teilzunehmen …
    Weiterhin viel Glück und spannende Begegnung wünsche ich dir.

    29. August 2021
    Reply
  2. Bernd said:

    Hallo Franz,
    toll dass du jetzt ins Camperland Rumänien fährst. Wäre auch mein Ziel gewesen, doch Elsbeth meinte es gäbe dort braune Bären. Bin mal gespannt, ob du welche zu sehen bekommst.
    Gruß und gute Reise.
    Bernd

    31. August 2021
    Reply
  3. Andreas Nobis said:

    … wieder ein toller Reisebericht mit vielen Hinweisen für die eigene Reiseplanung! Dir noch eine interessante und sichere Reise! Wir sind gespannt auf den nächsten Bericht!
    Sabine und Andreas

    5. September 2021
    Reply

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