Mit Leoni in Irland unterwegs

13.7. – 10.8.2023

Der Ankunftshafen Larne in Nord-Irland liegt nur wenige Kilometer nördlich von Belfast. Beim Verlassen der Fähre werde ich durch ein Hinweisschild in mehreren Sprachen daran erinnert, dass auch in Nord-Irland links gefahren wird.

Das politisch geteilte Irland
Erinnerung an das Linksfahren bei der Ankunft im Hafen von Larne

Der Tag ist schon leicht fortgeschritten, ich kenne die Gepflogenheiten in Nord-Irland noch nicht und beschließe daher sicherheitshalber, einen im Reiseführer empfohlenen Campingplatz in der Nähe des Giants Causeways anzufahren. Der ist aber komplett ausgebucht. Man schickt mich mit einer etwas vagen Wegbeschreibung zu einem anderen Campingplatz ein paar Kilometer entfernt. Der ist aber für mich unauffindbar, und ich lande auf einem abgelegenen Bauernhof. Mit David, dem Sohn des Farmers, komme ich zwanglos ins Gespräch. Er interessiert sich sehr für die mit Leoni durchgeführten Reisen und gesteht mir auf Anfrage problemlos einen kostenlosen Stellplatz für die Nacht auf der Farm zu.

Das Gebiet an der Küste um den weltbekannten Giants Causeway herum ist vergleichsweise dicht besiedelt, und passende freie Stellplätze sind nur schwer zu finden. Ich quartiere mich daher am nächsten Tag für zwei Nächte bei Maddybenny Camping ein, eigentlich eine Farm mit großem Reitstall und einer als Campingplatz genutzten Wiese nebenan. Bei meiner Ankunft finde ich nur eine Telefonnummer vor, die mit einer Null beginnt. Ich vermute ein vergleichbares System wie in Deutschland, wähle +44 für Nord-Irland, lasse die 0 weg, gebe den Rest der angegebenen Nummer ein, und schon bin ich mit der Farmersfrau verbunden.

Mein erstes touristisches Ziel in Nord-Irland ist der bereits erwähnte Giants Causeway. Auf dem Weg dorthin und überhaupt bei allen meinen Fahrten in Nord-Irland fallen die extrem vielen britischen Flaggen am Straßenrand auf. Der Union Jack ist wirklich praktisch allgegenwärtig. Die nordirischen Protestanten demonstrieren damit ihre Verbundenheit mit dem United Kingdom. Nordirische Katholiken kommen eher selten oder nie auf die Idee, die britische Flagge zu hissen. Denn der Nordirland-Konflikt gehört noch lange nicht der Vergangenheit an. Das wird später in Derry/Londonderry besonders deutlich.

Erklärung der Zusammensetzung des Union Jack aus den Flaggen der drei Heiligen Patrick, Andrew und George

Nachvollziehbarerweise wurde der Giants Causeway von der UNESCO zum Weltnaturerbe erklärt. Über 40.000 fünf- oder sechseckige senkrecht stehende Basaltsäulen, die auf vor etwa 60 Millionen Jahren erfolgten Lavaeruptionen beruhen, locken bereits seit mehreren Jahrhunderten in Scharen die Besucher an. Ein einsames Naturerlebnis ist hier nicht zu haben, aber es lässt sich ein wirklich einmaliges Stück Küstenlandschaft bestaunen. Together with several hundred of your best friends, wie der Lonely Planet an anderer Stelle einmal treffend formulierte.

Der Name Giants Causeway geht übrigens auf eine alte Sage zurück. Ein Riese soll, um einen Widersacher zu bekämpfen, einen Übergang nach Schottland gebaut und später, als ihm die Sache mit seinem schottischen Gegenüber zu brenzlich wurde, wieder herausgerissen haben.

Allein ist man am Giants Causeway wohl nie.
Die charakteristische, immer wiederkehrende Form der Basaltsäulen
Am Giants Causeway
Giants Causeway von oben. Perspektive von der Spitze des grünen Hügels auf dem vorigen Foto

Die Parkplatzsuche mit Camper ist eher schwierig. Als praktisch einzige Möglichkeit bietet sich der Platz unmittelbar vor dem altehrwürdigen Causeway Hotel an. Kosten: Stramme 10 Pfund, umgerechnet etwa 11,70 Euro. An allen anderen Stellen werde ich konsequent abgewiesen. Als ich später zum Mittagessen im Causeway Hotel einkehre, fragt man mich nach dem Parkticket, und die dafür investierten 10 Pfund werden anstandslos von der Rechnung abgezogen.

Die zwei Stunden, die ich am Giants Causeway zubringe, bin ich leichtsinnigerweise ohne Anorak unterwegs, was man eigentlich wie in Schottland auch in Irland nie tun sollte. Denn auch hier ändert sich das Wetter genau wie dort in der Regel mehrmals am Tag. Dieses Mal habe ich Glück, doch schon am frühen Nachmittag bei meinem Besuch in der Old Bushmills Distillery regnet es dann in Strömen.

Die Old Bushmills Distillery stellt seit 1608 legal Whiskey her und ist damit die älteste Whiskey-Destille der Welt. In Irland wird Whiskey übrigens mit e geschrieben, in Schottland dagegen ohne, also schlicht Whisky. In Schottland hatte ich ja schon an einer Führung bei Glenfiddich teilgenommen, bekam dort aber wegen Wartungsarbeiten die Produktion leider nicht zu sehen. Dies ist bei Old Bushmills anders. Ich bin beeindruckt von den gewaltigen Rohrsystemen und Riesen-Bottichen. Überall blubbert es. Außerdem ist es ziemlich warm. Eine Alchimisten-Küche ist jedenfalls nichts dagegen. Leider herrscht striktes Fotografierverbot, das auch durchgesetzt wird.

Die älteste Whiskey-Destille der Welt
Auf dem Betriebsgelände von Old Bushmills

Nur etwa 25 km von Bushmills entfernt liegt eine weitere besuchenswerte Besonderheit, die Dark Hedges. Hier gibt es kein Fotografierverbot, was dazu führt, dass der Kameraauslöser fast glüht. Bei den Dark Hedges handelt es sich um eine außergewöhnliche, geradezu mystische Buchenallee aus ursprünglich mehr als 150 im 18. Jahrhundert gepflanzten Buchen. Durch die Serie Game of Thrones haben die Dark Hedges als King´s Road weltweite Bekanntheit erlangt.

Eindrucksvolle Dark Hedges
Fotos ohne Menschen sind auch hier praktisch unmöglich.

