Camino Portugués – Jakobsweg von Porto nach Santiago de Compostela

Schon für das Frühjahr 2020 haben wir uns die Wanderung auf dem Camino Portugués von Porto nach Santiago de Compostela fest vorgenommen. Die Flüge nach Porto und die Hotelübernachtungen für die ersten Tage sind bereits gebucht, doch dann kommt Corona, und wir müssen unser Vorhaben auf unbestimmte Zeit verschieben. Es dauert lange dreieinhalb Jahre, bis es endlich soweit ist. Am 17.09.2023 treffe ich mich in Porto mit Peter und Heijo (Heinz-Josef). Die Beiden sind aus Düsseldorf angereist, ich aus Stuttgart. Wir kennen uns seit Ewigkeiten, haben gemeinsam die Schulbank gedrückt und alle drei exakt 70 Lebensjahre hinter uns.

Und jetzt sind wir voller Vorfreude auf die vor uns liegende Tour. Sorgen macht uns nur das Wetter. Schon bei der Landung in Porto am frühen Morgen regnet es in Strömen, und im Laufe des Tages wird es nicht wesentlich besser. Unsere Bedenken, was das wohl für unsere anstehende Wanderung auf dem Jakobsweg bedeuten könnte, sind dann aber zum Glück völlig überflüssig. Denn ab dem nächsten Morgen folgen drei ausgesprochen sonnige Spätsommer- bzw. Frühherbstwochen. Lediglich nachts regnet es die ersten Tage ein paar Mal. Und später gibt es gelegentlich etwas Frühnebel. Ansonsten herrliches Wetter pur.

Heijo (l.) und Peter in Porto am Ufer des Douro

Wir sehen uns ausgiebig in der sehr attraktiven Stadt Porto um und starten am nächsten Morgen mit der Umsetzung unseres eigentlichen Vorhabens. Der von uns ausgewählte Camino Portugués ist nur einer von vielen Jakobswegen, die alle kreuz und quer durch Europa und vor allem die iberische Halbinsel zum Grab des Heiligen Jakobus nach Santiago de Compostela führen. Mit je nach gewählter Streckenvariante etwas mehr als 250 km ist er einer der kürzeren Wege und auch nicht ganz so überlaufen wie der deutlich bekanntere Camino Francés, der im französischen Saint-Jean-Pied-de-Port kurz vor der spanischen Grenze beginnt. Etwa die Hälfte der Strecke des Camino Portugués verläuft über portugiesisches Territorium, der Rest ab dem Grenzfluss Río Miño befindet sich in Spanien.

Die Jakobswege auf der iberischen Halbinsel
Und hier im Vorgriff die von uns gewählte Route. Die Übernachtungsorte sind gelb markiert.
Start mit gepackten Rucksäcken an der Kathedrale von Porto

Wir entscheiden uns, das erste Stück des Weges an der Küste entlang zu nehmen und dann ab Vila do Conde Richtung Rates ins Landesinnere auf den Camino Central zu wechseln. Damit vermeiden wir ein unschönes Teilstück durch die nördlichen Randbezirke von Porto mit Industriegebieten und verkehrsreichen Straßen.

Der Weg an der Küste entlang ist sehr gut ausgebaut und führt längere Strecken über aufwändig gestaltete Bohlenwege. Die Wegweisung ist geradezu perfekt und bleibt das auch unverändert bis Santiago. Eine Karte braucht man definitiv nicht. An praktisch jeder Ecke und vor allem jeder Wegverzweigung gibt es einen gelben Richtungspfeil, oft nur auf dem Boden oder einer Mauer aufgemalt, oft aber auch auf einem professionell gestalteten, immer gleich aussehenden Stein mit der Jakobsmuschel als Erkennungszeichen sowie der Kilometerangabe.

Aufwändige Bohlenwege führen an der Küste entlang, …
… und hin und wieder gibt es nette Ablenkungen.

Die erste Nacht verbringen wir auf einem Campingplatz, wo wir eine Hütte mieten, die außer unbezogenen Betten über keinerlei Einrichtung verfügt. Am nächsten Tag in Vila do Conde buchen wir dann über Airbnb eine komplette Wohnung. Am dritten Tag übernachten wir in einer Pilgerherberge im Schlafsaal mit Doppelstockbetten, später ist auch mal ein Hotel dabei. Es ist jede Nacht anders. Wir versuchen regelmäßig, vor allem zu Beginn der Tour, einen separaten Raum zu bekommen, was auch ab und zu gelingt, stellen dann aber fest, dass Gemeinschaftsunterkünfte auch sehr wohl ihren Reiz haben, da man hier viel intensiver mit anderen Pilgern in Kontakt kommt. Und es sind viele sehr interessante Menschen unterwegs, mit vielen verschiedenen Motivationen, religiösen und profanen, aus aller Herren Länder. Nicht nur aus Europa, sondern auch aus Übersee. US-Amerikaner, Kanadier, Neuseeländer, Südafrikaner, Asiaten, you name it.

Bald stellen wir fest, dass es ohne Voranmeldung schwierig sein kann, in der ausgewählten Unterkunft drei Betten zu bekommen, vor allem natürlich, wenn man etwas spät dran ist. Daher gewöhnen wir uns an, im Outdoor-Wanderführer empfohlene Pilger-Unterkünfte jeweils am Morgen anzurufen, um für den Abend Betten zu buchen, was in der Regel gut funktioniert.

Alle Pilger sind mit einem Pilgerausweis, dem Credencial, unterwegs, der an verschiedenen Checkpoints abgestempelt werden kann. Allgemein üblich sind etwa zwei Stempel pro Tag. Mit diesen Stempeln kann der gegangene Weg nachvollzogen werden, was relevant ist, wenn man in einer der sehr günstigen Pilgerherbergen unterkommen will. Dort wird regelmäßig gecheckt, ob man tatsächlich ein „echter“ Pilger ist und Anspruch auf eine kostengünstige Unterkunft hat.

Schon am ersten Tag entwickelt sich bei Peter an der rechten Ferse eine dicke Blase, über die er dann ein Compeed-Pflaster klebt, was wohl keine so gute Idee ist. Denn das Pflaster löst sich bald ab und vergrößert dabei die Wunde, die Peter in den nächsten Tagen kräftig zu schaffen macht.

Sundowner am Strand von Vila do Conde
Auf dem Weg ins Landesinnere, von Vila do Conde nach Rates
An der Pilgerherberge in Rates angekommen, der ältesten Pilgerherberge Portugals
Hier sind wir in einem Schlafsaal mit 8 Doppelstockbetten untergebracht.

Auf dem weiteren Weg von Rates nach Barcelos existieren drei Wegvarianten. Wir wählen die längste und landschaftlich schönste, die durch einen Wald hoch auf eine Bergspitze mit der Kirche Sta. da Franqueira führt. Von oben haben wir einen wunderbaren Blick über die Landschaft und unseren weiteren Weg nach Barcelos.

Vielfach bestimmen abgeerntete Maisfelder das Landschaftsbild.
Vor freilaufenden Pilgern wird gewarnt.
Die Kirche Sta. da Franqueira thront hoch oben auf einer Bergspitze.
Zufälliges Wiedersehen in Barcelos mit Mutter Shawna und Tochter Tamara aus Kanada. Beide haben wir schon zwei Tage vorher kennengelernt.
Mittlerweile bestimmen Weinfelder das Bild.

Der Weg von Barcelos nach Vitorino dos Piães ist mehr als 20 km lang und zieht sich. Peter hat extreme Probleme mit seiner Ferse. Jeder Schritt ist mit Schmerzen verbunden. In unserer endlich erreichten Unterkunft, der Casa Rural O Estábulo de Valinhas, sehen wir uns die Bescherung genauer an und verarzten Peter, so gut es geht. Es ist allen klar, dass er am nächsten Tag nicht laufen kann. Er wird ein Taxi nehmen und nach Ponte de Lima vorausfahren.