Für meinen Besuch in Derry/Londonderry hatte ich als Stellplatz-Tipp den Parkplatz der Foyle Arena genannt bekommen. Ein sehr guter Tipp. Stadtnah, im Grünen gelegen und in der Nacht völlig ruhig. Die Stadt heißt übrigens eigentlich Doire und ist in der Republik Irland auf der anderen Seite der nahen Grenze auch so ausgeschildert. Doire heißt übersetzt Eichenhain oder Eichenwald. Der ursprüngliche Name war den Engländern aber wie in vielen, vielen anderen Fällen in Irland zu schwierig, und sie machten daraus Derry. Das reichte wiederum den protestantischen Siedlern irgendwann nicht mehr. Sie änderten den Namen im 17. Jahrhundert in Londonderry.

Seit etwa 50 Jahren wird der Name Londonderry fast ausschließlich von den im Laufe der letzten Jahrhunderte eingewanderten britischen Protestanten und der Name Derry fast genauso ausschließlich von den meist irischstämmigen Katholiken verwendet. Die Medien wollten neutral erscheinen, und so setzte sich der Name Derry/Londonderry durch. Gesprochen Derry-Stroke-Londonderry. Manche sprechen daher auch von Stroke City. Mir erscheint das Ganze völlig verrückt.

Die geschwungene Peace Bridge verbindet seit 2011 die Stadtteile auf beiden Seiten des Foyle für Fußgänger und Radfahrer
Auf der Stadtmauer von Derry/Londonderry

Über die Peace Bridge laufe ich auf die andere Seite des Flusses in die komplett von einer intakten 1,5 km langen Stadtmauer umgebene Altstadt. Schon von der Stadtmauer aus lassen sich die Bildwände und Plakate der protestantischen und katholischen Seite erkennen. Bei meinem ausgedehnten Rundgang durch die verschiedenen Stadtteile werde ich dann immer wieder von Regenschauern überrascht und mangels Unterstellmöglichkeit in einem Fall richtig gut durchnässt.

Stellungnahmen …
… der protestantischen Seite

Vor allem der Aufenthalt in der katholischen Bogside unterhalb der Stadtmauern ist bedrückend. Katholiken durften in der Vergangenheit nicht in der Stadt wohnen und siedelten daher außerhalb. In der Bogside ereignete sich am 30. Januar 1972 der berüchtigte Bloody Sunday, als britische Soldaten das Feuer auf friedliche Demonstranten eröffneten und 14 von ihnen töteten. Man stolpert in der Bogside unentwegt über Hinweise auf den seit Jahrhunderten schwelenden ungelösten Konflikt.

Auf Hauswänden und Plakaten wird an die 10 Hungerstreik-Toten von 1981 erinnert und die volle Souveränität für alle 32 irischen Countys gefordert. 26 davon liegen in der Republik und 6 im britischen Nord-Irland. Das Museum Free Derry konfrontiert die Besucher mit unzähligen Belegen des an den in der Regel katholischen Iren begangenen Unrechts. Wie vorhin schon angesprochen, ist der Konflikt alles andere als bewältigt. Immerhin haben aber die Gewalttätigkeiten aufgehört.

In der Bogside wird Stormont abgelehnt und Souveränität gefordert. Stormont ist ein Stadtteil von Belfast und Sitz des nordirischen Parlaments.
Ein inzwischen weltweit bekannter Satz: You are now entering Free Derry.
Die 10 Hungerstreik-Toten von 1981
Denkmal zur Erinnerung an die Hungerstreiker

Vor der Grenze zur Republik Irland vertanke ich mein letztes britisches Geld, denn dahinter beginnt Euro-Land. Von der Grenze selbst bemerke ich dann nichts. Wirklich nichts. Es ist irgendwie schon erstaunlich, denn immerhin passiere ich ja gerade eine Außengrenze der EU. Es gibt kein Hinweisschild, keinen Kontrollposten, es sind keinerlei Offizielle in Sicht, und die Leute fahren weiterhin unerschütterlich auf der falschen Seite der Straße. Lediglich die Geschwindigkeitsbeschränkungen sind jetzt in km/h angegeben.

Nur wenige Kilometer hinter der Grenze liegt das zur Zeit Karls des Großen erbaute Steinfort Grianan of Aileach. Gut hundert Jahre nach seiner Erbauung eroberten die Wikinger das Fort gleich zweimal kurz hintereinander, und 1101 zerstörten die Truppen des Königs von Munster es dann endgültig. In den 1870er Jahren wurden die 5 m hohen und 4 m dicken Mauern weitgehend originalgetreu wieder aufgebaut.

Erklärungstafel vor dem Steinfort Grianan of Aileach
Eingang zum Steinfort Grianan of Aileach

Auf dem Weg zum Malin Head mache ich in Carndonagh Pause und entsorge im Recycling Center mein auf Orkney demoliertes Fahrrad. Die hoch über dem Ort thronende Kirche wurde im Oktober 1945 eingeweiht, was in dieser schwierigen Zeit in Europa ganz sicher eine absolute Ausnahme war. Die Neutralität der Republik Irland im Zweiten Weltkrieg machte es möglich. In Carndonagh lerne ich auch das vermutlich aus dem 7. Jahrhundert stammende Carndonagh-Kreuz kennen, eins der ältesten Keltenkreuze in Irland.

Im Ortskern von Carndonagh
Das Carndonagh-Kreuz

Am Tagesziel Malin Head, dem nördlichsten Punkt Irlands, angekommen erfreue ich mich am herrlichen Sonnenschein und einer wunderschönen Küstenwanderung. Einen passenden Stellplatz für die Übernachtung mit Blick auf den Atlantik finde ich auch. Die im Meer untergehende Sonne schickt ihre letzten Strahlen netterweise geradewegs durch das Heckfenster mitten in Leonis Kabine.

Am Malin Head
Stellplatz am Malin Head

Auf dem Weg zum benachbarten Fanad Head etwas weiter westlich lerne ich wunderschöne Landschaften kennen, mit Sandstränden, Seen, grünen Wiesen und Äckern. Der Leuchtturm am Fanad Head ist gemäß Eigenwerbung sogar einer der schönsten der Welt. Allein ihn aus der Nähe anzuschauen kostet bereits 5 Euro, ihn zu besteigen, was ich mir verkneife, sogar noch ein paar Euros mehr.