Peters Ferse. Unten die Reste des Compeed-Pflasters
Peter wird von Heijo verarztet.

Jetzt sind wir also zunächst einmal nur noch zu zweit unterwegs. Es geht auf meist idyllischen Wegen durch herrliche Landschaft. Wein, Oliven und Esskastanien bestimmen das Bild. Der in den Tagen vorher dominierende Mais kommt kaum noch vor. Durch eine imposante Allee am Fluss entlang ziehen wir in Ponte de Lima ein. Peter hat ein Hotelzimmer für uns organisiert und erwartet uns in einem Straßenrestaurant.

Ponte de Lima ist eine wunderschöne kleine Stadt von gerade einmal 3.000 Einwohnern. Ich habe sie spontan ins Herz geschlossen und halte sie auch nach Abschluss der Reise für den attraktivsten und angenehmsten Ort der gesamten Strecke zwischen Porto und Santiago. Das südländische Flair dieses kleinen Ortes ist wirklich außergewöhnlich.

Ponte de Lima gehört zu den ältesten Ortschaften Portugals. Schon die alte Römerstraße Via Romana XIX führte hier über den Fluss. Das ist lange her. Die unübersehbare Attraktion der Stadt in der Gegenwart ist die mittelalterliche Bogenbrücke aus dem Jahr 1368 über den Fluss Lima, die ja auch der Stadt ihren Namen gab. Ponte de Lima = Lima-Brücke. Mit 277 m Länge und 4 m Breite verfügt sie über beachtliche Ausmaße.

Wir verbringen den Abend in einem der vielen Straßencafés und sitzen mit Karo und Marco, die wir schon an den Vortagen mehrfach getroffen haben, in angeregtem Gespräch zusammen. Heijo geht es nicht besonders gut. Er fühlt sich sehr unwohl und zieht sich früh aufs Zimmer zurück. Hier bahnt sich das nächste Problem an. Das kann ich bereits vorwegnehmen.

Im Jahr 1368 fertiggestellte Brücke in Ponte de Lima
Straßenbild am Flussufer in Ponte de Lima
Gemeinsamer Abend mit Karo und Marco

Der folgende Tag erweist sich als der landschaftlich wohl schönste, aber auch anstrengendste der gesamten Tour. Es ist Sonntag, und es sind Scharen von mit Bussen antransportierten Tagestouristen unterwegs, die den Camino und vor allem auch die wenigen Raststellen blockieren. Aber damit müssen wir halt leben.

Peter fährt wie schon am Vortag mit dem Taxi voraus. Auch einige andere Pilger ohne irgendwelche Fußprobleme wählen diese Form des Weiterkommens, um den anstrengendsten Anstieg der gesamten Tour hoch zur Portela Grande zu vermeiden.

Dieser Anstieg gestaltet sich tatsächlich sehr steil und unangenehm. Heijo ist erkältet und hat erhebliche Probleme beim Atmen. Wir sind daher froh, als wir endlich in der Casa de São Sebastião in Rubiães ankommen, wo Peter uns bereits erwartet. Im Garten des Hauses gibt es erstaunlicherweise einen großen Pool, in dem ich ein paar einsame Runden drehe. Den anderen Gästen der Herberge ist das Wasser zu kalt.

Untergebracht sind wir in Schlafsälen mit Doppelstockbetten. Heijo und ich müssen erstmals oben schlafen. Im Alter von 18 Jahren machen ein paar aus einer solchen Situation resultierende nächtliche Turnübungen sicher keine Probleme, aber mit 70 ist das eine andere Sache, vor allem, wenn es keinerlei Möglichkeiten zum Festhalten gibt. Die Treppenstufen sind zudem so ungeschickt gestaltet und angebracht, dass ein Absturz im Dunkel der Nacht geradezu vorprogrammiert ist. Und so geschieht es. Sowohl Heijo als auch ich landen jeweils einmal der Länge nach auf dem harten Steinboden. Wir tun uns dabei zwar beide ziemlich weh, aber es ist erfreulicherweise nichts Ernsthaftes. Echt Glück gehabt.

Zwischen Weinfeldern unterwegs
Idyllische Landschaft
Das unangenehmste Teilstück des gesamten Camino Portugués führt hoch zur Portela Grande.
In trauter Runde mit unseren „Groupies“ in Rubiães. Von hinten im Uhrzeigersinn Manuela, Karo, Sabrina, Tamara und Shawna

Heijo geht es weiterhin nicht gut. Aber er zwingt sich weiterzulaufen, während Peter mit seiner kaputten Ferse erneut Taxi fährt. Das Wochenende ist vorbei, die Wege sind nicht mehr so voll, und Peter sucht in der Grenzstadt Valença das Krankenhaus auf, wo er fachmännisch verbunden und auch beraten wird. Er soll seine verletzte Ferse die nächsten 5 Tage absolut trocken halten.

Neben unserem Hotel Val Flores in Valença entdecken wir eine Lavandería, bringen unsere gesamte schmutzige Wäsche dorthin und holen diese nach gut zwei Stunden frisch gewaschen wieder ab. Damit ist immerhin schon einmal eins unserer aktuellen Probleme gelöst. In der Zwischenzeit kauft Peter ein Paar Sandalen. Er hofft, damit wieder mitlaufen zu können. Die Ärzte haben ihm diesbezüglich Mut gemacht.

Nach diesen erfolgreich absolvierten kleinen Abenteuern haben wir uns erst einmal ein Bier oder zwei verdient. Zuerst sitzen wir zu dritt vor einem Café am Straßenrand. Bald jedoch gesellen sich unsere Pilgerkollegen Norbert, Marcel und Stefan dazu, mit denen wir dann auch den Abend verbringen und zum Abschluss noch im Dunkeln durch die Festung von Valença laufen.

Riesige Weinfelder
Unterwegs treffen wir (v.l.) Stefan, Norbert und Marcel.
Peter kauft in Valença ein Paar Sandalen, die dann aber den Ansprüchen nicht genügen.
Entspanntes Biertrinken vor einem Café in Valença

Heijo geht es unverändert schlecht. Er ist völlig verschleimt und fühlt sich komplett unwohl. Wir beschließen, einen Ruhetag einzulegen und nur auf die andere Seite des Grenzflusses Rio Miño in die spanische Stadt Tui zu laufen. Diese Strecke ist mit ca. 4 km sehr überschaubar. Wir sind bald da und haben somit viel Zeit, uns in aller Ruhe vor allem die Kathedrale von Tui anzusehen. Diese hat einen sehr schönen Kreuzgang und vor allem einen tollen Garten mit Blick über den Rio Miño hinüber zum portugiesischen Valença.

In einem mit Krempel aller Art überfüllten Souvenirladen findet Peter zu unser aller Überraschung perfekt passende richtige Trekking-Sandalen, die er prompt erwirbt und sofort anzieht. Sie passen wie angegossen und sind ihm viel angenehmer als die am Vortag in Valença erstandenen.

Unser Abendessen in Tui nehmen wir in einem wirklich tollen Ambiente auf dem Platz unmittelbar vor der Kathedrale ein. Es gibt Tapas aller Art mit frisch gezapftem Bier und edlem Rotwein aus der Provinz Rioja.

Grenzbrücke zwischen dem portugiesischen Valença und dem spanischen Tui
Kathedrale von Tui
Im Claustro der Kathedrale von Tui
Garten der Kathedrale von Tui mit Blick über den Rio Miño hinüber nach Portugal
Tolles Ambiente beim Abendessen vor der Kathedrale von Tui

Am nächsten Morgen liegt dichter Nebel über der Stadt und der gesamten Umgebung, der sich nur langsam auflöst. Es geht bei einer sehr abwechslungsreichen Streckenführung vorwiegend auf schmalen Wegen durch sattgrüne Wälder und Weinfelder. Peter läuft in seinen neu erworbenen Trekkking-Sandalen und kommt erstaunlich gut zurecht. Heijo dagegen quält sich weiterhin mit seiner Erkältung, mit Halsschmerzen und Husten. In der Albergue Camino Portugués in O Porriño angekommen legt er sich erst einmal hin und ruht sich aus, während Peter und ich die Stadt erkunden und in einem Supermarkt etwas für einen kleinen Imbiss einkaufen, den wir dann in unserer Unterkunft einnehmen.