Herrliche Sandstrände
Grüne Landschaften
Fanad Lighthouse

Die nächsten zwei Nächte verbringe ich unmittelbar hinter dem in jedem Reiseführer erwähnten und erneut ein kleines Stück weiter westlich gelegenen Singing Pub. Der natürlich auch für Pub-Gäste vorgesehene große Stellplatz verfügt über alle nötigen Einrichtungen und kostet von mir als angemessen empfundene 15 Euro pro Nacht. Am ersten Abend teste ich erstmals in Irland gemeinsam mit einem Schweizer Ehepaar das irische Kultgetränk Guinness – und entscheide mich, die nächsten Wochen die Biersorte nicht mehr zu wechseln. Guinness schmeckt mir besser als all die Ales, Lagers und Stouts, die ich in den bisher besuchten Pubs so angeboten bekommen habe.

Singing Pub
Mein nächstes Guinness wird gezapft. Die anderen vier sind nicht für mich.
Guinness is good for you.
Recycling von Bierfässern im Singing Pub. Irgendwie passend

Der 165 qkm große Glenveagh National Park erstreckt sich um den malerisch in ein Tal eingebetteten vergleichsweise schmalen, aber mehr als 5 km langen Lough Veagh. Ich entscheide mich zu einer ausgiebigen Wanderung am Seeufer entlang, auf der ich dann auch prompt, fast erwartungsgemäß, einige kurze Regenschauer über mich ergehen lassen muss.

Etwa 3 km vom Visitor Center entfernt liegt am Seeufer das Glenveagh Castle, ein erst um 1870 gebautes, dafür aber mittelalterlichen Vorbildern nachempfundenes, mit allerlei Türmchen versehenes Schloss. Vom Visitor Center aus gibt es einen Shuttlebus-Service zum Castle, was den Naturgenuss durch den Busverkehr und die damit verbundenen Menschenmassen leider erheblich beeinflusst. Erst hinter dem Castle wird es besser. Laufen ist den meisten Leuten zu anstrengend, und der Wanderweg am See entlang leert sich hinter dem Castle zusehends.

Im größten der irischen Nationalparks angekommen
Am hinteren Ende des Sees im Glenveagh National Park
Glenveagh Castle

Der von mir beschriebene Singing Pub ist natürlich nicht die einzige interessante Kneipe im County Donegal. In fast jedem Reiseführer wird zum Beispiel Leos Tavern angepriesen. Und mit Leoni zu Leos Tavern zu fahren hätte ja schon was. Also gesagt, getan. Der namensgebende Leo Brennan ist inzwischen verstorben, sein Sohn führt jetzt das Geschäft, und von diesem bekomme ich problemlos die Erlaubnis, auf dem Parkplatz neben Leos Tavern zu übernachten.

Leoni vor Leos Tavern

Leos Tavern ist die Heimat der bekannten 1970 gegründeten irischen Band Clannad, zunächst bestehend aus drei Kindern von Leo und nach einiger Zeit durch weitere Familienmitglieder ergänzt. Leos Tochter Enya startete später eine weitere, ebenfalls erfolgreiche Solo-Karriere.

Leos Tavern liegt in der Ghaeltacht, dem vergleichsweise kleinen und weiterhin schrumpfenden noch gälisch sprechenden Teil Irlands. Gälisch ist somit auch die Muttersprache der Brennan-Familie.

In dieser nun wirklich traditionsbehafteten Umgebung verbringe ich den Abend, gemütlich auf einem Hocker an der Theke sitzend. Das Guinness fließt in Strömen, zweimal werde ich sogar zu einem weiteren Pint eingeladen. Für mich überraschenderweise beginnt die Band erst kurz vor 22 Uhr zu spielen. Aber dann legt sie los. Die Band ist spitze, es ist einfach toll.

Nach einiger Zeit steht irgendwo im Raum ein älterer Herr von seinem Platz auf, schnappt sich eine Mundharmonika und steigt äußerst gekonnt ins Geschehen ein. Später treten zwei junge Mädchen auf, zunächst mit Querflöte und Geige. Eine der beiden jungen Damen singt danach völlig souverän und abgeklärt ein eindrucksvolles Lied, und zwar a capella.

Das Tollste an diesem tollen Abend ist dann aber die Tanzeinlage eines älteren Paars, die einige Zeit später von den beiden in ähnlicher Weise wiederholt wird. Dazu wird zunächst ein Tisch weggeräumt, um Platz zu schaffen. Der von den beiden vorgeführte, äußerst schnelle Stepptanz verläuft dann völlig synchron. Ich kann kaum verstehen, wie die vier Füße der beiden Tanzenden das hinbekommen, und bin völlig fasziniert. Dahinter muss wahnsinnig viel Training stehen.

Die Band …

… in der Ausgangsformation

Die beiden Mädchen mit ihrer Einlage

Die gezeigte Tanzvorführung …

… ist absolut faszinierend.

Im County Donegal werde ich auch zum ersten Mal mit dem Thema Torfstechen konfrontiert, das in Irland extrem verbreitet ist. Ökologisch gesehen ist dies natürlich das Schlechteste, was man machen kann, da im nassen Torf Unmengen CO2 dauerhaft gespeichert werden. Andererseits hat Torfstechen in Irland eine lange Tradition. Torf war und ist für viele arme Familien das einzige verfügbare bzw. erschwingliche Brennmaterial zum Heizen ihrer Wohnungen.

Hier ist das Torfstechen in vollem Gange …
… und hier bereits eine Zeitlang her.

Das Wetter hat sich inzwischen eingetrübt. Auf dem Weg nach Dungloe, wo ich mir von einem irischen Figaro die Haare schneiden lasse, nieselt es beständig. Der Regen wird immer schlimmer, und in Ardara beschließe ich, nicht weiterzufahren, sondern mitten in der Stadt auf dem Stadtparkplatz zu übernachten. Angeregt dazu werde ich durch etliche bereits dort stehende Womos, die erkennbar Gleiches vorhaben.

In weiterhin strömendem Regen geht es am nächsten Morgen durch wunderschöne Landschaft über einen Pass nach Gleann Cholm Cille oder anglisiert Glencolmcille. Ich bin weiterhin mitten in einem Ghaeltacht-Gebiet, und die Hinweisschilder sind ausschließlich gälisch beschriftet. Das kann durchaus problematisch sein, da im Navigationssystem nur die verballhornten englischen Bezeichnungen vorkommen. Prompt verfahre ich mich einmal kurz. Das Freilichtmuseum Glen Folk Village in Glencolmcille lohnt, wie sich zeigt, den in Kauf genommenen kleinen Umweg absolut. Mehrere restaurierte, traditionell reetgedeckte Häuser mit authentischer Innenausstattung aus längst vergangenen Zeiten vermitteln einen guten Einblick in das entbehrungsreiche Leben der irischen Landbevölkerung.

Bei herrlichstem Regenwetter über einen Pass …
… nach Glencolmcille
Glen Folk Village in Glencolmcille
Im Inneren eines der traditionellen Häuser

In Donegal, der Hauptstadt des gleichnamigen Countys, will ich etwas zu Mittag essen und parke wegen fehlender Parkplätze im Zentrum etwas außerhalb am Straßenrand. Die Suche nach einem mittags geöffneten Restaurant gestaltet sich dann mühsamer als erwartet. Es regnet in Strömen, ich bin nach einiger Zeit leicht genervt, bald auch patschnass, letztlich aber doch erfolgreich.

Der Ort Drumcliffe etwas weiter südlich wirbt mit seiner alten Kirche und dem daneben liegenden Grab von Schriftsteller und Nobelpreisträger William Butler Yeats. Dessen von ihm selbst festgelegter, sehr unterkühlter und berühmt-berüchtigter Grabsteinspruch lautet: Cast a cold Eye on Life, on Death. Horseman, pass by! Übersetzt etwa: Wirf ein kaltes Auge auf das Leben, auf den Tod. Reitersmann, zieh weiter! Kirche, Grab und Grabsteinspruch sehe ich mir natürlich trotz des strömenden Regens an.

Drumcliffe Church St. Columba´s
Grab von Schriftsteller und Nobelpreisträger William Butler Yeats

Ich bin das Fahren im Regen ziemlich leid, muss auch so langsam mal meine Wäsche waschen und steuere deshalb einen passenden Campingplatz mit Waschmaschine und Trockner an. Beim Wäschewaschen stört der Regen nicht so. Platzchefin Cath weist mich am nächsten Morgen in die Geheimnisse der vorhandenen Maschinen ein, und anders als bei den Reisen in den letzten beiden Jahren klappt völlig wider Erwarten alles bestens. Schon um die Mittagszeit bin ich mit der Waschorgie und der anschließenden Einräumprozedur fertig. Pro Maschinenbenutzung werden mir 5 Euro berechnet, macht bei zwei Wasch- und zwei anschließenden Trocknungsgängen 20 Euro.

Waschmaschinen und Trockner auf dem Campingplatz
Abschließendes Zusammenfalten der Hemden

Das Wetter wird zum Glück langsam wieder besser. Beim Besuch des megalithischen Gräberfelds von Carrowmore nieselt es nur noch leicht, allerdings ist das hohe Gras, durch das ich hindurchmuss, patschnass, und meine Schuhe und Füße sind es bald auch. 30 noch identifizierbare Gräber aus der Zeit von 3.700 bis 3.600 v. Chr. liegen auf einer Fläche von mehr als 1 qkm um ein riesiges Zentralgrab herum verteilt. Nach der Ausgrabung 1996 – 98 wurde das Zentralgrab wieder in seine wahrscheinlich ursprüngliche Form gebracht. Im Zentrum lag ein jetzt allerdings freigelegtes Dolmengrab, das ursprünglich von einem 2,5 m hohen Steinberg bedeckt war.

Megalithisches Gräberfeld in Carrowmore. Im Hintergrund das riesige Zentralgrab

Die 1590 durch den englischen Governor der Gegend in Brand gesteckte, aber trotzdem noch recht gut erhaltene Rosserk Abbey kann ich dann bei endlich wieder trockenem Wetter durchstreifen. Der nicht enden wollende Regen ist offenbar glücklicherweise – zumindest vorübergehend – vorbei.

Rosserk Abbey

Downpatrick Head liegt an der Nordküste des Countys Mayo, das mit seinen bizarren Klippen als touristisch noch weitgehend unerschlossener Geheimtipp gehandelt wird. Hier gibt es ein Blowhole mit riesigen Dimensionen, das mindestens 100 m vom Rand der Klippen entfernt ist. Leider bläst es nicht, das Meer ist dafür zu ruhig. Der ein ganzes Stück vor der Steilküste stehende Felsen Dún Briste wurde 1393 bei einem ungeheuren Sturm vom Land getrennt. Die oben verbliebenen Dorfbewohner mussten aufwändig mit Schiffstauen gerettet werden.

Das Hinweisschild an der Kliffkante ist durchaus ernst zu nehmen.
Der Fels Dún Briste

Die Céide Fields Neolithic Site liegt nur wenige Kilometer weiter westlich. Es handelt sich dabei um ein riesiges Areal, das älteste bekannte bewirtschaftete Farmgelände der Welt, mehr als 5.500 Jahre alt. Nur geringe Teile davon sind bereits ausgegraben.

Kurz vor der Céide Fields Neolithic Site
Aufwändig gestaltete Wege führen durch das Ausgrabungsgelände.

In der äußersten nordwestlichen Ecke des County Mayo liegt ein im Rother Wanderführer beschriebenes Wandergebiet. Dieses nehme ich mir jetzt vor. Start ist in Ceathrú Thaidhg. Es gibt sicher auch einen englischen Namen für diesen Ort, aber der taucht in diesem Ghaeltacht-Gebiet nirgendwo auf irgendwelchen Hinweisschildern auf. Es wird eine herrliche Tour bei schönstem Wetter mit tollen Ausblicken auf die wilde Küste. Nach knapp vier Stunden voller neuer Eindrücke bin ich zurück bei Leoni.

Der Weg führt scharf an der Abbruchkante entlang.
Ich bin weit und breit allein unterwegs.
Schafe sind dagegen fast allgegenwärtig.
Überall wird Torf gestochen und anschließend getrocknet.

Als ich auf Achill Island ein Stück weiter südlich ankomme, ist es mit dem schönen Wetter schon wieder vorbei. Ich stehe zwei komplett verregnete Tage auf dem Parkplatz vor Gielty´s, der angeblich westlichsten Bar Europas, Inseln wie Azoren, Madeira und Kanaren ganz sicher ausgenommen. Immerhin gibt es darin frisch gezapftes Guinness und etwas Warmes zu essen. Und an einem Abend auch irische Volksmusik.

Vor Gielty´s in Dooagh auf Achill Island, …
… das sich mit dieser Aussage präsentiert
Folk Music in Gielty´s

Achill Island war ab 1954 regelmäßiges Urlaubsziel von Nobelpreisträger Heinrich Böll, der die Grüne Insel bei vielen Deutschen populär machte und auch den deutschen Irland-Tourismus in gewisser Weise mit ankurbelte. Das von ihm in seinen Irischen Tagebüchern erwähnte Deserted Village sehe ich mir auf der Weiterfahrt kurz an. Das Dorf wurde in der Zeit der Großen Hungersnot von 1845 bis 1851 verlassen und ist heute ein großes Ruinenfeld. Bei meinem Besuch nieselt es zwar immer noch, aber das Wetter wird dann im Laufe des Tages langsam besser.