Im morgendlichen Nebel wieder zu Dritt unterwegs
Altertümliche Brücke
Weggabelung. Wir gehen nach links und nehmen den längeren, aber landschaftlich attraktiveren Camino Complementario.
Sehr schöne und abwechslungsreiche Streckenführung
Vor der Albergue Camino Portugués in O Porriño

Am Morgen entscheidet Heijo, dass er mit dem Taxi nach Redondela vorausfährt. Dort belegt er im Schlafsaal des Hostels A Conserveira drei Betten für uns und wartet auf Peters und meine Ankunft. Der Camino führt an Mos vorbei zunächst immer weiter bergauf und dann teilweise sehr steil hinunter nach Redondela. Der weite Blick hinunter in die Ebene über saftiggrüne Berghänge mit darauf verteilten kleinen Ansiedlungen reicht stellenweise bis zum Atlantik. Heijo hat im Supermarkt eingekauft und einen kleinen Imbiss für uns zusammengestellt, den wir in der Küche des Hostels zu uns nehmen.

Hier beginnt der zum Teil steile Abstieg nach Redondela.
Im Hostel A Conserveira in Redondela

Am Morgen ergibt sich eine neue, überraschende Situation. Peter hat die gleichen Symptome entwickelt wie Heijo und fühlt sich nicht in der Lage weiterzugehen. Nach dem Frühstück fahren die Beiden mit dem Taxi nach Pontevedra und suchen dort einen Arzt auf. Ich laufe alleine los. Unterwegs ruft Peter mich an und informiert mich, dass der Arzt sowohl bei ihm als auch bei Heijo übereinstimmend Angina, Kieferhöhlenvereiterung und Mandelentzündung diagnostiziert hat. Offenbar hat Heijo Peter angesteckt. Nur ich bin verschont geblieben. Der Arzt hat mehr oder weniger angeordnet, dass die Beiden die Tour abbrechen müssen.

Auf dem Weg nach Pontevedra lege ich nur zwei kurze Trinkpausen ein und komme extrem gut voran. Kurz vor dem Ziel werde ich von dem jungen Marco eingeholt, den ich ja schon angesprochen habe. Mit ihm lege ich das letzte Stück des Weges entlang eines verschlungenen, geradezu verwunschenen Bachlaufs zurück.

Versorgungsfahrzeug mitten im Wald. Hier gibt es köstlichen frisch gepressten Orangensaft.
Einer der vielen, vielen Wegweiser mit Kilometerangabe

Als ich im Hotelzimmer in Pontevedra ankomme, hat Peter bereits für sich und Heijo Rückflüge ab Porto für den nächsten Tag gebucht. Ich entscheide, allein nach Santiago de Compostela weiterzulaufen. Es macht für mich keinen Sinn, knapp 70 km vor dem Ziel abzubrechen. Damit wäre niemandem geholfen.

Den Rest des Tages nutzen wir, uns die sehr attraktive Stadt Pontevedra näher anzuschauen. Das wichtigste Gebäude der Stadt und sicher auch eine der Hauptattraktionen des Camino Portugués insgesamt ist das Santuario de la Virxe Peregrina, das Heiligtum der jungfräulichen Pilgerin. Sie gilt als mystische Pilgerführerin und Schutzpatronin der Region. Gleich neben dem imposanten Santuario liegt die aus dem 14. Jahrhundert stammende und ebenfalls sehr beeindruckende Klosterkirche San Francisco.