Deserted Village auf Achill Island

Die Wanderung, die ich im Ballycroy National Park vorhabe, bietet im Vorfeld einige Tücken. Es fängt damit an, dass mir im Visitor Center beim Ort Ballycroy ein Leaflet in die Hand gedrückt wird, das den Wild Nephin National Park beschreibt. So heißt der Park nämlich für mich überraschenderweise auf einmal. Die Iren scheinen sich nicht so ganz einig zu sein, wie sie ihren Nationalpark nennen möchten. Jedenfalls schützt der 150 qkm große ominöse Park mit den zwei Namen ein einzigartiges Deckenmoorgebiet, das ich mir näher ansehen möchte. Deckenmoore bilden sich in extrem ozeanischen Klimaregionen mit hohen Niederschlägen und geringer Verdunstung – wie der irischen Westküste.

Im Ballycroy/Wild Nephin National Park

Der mir im Visitor Center vorgeschlagene Trailhead befindet sich in etwa 40 km Entfernung. Mit einer einigermaßen brauchbaren Wegbeschreibung sollte es aber trotz der Entfernung kein ernsthaftes Problem sein, diesen dann auch zu finden. Mit einer solchen Beschreibung hapert es aber, und zwar ganz erheblich. Der angebliche Trailhead Brogan Carroll Bothy ist in der Realität auf keinem einzigen Hinweisschild zu finden. Ich fahre kreuz und quer verschiedene schmale Waldwege ab und berate mich schließlich am Wegesrand mit einer französischen Familie, die ebenfalls auf der Suche nach dem Trailhead ist. Wir stehen bei unserer Diskussion an einem großen Schild mit der Aufschrift Letterkeen Parking. Nur: Da, wo wir sind, ist nicht Letterkeen. Um dorthin zu kommen, muss man noch einen unbeschilderten Seitenweg ca. zwei Kilometer weit hineinfahren. Durch einen puren Zufall finden wir schließlich hin. Und hier ist dann überraschenderweise auch der lang ersehnte Trailhead. Eine GPS-Angabe bei der Wegbeschreibung hätte enorm geholfen.

Zunächst geht es in offenem Gelände an einem Fluss entlang …
… und dann durch den Wald. Überall macht sich Rhododendron breit.

Die Wanderung selbst ist dann weniger spektakulär. Zu Beginn geht es über einen matschigen Pfad einen Fluss entlang, später dann über geschotterte Waldwege. Sehr auffällig ist, dass sich überall im Wald Rhododendron breit macht. Diese invasive Art ist in Irland geradezu eine Pest. Man findet sie buchstäblich überall. Die Nationalparkverwaltungen versuchen, sie zumindest aus den Parks heraus zu drängen, aber mit erkennbar nur sehr geringem Erfolg.

Die folgende Nacht verbringe ich am Ende einer Stichstraße unmittelbar am Meer. Bei der Abfahrt am nächsten Morgen finde ich dann meinen Rückweg in die Zivilisation durch ein großes Baufahrzeug versperrt. Ein umgefallener Strommast muss durch einen neuen ersetzt werden, was eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt.

Ein umgefallener Strommast wird ersetzt.

Mein weiterer Weg führt mich durch einsame Landschaft und bei sehr bescheidenem Wetter zum eindrucksvollen und wunderschönen Doolough Valley. Hier spielte sich während der Großen Hungersnot am 30. März 1849 eine geradezu unglaubliche Tragödie ab. Ein steinernes Mahnmal erinnert daran.

Ungefähr 600 Hungernde wurden an einem bitterkalten Tag von den englischen Besatzern von Louisburg aus ins 16 km entfernte Delphi einbestellt, um dort am folgenden Tag Hilfe in Form von Lebensmittelvorräten zu erhalten. Hunderte von elenden Gestalten machten sich über die Berge durch unwegsames Gelände auf den Weg. Als sie in Delphi ankamen, erhoben sich die englischen Gentlemen von ihrem üppig gedeckten Mittagstisch und schickten die Hungernden wieder zurück, ohne irgendeine Hilfe zu leisten. Viele der enttäuschten Hilfesuchenden kamen auf dem Rückweg in der Kälte und vor Erschöpfung um.

Das malerische Doolough Valley im Regen
Die Geschichte zu einem der düstersten Momente während der Großen Hungersnot
Ein steinernes Mahnmal erinnert an die Tragödie im Doolough Valley.

Die Kylemore Abbey überrascht mit einem ziemlich ungewöhnlichen Äußeren und einer sehr ungewöhnlichen Geschichte. Der erste Eindruck bei der Ankunft auf dem Parkplatz ist jedenfalls keineswegs der einer Abtei. Um ein Kloster ging es ursprünglich auch gar nicht. Vielmehr baute der sehr wohlhabende Henry Mitchell in den 1870er Jahren hier ein äußerst komfortables Herrenhaus für sich und seine Familie und brachte damit für eine gewisse Zeit enorm viel dringend benötigte Beschäftigung in eine äußerst arme Gegend. Die Große Hungersnot war gerade erst zwanzig Jahre vorbei, und die Menschen litten bittere Not. Viele Jahre vertrat Henry Mitchell das County Galway im House of Commons in London, dem britischen Parlament, und versuchte von dort aus das Los der Menschen in seiner Grafschaft zu verbessern.

Kylemore Abbey
Der Bauherr Henry Mitchell setzte sich für die bitterarme irische Landbevölkerung ein.

Anfang des 20. Jahrhunderts wurde das Anwesen an eine Adelsfamilie verkauft und nur wenig später im Jahr 1920 dann tatsächlich zur Abtei, als Benediktinerinnen aus Ypern hier einzogen. Deren Kloster in Flandern war im Zuge des 1. Weltkriegs zerstört worden, und sie brauchten eine neue Bleibe.

Nach der erfolgreichen Revolution in Irland und dem Rückzug der Engländer war erstmals nach 400 Jahren wieder ein katholisches Kloster auf irischem Boden möglich. Die Nonnen führten bis 2011 eine renommierte Mädchenschule und sind auch heute noch in einem Seitentrakt präsent. Der große „Rest“ gehört den unzähligen Touristen.

Der Ironing Stone, der Bügeleisenstein, angeblich von einem Riesen dorthin geworfen
Und dieses Foto aus dem Abteigarten spiegelt sehr gut das Wettergeschehen wider.