Santuario de la Virxe Peregrina, das Heiligtum der jungfräulichen Pilgerin
Klosterkirche San Francisco

Am frühen Morgen verabschiede ich mich von Peter und Heijo, wünsche den Beiden eine gute Heimreise und vor allem baldige Genesung und gehe frühstücken. Ab sofort bin ich alleine unterwegs. Eine Schweizerin, die beim Frühstück neben mir sitzt, empfiehlt mir als Unterkunft in Santiago de Compostela die Hospedería San Martín Pinario, ein ehemaliges Männerkloster unmittelbar neben der Kathedrale. Wie sich noch herausstellen wird, ein äußerst wertvoller Tipp.

Die Etappe nach Caldas de Reis ist mit knapp 22 km ziemlich lang, und die Mittagstemperatur von deutlich über 30 Grad fordert ihren Tribut. Kurzum, ich bin froh, als ich auf meinem Zimmer bei der Bar Timonel bin. Dieses liegt allerdings im 3. Stock, und einen Aufzug gibt es nicht. Eine echte Herausforderung am Ende eines anstrengenden Wandertages.

Auf dem Weg wurde ich von Paul und Stephanie aus Massachusetts, USA, überholt. Diese beiden sympathischen Amis hatte ich bzw. hatten wir schon x-mal getroffen, immer wieder seit der Etappe von Vila do Conde nach Rates.

Paul und Stephanie sind schneller unterwegs als ich und haben mich gerade überholt.

Die kleine Stadt Caldas de Reis kommt mir wie ausgestorben vor. Ob das daran liegt, das gerade Samstag ist? Ich treffe niemanden, kein Pilger ist zu sehen, ich finde noch nicht einmal eine Gelegenheit, irgendwo ein Bier zu trinken. Ich irre buchstäblich kreuz und quer durch den Ort und bin schon leicht frustriert. In einiger Entfernung in einer engen Straße sehe ich ein paar Sonnenschirme, aber keine Menschen. Ich gehe hin, um nachzuschauen, aber auch das zugehörige Café ist gähnend leer.

Direkt gegenüber auf der anderen Straßenseite befindet sich allerdings ein Eingang, der in einen dunklen Gang mündet. Es sieht nach einer bereits geschlossenen Weinhandlung aus. Ich gehe an vielen Regalen mit Weinflaschen vorbei und lande schließlich im Halbdunkel vor einem Tresen, mit einer Person dahinter und einer davor. Als bei mir endlich der Groschen gefallen ist, tippe ich dem Kunden von hinten auf die Schulter. Es ist Paul. Er wohnt direkt nebenan. Stephanie steht, wie er sagt, gerade unter der Dusche. Bald sitzen wir drei draußen vor der Tür. Hier sind wir genau richtig. Denn es gibt in der „Weinhandlung“ anständig was zu trinken und auch zu essen. Später kommen noch eine Hamburgerin und ein polnischstämmiger Ami aus Chicago dazu, und es wird ein vergnüglicher Abend.

Kirche in Caldas de Reis
Gemeinsamer Abend mit Paul und Stephanie

Die Strecke von Caldas de Reis nach Padrón empfinde ich als sehr angenehm. Es gibt nur wenige Steigungen und viel schöne Natur. Unterwegs telefoniere ich mit der Hospedaría San Martín Pinario in Santiago de Compostela und buche für drei Nächte ein Zimmer. Schon am Vortag hatte ich die Hospedaría in meinem besten Spanisch angeschrieben und meinen diesbezüglichen Bedarf angemeldet. Die Temperatur überschreitet um die Mittagszeit erneut die 30-Grad-Marke, und ich komme nassgeschwitzt gegen 14.00 h in Padrón an.

Im Hostal Cuco komme ich unter und sehe mir nach einer erfrischenden Dusche die geschichtsträchtige Stadt an. Genau hier soll das Schiff mit dem Leichnam des Heiligen Jakobus angekommen sein, bevor dieser mit einem Ochsenkarren zu seinem Bestimmungsort im heutigen Santiago de Compostela gebracht wurde.

Auch in Padrón treffe ich erstaunlicherweise keinen einzigen Bekannten, und zum allerersten Mal auf der gesamten Tour verbringe ich den Abend alleine.

Am Wochenende ist der Camino besonders frequentiert, auch von sogenannten Radpilgern.
Im Zentrum von Padrón

Damit ich mit Rücksicht auf die getätigte Buchung in Santiago dort nicht zu früh ankomme, lege ich noch eine Zwischenübernachtung in der Albergue La Calabaza del Peregrino in Faramello ein. Die Strecke ist mit gut 10 km vergleichsweise kurz, und ich erreiche die Unterkunft, bevor sie überhaupt geöffnet hat. Also setze ich mich auf einen bereitstehenden Stuhl vor der Tür und warte.

Besonders schöne Exemplare der für die Region typischen Kornspeicher
Nicht immer ist der Camino idyllisch.
Manchmal, aber zum Glück nicht allzu häufig, führt er auch an stark befahrenen Straßen entlang.
Unterkunft in Faramello mit der sehr freundlichen Herbergsmutter

Nach kurzer Zeit kommt ein weiterer Pilger und setzt sich dazu. Ich habe ihn in den letzten Tagen mehrfach gesehen, aber bisher nie Kontakt mit ihm gehabt. Wir stellen fest, dass wir beide deutsch sprechen. Dann sagt Alexander, dass er aus Stuttgart stammt. Eine Präzisierung ergibt als seinen Heimatort Rutesheim, ganze 6 km von meinem Wohnort Renningen entfernt.

Wir sitzen später bei einem Bier im Garten der Herberge, als sich ein weiterer Pilger von einem etwas entfernt stehenden Tisch in unser Gespräch einschaltet. Thomas ist aus Mönchengladbach, war genau wie ich am Math. Nat. und hat dort anderthalb Jahrzehnte nach mir Abitur gemacht. Manche Sachen glaubt man einfach nicht.

Wir drei verbringen noch einen vergnüglichen und feucht-fröhlichen Abend. Die äußerst freundlichen und entgegenkommenden Herbergseltern versorgen uns bestens mit Speis und Trank. Wir bekommen sogar für sehr kleines Geld unsere schmutzige Wäsche gewaschen und getrocknet.

Zur letzten Etappe bis zum Ziel in Santiago de Compostela starte ich noch im Dunkeln. Fast alle anderen aus unserem Schlafsaal sind sogar schon vor mir unterwegs. An einem Verpflegungswagen vielleicht zwei Kilometer weiter erstehe ich einen Kaffee und ein Bocadillo, ein großes belegtes Brötchen. Frisch gestärkt spule ich die letzten Kilometer ab. Die Kathedrale von Santiago de Compostela sehe ich erstmals unscharf im Dächergewirr der Stadt aus ca. 6 km Entfernung. Und dann erst wieder aus unmittelbarer Nähe, was mich sehr überrascht. Der Blick ist die ganze Zeit von engen Häuserschluchten verstellt.

Der bereits kurz vor mir angekommene Thomas empfängt mich auf dem großen Platz vor der Kathedrale und schießt die ersten Beweisfotos von mir. Kurz darauf trifft auch Alexander ein. Wir sind alle in geradezu euphorischer Stimmung. Wir haben es geschafft. Der Camino Portugués liegt hinter uns. 16 Tage habe ich für die Strecke benötigt. Dass andere es in 11, 12 oder 13 Tagen geschafft haben, stört mich nicht.

Unmittelbar nach der Ankunft am Ziel, der Kathedrale von Santiago de Compostela
Thomas (l.) und Alexander freuen sich über ihre erfolgreich absolvierte Pilgertour.

Nach einiger Zeit des Genießens mit vielen anderen Pilgern auf dem Platz vor der Kathedrale gehe ich die paar Schritte hinüber zur nahen Hospedería San Martin Pilario und nehme mein Zimmer in Besitz. Mich empfangen eine gefühlte First-Class-Atmosphäre und ein Zimmer mit Bad für 27 Euro die Nacht inklusive Frühstück. Unfassbar günstig. Die Vorlage des sorgfältig geführten Pilgerpasses ist allerdings Voraussetzung.