Mein Besuch im nahen Connemara National Park fällt extrem kurz aus. Ich schaue mich kurz im Visitor Centre um und fahre schnell weiter. Das Regenwetter lädt einfach nicht zu einer der angebotenen Wanderungen ein. Stattdessen besuche ich das Connemara Heritage & History Centre nur wenige Kilometer weiter. Hier sind verschiedenste Wohnformen und Lebensweisen der vergangenen Jahrhunderte zusammengetragen und in sehr anschaulicher Art und Weise aufbereitet und präsentiert.

Das Connemara Heritage & History Centre

Das Spektrum reicht von einem frühchristlichen Stone Oratory, einem Rückzugsort von Einsiedlern und Mönchen für stille Gebete, aus dem 5. oder 6. Jahrhundert über ein nachgebautes Ringfort, der Standardform eines Bauernhofs, wie es vom 5. bis 12. Jahrhundert überall in Gebrauch war, bis hin zum komplett wiederaufgebauten und renovierten Hof des Dan O´Hara aus den 1840er Jahren, der sich während der Großen Hungersnot gezwungen sah, nach Amerika auszuwandern.

Stone Oratory
Nachgebautes Ringfort
Hof des Dan O´Hara aus den 1840er Jahren
Im Kamin brennt ein Torffeuer.
Der als Brennmaterial verwendete Torf wird in unmittelbare Nähe gestochen.

Der sehr freundliche Chef des Connemara Heritage & History Centres führt auf Wunsch auch Torfstechen vor, zeigt, wie das Hüten von Schafen mithilfe von Hunden erfolgt, bietet Planwagenfahrten und Reitstunden mit seinen Connemara Ponys an und erzählt abends am Torffeuer im Kamin irische Märchen und Legenden. Außerdem erlaubt er mir, auf dem Parkplatz vor dem Gebäude zu übernachten.

In Galway verbringe ich fast einen ganzen Tag auf dem Lidl-Parkplatz und arbeite an Augenhilfe-Themen. Denn Vorsitzender von Augenhilfe Afrika e.V. bleibe ich natürlich auch, wenn ich in Schottland oder Irland unterwegs bin. Im Gegensatz zum Connemara Heritage & History Centre gibt es in Galway guten Internetzugang, was meine Arbeit erheblich erleichtert.

Die Augenhilfe Afrika kümmert sich seit fast 10 Jahren mit Operationen und Brillen um Blinde und Sehbehinderte in Kamerun.

Auch in Galway regnet es fast ununterbrochen. Beim Verlassen der Kabine rutsche ich auf der nassen Treppe aus und lande rücklings der Länge nach in einer großen Pfütze. Dieses Mal dämpft zur Abwechslung der linke Ellbogen meinen Sturz. Vor zwei Wochen, als ich bei einer Wanderung auf einer nassen Steinplatte ausrutschte und ebenfalls der Länge nach auf den Rücken fiel, war es noch der rechte. Beide Male tut der jeweilige Ellbogen zwar tagelang weh, aber ansonsten ist alles glimpflich ausgegangen. Hoffentlich bleibt das so.

Am späten Nachmittag in einer Regenpause laufe ich eine Stunde lang durch Galways berühmtes Latin Quarter. Hier liegt ein gut besuchter Pub neben dem anderen. Auch auf den Straßen ist erstaunlich viel los. Akrobaten und Musikanten begeistern mit ihren Vorführungen die Umstehenden.

Im Latin Quarter von Galway

Straßenmusikanten

Zur Übernachtung fahre ich Richtung Westen aus der Stadt heraus und finde in einiger Entfernung einen ruhigen Stellplatz direkt am Meer. Am Abend und auch am nächsten Morgen regnet es wie gewohnt in Strömen. Einige Unentwegte lassen sich dadurch nicht beeindrucken und baden ungerührt im Meer. Bei 15 Grad Lufttemperatur und Wassertemperaturen knapp über Null. Es muss sich hier eindeutig um Helden handeln.

Unbekannte Helden baden im Meer.

Auch die Landschaft des Burren mit seiner äußerst kargen, von Gletschern glattgeschliffenen Oberfläche lerne ich bei strömendem Regen kennen. Ich erinnere mich, dass es in Leoni einen noch originalverpackten, nie gebrauchten Regenschirm geben muss, und setze diesen bei der Besichtigung eines Dolmen-Grabs erstmals erfolgreich ein.

Glattgeschliffene Oberfläche des Burren
Ohne Regenschirm geht kaum noch etwas.
Dolmen-Besuch im Regen

Danach flüchte ich unter die Erde und besuche die Aillwee Cave. Der Burren ist ein ausgedehntes Karstgebiet und im Untergrund löchrig wie ein Schweizer Käse. In der Höhle ist es zwar wie erwartet trocken, ansonsten aber nicht übermäßig interessant.

Daher fahre ich bald weiter nach Doolin und checke auf dem dortigen Campingplatz ein. Doolin liegt unmittelbar südlich der imposanten Cliffs of Moher und ist für seine attraktiven Pubs mit Live Musik bekannt. Ein wichtiges Kriterium für meine Wahl des Campingplatzes liegt zugegebenermaßen in der Nähe zu diesen Pubs, die sich alle in fußläufiger Entfernung befinden.

Ein Problem ist und bleibt nur der Regen. Kurz nach meiner Ankunft in Doolin gehe ich zur Mittagszeit in einem Restaurant ganz in der Nähe essen. Auf dem geschätzt vielleicht 300 m langen Rückweg zu Leoni werde ich dann patschnass, so dass ich mich komplett umziehen und sogar die Webasto-Heizung einschalten muss.

Doolin in einem der sehr seltenen sonnigen Momente. Gus O´Connor´s Pub ist das zweite Haus von rechts.

Am ersten Abend in Doolin besuche ich McDermotts Pub und am zweiten Gus O´Connor´s Pub. Beide Male gibt es Live Musik sowie ein gut durchmischtes, interessantes Publikum. Jedes Pint Guinness bezahle ich unmittelbar an der Theke mit Kreditkarte. Kurz die Karte auf das Lesegerät halten, und fertig. Eine Sache von wenigen Sekunden. Ich werde vielleicht doch noch zum Fan des bargeldlosen Bezahlens.

Eine sehr nette junge Französin, Geraldine, spricht mich an und fragt, ob ich Ihr nicht per WhatsApp ein paar der von mir aufgenommenen Musik-Videos schicken kann, was ich natürlich gern tue. Nicht nur wegen dieses netten Erlebnisses kann ich Doolin und seine Pubs ohne Probleme weiterempfehlen.

Junge Frau mit spontaner Tanzeinlage in McDermotts Pub

Auch in Gus O´Connor´s Pub ist gute Stimmung.

Die Cliffs of Moher gehe ich von Süden her an. Das Wetter ist ungewöhnlicher- und erfreulicherweise mehrere Stunden am Stück trocken, und die dreieinhalbstündige Wanderung an den eindrucksvollen Klippen entlang bekomme ich tatsächlich hin, ohne nass zu werden. Je näher ich dem Visitor Center mit seinem riesigen Parkplatz komme, desto umfangreicher werden die Menschenmassen. Es ist kaum zu glauben.

Der Weg geht haarscharf am Abgrund vorbei.
Die eindrucksvollen Klippen sind bis zu 200 m hoch.
Menschenmassen beim Visitor Center

10 km nördlich von Ennis liegt die Ruine des Klosters Dysert O´Dea. In einer Rinderweide nebenan steht ein besuchenswertes keltisches Hochkreuz vom Ende des 12. Jahrhunderts. Um dorthin zu gelangen, muss ich mit Hilfe von Trittsteinen eine Steinmauer überwinden. Mit den Rindern schließe ich einen Nichtangriffspakt und komme so zu eindrücklichen Fotos.

Keltisches Hochkreuz aus dem 12. Jahrhundert (links) …
… inmitten einer Rinderweide

Auch am alten Friedhof von Drumcliff, nur noch 4 km nördlich von Ennis, mache ich kurz Halt. Hier gibt es ein Massengrab aus der Zeit der Great Famine mit über 2.000 Toten. Im umgebenden County Clare sind damals 40.000 bis 60.000 Menschen verhungert. 40.000 weitere mussten auswandern. Der Gedanke daran macht einen fassungslos.

Ennis wird in Reiseführern als Brennpunkt der irischen Pub- und Live-Musik-Szene beschrieben. Ein Grund für mich, hier eine Übernachtung einzuplanen. Zunächst steuere ich Knox´s Pub an. Doch hier ist nicht viel los, es gibt nur wenig Publikum und müde Musik mit Harfe. Nach einem Pint gehe ich weiter zum ebenfalls empfohlenen Brogans Pub. Der ist sogar ganz ohne Musik und buchstäblich leer. Enttäuscht laufe ich zurück zu Knox´s, trinke noch ein Pint und muss erleben, dass die Band exakt um 22.05 h ihre Instrumente einpackt. Da haben andere Bands auf meiner Reise gerade erst angefangen zu spielen. Ennis scheint mir doch nicht so ganz der Brennpunkt der irischen Musikszene zu sein.

Im Zentrum von Ennis

Zu Ehrenrettung von Ennis sei erwähnt, dass es hier immerhin die aus dem Mittelalter stammende, gut erhaltene und durchaus besuchenswerte Ennis Friary gibt. Auch die nur ein paar Kilometer entfernte Quin Friary schaue ich mir an, zur Abwechslung wieder mal in strömendem Regen. Ich flüchte ins Innere der geräumigen Ruine und stelle fest, dass der Kreuzgang erstaunlich gut erhalten und vor allem trocken ist.

Ennis Friary
Kreuzgang von Quin Friary

Craggaunowen im County Clare ist ein Versuch, Irlands Vergangenheit lebendig werden zu lassen. Dazu wurden Wohn- und Lebensformen aus prähistorischer und frühchristlicher Vergangenheit rekonstruiert, was sehr gut gelungen ist. Von Dolmengrab über Crannog, Ringfort bis hin zu einer Burg mit Wohnturm von 1550 sowie dem Nachbau eines mit geteerter Lederhaut überzogenen seetüchtigen Bootes ist alles vorhanden.

Der heilige Brendan der Seefahrer, gestorben 583, soll mit einem vergleichbaren Boot Amerika erreicht haben. Um zu zeigen, dass dies prinzipiell tatsächlich möglich war bzw. ist, hat der Engländer Tim Severin die Fahrt 1976/77 mit dem hier ausgestellten Nachbau erfolgreich nachvollzogen. In 13 Monaten erreichte er mit seiner Crew Neufundland. Sein Boot, nach dem Heiligen auf den Namen „Brendan“ getauft, kann ganz aus der Nähe bewundert werden.

Die „Brendan“, mit der Tim Severin 1976/77 Amerika erreicht hat

Am trutzigen Bunratty Castle und etwas später an der Blennerville Windmill vorbei steuere ich die Dingle Peninsula an und lande schließlich auf dem Parkplatz neben dem Pub An Bothar. Am Tresen in der Bar kommt es dann am Abend zu einer sehr internationalen, geselligen und unterhaltsamen Gesprächsrunde. Diese besteht aus einem Paar aus Oberbayern, einer Mutter mit Tochter aus der Schweiz, ein paar Österreichern und mir. Als Geschäftssprache wird einvernehmlich deutsch gewählt.

Trutziges Bunratty Castle
Blennerville Windmill
Pub An Bothar auf der Dingle Peninsula

Am nächsten Morgen mache ich in einer kurzen Regenpause einen kleinen Spaziergang die Straße entlang und stoße auf ein Schild, das den Hang hinauf zeigt: Cathair na bhFionnúrach. Ich habe keine Ahnung, um was es sich dabei handeln könnte, und der allergrößte Teil der Iren sicher auch nicht. Ich bin in Ghaeltacht-Gebiet. Alles ist hier ausschließlich gälisch beschriftet, sogar die Grabsteine auf dem Friedhof. Ich folge der Wegweisung und stehe plötzlich völlig überrascht vor einem perfekt restauriertem Ringfort, das noch bis ins 13. Jahrhundert bewohnt war.

Landschaft auf der Dingle Peninsula
Ringfort Cathair na bhFionnúrach

Im Gegensatz zu diesem offenbar weitgehend unbekannten Ringfort ist das nur etwa 10 km entfernte Gallarus Oratory in jedem Reiseführer beschrieben. Dabei handelt es sich um die am besten erhaltene frühchristliche Kirche Irlands, einen in Trockenmauertechnik errichteten bootsförmigen Kraggewölbebau aus dem 7. oder 8. Jahrhundert.

Gallarus Oratory

Eine sogar für Irland ungewöhnlich umfangreiche Regenfront nähert sich von Westen, und ich beschließe, dem Pub An Bothar eine weitere Nacht treu zu bleiben. Im Gegensatz zum Vortag spielt am Abend eine Band, und zwar authentische irische Volksmusik. Am Ende kommt dann überraschenderweise heraus, dass die Musikgruppe aus einer französischen Großfamilie besteht, die hier vor Jahren ein Haus gekauft hat und jedes Jahr drei Monate zu Besuch kommt. Der akzentfrei englischsprechende Bandleader hat als Kind sogar 5 Jahre hier gewohnt.