Meine Unterkunft, die Hospedería San Martin Pilario

Für den Nachmittag verabrede ich mich mit Alexander und Thomas auf ein Bier. Kaum haben wir Platz genommen und den ersten Schluck getrunken, da laufen die Kanadierinnen Shawna und Tamara vorbei, werden von mir abgefangen und setzen sich nach einer herzlichen Umarmung zu uns. Es wird ein sehr geselliger Tag. Am späteren Abend kommt auch noch Karo dazu, was mich ganz besonders freut. Mit dieser sympathischen frischgebackenen jungen Psychologin haben wir uns auf dem Camino immer wieder getroffen. Karo fliegt schon am nächsten Morgen in aller Frühe nach Deutschland zurück.

Von Tamara aufgenommenes Foto von Thomas, Alexander und mir

Nachzutragen bleibt, dass ich mir im Pilgerbüro im Laufe des Nachmittags noch den letzten und abschließenden Stempel für meinen Pilgerpass abhole sowie meine auf Lateinisch abgefasste Pilgerurkunde.

Meine auf Lateinisch abgefasste Pilgerurkunde …
… und mein komplett mit Stempeln gefüllter Pilgerpass, der Credencial

Am Morgen des nächsten Tages besuche ich zunächst die obligatorische Pilgermesse. Höhepunkt ist der große Weihrauch-Kessel Botafumeiro, der am Ende des Gottesdienstes von mehreren starken Männern in Gang gebracht wird und auf einem riesigen Kreisbogen quer durch das Kirchenschiff fliegt. Eine absolut eindrucksvolle und einmalige Sache. Die Legende besagt, dass die Kathedrale im Mittelalter häufig von derart vielen ungewaschenen und aus allen Poren stinkenden Pilgern bevölkert war, dass der massive Einsatz von Weihrauch mit dem Botafumeiro das einzige erfolgversprechende Mittel war, dem entgegenzuwirken.

Natürlich habe ich den Flug des Botafumeiro auch gefilmt. Ein viel besseres Ergebnis dabei hat allerdings Alexander bei einer anderen Pilgermesse erzielt. Er hat mir das Video zur Verfügung gestellt und mir erlaubt, es in diesem Blog zu verwenden.

Der Einsatz des Botafumeiro ist ein unglaubliches Spektakel (© Alexander Berg).

Die verbleibende Zeit in Santiago de Compostela verbringe ich mit der Erkundung der Stadt, einer Führung durch die Kathedrale sowie einem ganztägigen und sehr lohnenden Busausflug zum Kap Finisterre. Auch Paul und Stephanie laufen mir noch einmal über den Weg, bevor sie sich auf den Rückweg nach Porto machen.

Letztes Treffen mit Paul und Stephanie vor deren Abreise
Abschied von der imposanten Kulisse der Kathedrale von Santiago de Compostela

Ich entscheide mich, von Porto aus nach Stuttgart zurückzufliegen, und muss deshalb, damit die Termine zusammenpassen, meinen Aufenthalt in Santiago de Compostela um einen Tag verlängern. Leider gelingt es mir trotz ständigen Bemühens nicht, einen Zusatztag in der Hospedería San Martin Pilario zu bekommen. Alles ist und bleibt komplett ausgebucht.

Aus diesem Grund muss ich zum Abschluss noch einmal in einen Schlafsaal wechseln und bekomme zu allem Überfluss auch noch ein oberes Bett. Aber auch das überstehe ich, fahre mit dem Flix-Bus nach Porto, genieße diese schöne Stadt, vor allem die besondere Atmosphäre auf dem Platz vor der Kathedrale, auch einmal bei Sonnenschein und fliege am Sonntagmorgen, dem 8. Oktober, mit Eurowings nach Hause. Eine unvergessliche Tour ist zu Ende. Nur schade, dass Heijo und Peter sie nicht bis zum Ende miterleben konnten.

Vor der Kathedrale in Porto. Hier begann unsere Tour.

Ein Kommentar

  1. Karo said:

    was für eine schöne Reise-Zusammenfassung 🙂

    17. Oktober 2023
    Reply

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