Französische Musikgruppe spielt irische Volksmusik im Pub An Bothar.

Nur anderthalb Kilometer vom Pub An Bothar entfernt, an der Mündung des Brendan Creek, soll der schon erwähnte heilige Brendan im Jahr 535 nach 40 Tagen Fasten auf dem Mount Brendan mit 14 Mönchen und seinem mit geteerter Lederhaut überzogenem Boot Richtung Amerika aufgebrochen sein, um das Evangelium zu einem vermuteten noch unbekannten Kontinent im Westen zu bringen. Eine Skulptur mit Infotafel erinnert daran. In der Gegend führt im Übrigen fast alles den Namen Brendan. Einen Ort Brendan gibt es auch.

Abschied von der Dingle Peninsula

Die südlich der Dingle Peninsula gelegene Kerry Peninsula mit dem berühmten Ring of Kerry ist ein touristischer Hotspot. In Sneem, wo ich übernachte, staune ich bei endlich wieder einmal freundlichem Wetter über die Vielzahl der Reisebusse, die um die Mittagszeit die Straßen und Plätze verstopfen. Im Tourist Information Center erzählt man mir, dass die Busse den Ring of Kerry alle gegen den Uhrzeigersinn befahren und an immer denselben Stellen Halt machen, so auch in Sneem. In der Saison wären es täglich 35 bis 40 Stück. Ich frage nach, wie die Bewohner von Sneem das aushalten. Die von mir befragte Dame verdreht nur die Augen. Sie weiß es auch nicht.

Sneem am Ring of Kerry

Die Pubs in Sneem sind irgendwie enttäuschend. In keinem spielt eine Band. Stattdessen wird überall auf Bildschirmen das Rugby-Spiel Irland gegen Italien gezeigt. Irland gewinnt auf souveräne Art und Weise mit 33:17.

Die Strecke zwischen Kenmare und Killarney ist ein landschaftlich besonders schönes Teilstück des Ring of Kerry. Über eine Passstraße geht es auf die andere Seite der Gebirgskette und hinunter in den 100 qkm großen Killarney National Park. Ich parke beim in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gebauten hochherrschaftlichen Muckross House und starte zu einer ausgiebigen Wanderung rund um den Muckross Lake, beginne jedoch mit einem Abstecher zur Muckross Friary. Diese wurde um 1445 gegründet und 1652 von den Truppen Oliver Cromwells gebrandschatzt. Im noch weitgehend erhaltenen Kreuzgang steht eine gewaltige, wahrscheinlich noch aus dem Mittelalter stammende Eibe. Durch den größten erhaltenen Eibenwald Westeuropas geht es dann zurück zum Muckross Lake und um diesen herum. Nach mehreren Stunden bin ich zurück bei Leoni.

Zwischen Kenmare und Killarney am Ring of Kerry
Muckross House
Muckross Friary
Riesige Eibe im Kreuzgang von Muckross Friary
Wildlife gibt es im Killarney National Park auch, großes, wie diese Hirschkuh mit Kalb, …
… und kleines.

Der Burgberg von Cashel war viele Jahrhunderte lang Sitz der Könige von Munster. Im Jahr 1101 wurde er der Kirche übertragen, worauf man noch im 12. Jahrhundert mit dem Bau des Rundturms und einer ersten romanischen Kirche begann. 1235 folgte der Bau der großen gotischen Kathedrale, die bis 1748 ununterbrochen genutzt wurde, heute allerdings nur noch eine Ruine ist, wenn auch eine sehr eindrucksvolle.

Cashel, Rundturm mit dahinter liegender gotischer Kathedrale

Mein letztes Ziel in Irland vor dem Fährhafen von Rosslare ist die Stadt Kilkenny. Zwei touristische Highlights stechen hier hervor. Dies ist zum einen die Kathedrale St. Canice. Der dominierende imposante Rundturm existierte bei Ankunft der normannischen Eroberer im Jahr 1169 bereits und wurde von diesen nicht angetastet. Die danebenstehende Kirche dagegen überbauten die Normannen in den Jahren 1202 bis 1285 mit der heute noch bestehenden gotischen Kathedrale.

Kilkenny Castle wurde fast zeitgleich in den Jahren 1195 bis 1213 errichtet und 1967 in völlig verfallenem Zustand für symbolische 50 Pfund an den irischen Staat übergeben. In den Folgejahren aufwändig restauriert mutierte es zur heutigen touristischen Attraktion.

Im Zentrum von Kilkenny
Kathedrale St. Canice
Kilkenny Castle

Mein Stellplatz liegt mitten in der Stadt und ermöglicht somit auch den problemlosen Zugang zu den einschlägigen Pubs. Ich besuche Lanigans Bar und die Kyteler´s Inn. Letztere ist benannt nach der als Hexe verurteilten Alice Kyteler. Sie war die erste Person, die in Irland wegen Hexerei verurteilt wurde, konnte aber rechtzeitig fliehen. Ihre Dienstmagd dagegen wurde 1324 auf dem Scheiterhaufen als Hexe verbrannt.

Vor allem in Kyteler´s Inn herrscht eine richtig tolle Stimmung. In beiden Pubs gibt es Live Musik, aber kurz nach 22.00 Uhr in Kyteler´s Inn bzw. kurz vor 23.00 Uhr in Lanigans Bar packen die Musiker bedauerlicherweise bereits ihre Instrumente ein.

In Kyteler´s Inn

In Lanigans Bar

Am 8. August um 21.00 Uhr verlässt die Fähre mit Leoni und mir an Bord den Hafen von Rosslare. Und am nächsten Tag gegen 15.30 Uhr Ortszeit starte ich nach der Ankunft in Cherbourgh zu einer langen Fahrt quer durch Frankreich, über Paris, Reims und Metz nach Saarbrücken. Zu Beginn sind die vielen Kreisverkehre, in die man in Kontinentaleuropa bekanntlich nach rechts einfahren muss, durchaus gewöhnungsbedürftig. Das lange Linksfahren wirkt nach. Die Mautkosten in Frankreich schlagen dann mit überraschend hohen 100 Euro zu Buche. Am Nachmittag des 10. August bin ich schließlich nach 6.274 km gefahrenen Straßenkilometern wieder zu Hause.

Kurz vor Cherbourgh
Gut wieder zu Hause in Renningen angekommen

 

 

 

 

Ein Kommentar

  1. Jens said:

    Hier hat sich ja einiges getan….

    21. November 2023
    Reply

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