Auf dem Weg von Marree nach Süden in Richtung Parachilna ist so viel Wildlife neben und auch auf der Straße, wie ich das in Australien noch nicht erlebt habe. Es gibt Kängurus und vor allem auch Emus in wirklich rauen Mengen. Immer wieder liegen tote Tiere am Straßenrand, die von Raben und mehrfach auch von Keilschwanzadlern „verwertet“ werden. Das Leben im Bereich der Straße ist wegen des ziemlich unübersichtlichen Geländes immens gefährlich, und zwar nicht nur für das Wildlife, sondern auch für deren Widersacher, die menschlichen Verkehrsteilnehmer. Ein Emu läuft mir fast ins Auto, und nur knapp entgehe ich einer Kollision. Eine Frau aus der Gegend, die mir wegen einer ungewöhnlich gestalteten Arm-Manschette auffällt, hatte kürzlich mit dem Motorrad einen Zusammenstoß mit einem Känguru und dabei mehrere Knochenbrüche erlitten. Was besonders kritisch ist, wenn das nächstgelegene und für solche komplizierten Fälle entsprechend ausgestattete Krankenhaus mehrere hundert Kilometer entfernt ist. Genau das war bei ihr der Fall. Ein deutscher Reisender, den ich etwas später treffe, hatte mit seinem PKW bei geschätzten „lediglich“ 60 km/h einen Zusammenstoß mit einem Känguru. Ergebnis: Totalschaden am Fahrzeug. Immerhin ist glücklicherweise weder ihm noch seinem Beifahrer etwas passiert.
Das Prairie Hotel in Parachilna ist eine Institution und in jedem Reiseführer lobend erwähnt, unter anderem auch wegen seiner hervorragenden Küche. In Hochglanz-Broschüren über die Flinders Ranges findet man ganzseitige Anzeigen über das Prairie Hotel und seine Vorzüge. Schon in Deutschland habe ich die GPS-Daten des Hotels ins Navigationssystem einprogrammiert. Hier will ich Sylvester verbringen. Als ich ankomme, nimmt dieses Vorhaben jedoch eine unerwartete Wendung. Wie heißt es in South Australia so schön? Expect the Unexpected. Ein Schild an der Eingangstür verkündet, dass das Prairie Hotel wie jedes Jahr im Sommer für zwei Monate geschlossen ist. Wiedereröffnung Mitte Februar. Da stehe ich nun. Ohne Plan B. Von den laut Reiseführern genau sieben Einwohnern von Parachilna ist weit und breit nichts zu sehen. Alles wirkt wie ausgestorben.
Nach kurzer Überlegung beschließe ich, auf die nahen Flinders Ranges zuzufahren und mein Glück hinter den Bergen zu versuchen. Nicht bei den sieben Zwergen, sondern im alten Minenort Blinman, der zwar auch nur ganze 18 Einwohner hat, aber eben auch ein Hotel. Das hoffentlich geöffnet hat. Denn im Kühlschrank von Leoni herrscht gähnende Leere. Ein offenes Geschäft zum Auffüllen der Bestände habe ich in den wenigen Orten am Weg nicht finden können. Ich habe jedes angefahren, aber nicht eines hatte geöffnet. Der Fluch der Feiertage.
In Blinman lösen sich alle diese Probleme in Luft auf. Denn das North Blinman Hotel hat nicht nur geöffnet, sondern hinter dem Hauptgebäude auch einen kleinen Campingplatz und veranstaltet am Abend eine Sylvester-Party. Mit Buffet, was für mich ganz wichtig ist. Und gezapftes Bier gibt es auch. Was ebenfalls ganz wichtig ist. Mein Glück ist also fast vollständig.
Jetzt erwarte ich bei der wie erwähnt nur sehr geringen Einwohnerschaft von Blinman bestimmt keine große Sause und bin daher mehr als überrascht, als sich bis zum Abend geschätzt mehr als fünfzig Personen einfinden. Der Einzugsbereich des North Blinman Hotels ist offenbar ganz beträchtlich. Und so feiere ich mit vielen Freunden, die ich vorher nicht gekannt habe, das Ende des alten und den Beginn des neuen Jahres. Einer von diesen ist George, der eigentlich Günter heißt und als kleiner Junge 1962 mit seinen Eltern aus Bayern nach Australien ausgewandert ist. Den Namen Günter konnte er seinem australischen Umfeld nicht vermitteln. Er spricht zwar noch Deutsch, tut es aber mit Rücksicht auf die anderen Anwesenden nicht, so dass ich nicht alle seine Erzählungen in vollem Umfang verstehe. Das liegt entweder am hohen Geräuschpegel, seinem australischen Slang, meinem nachlassenden Hörvermögen oder an allem zusammen.
Susan, eine andere Teilnehmerin der Runde, ist beruflich unter anderem für Führungen durch die alte Kupfermine von Blinman zuständig, die Blinman Heritage Tourist Mine, die vor ein paar Jahren für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Mit ihr mache ich am Neujahrsmorgen eine eindrucksvolle Exklusiv-Führung durch die Mine, die von 1862 bis 1907 in Betrieb war. Der Kupfergehalt des Erzes lag bei profitablen 5%, aber die Arbeit untertage war knochenhart und hochgefährlich. Immer wieder gab es Unfälle, häufig auch mit Todesfolge. Zur Verhüttung des Kupfers wurde der Wald im Umfeld weiträumig komplett abgeholzt. Das größte Problem stellte allerdings nicht die Brennholzversorgung, sondern der Transport des Kupfers zur Küste dar. Straßen waren so gut wie nicht vorhanden, und der Hafen von Port Augusta im Süden ist sehr weit entfernt.
In den letzten hundert Jahren ist der Ort Blinman stark geschrumpft. Die Einwohnerzahl lag in den 45 Jahren des Minenbetriebs in der Spitze bei immerhin 1.500 – 2.000, also leicht über den genannten 18 zum Jahreswechsel 2017/2018.
Das touristisch mit Abstand am besten erschlossene Gebiet der Flinders Ranges ist der Wilpena Pound im Flinders Ranges National Park, ein ungewöhnliches geologisches Gebilde in Form einer großen ringsum von einer Bergkette umgebenen Schüssel. Ich nutze das dem Visitor Centre angeschlossene Geschäft zum Kauf von Obst und Gemüse, entscheide mich aber gegen den Campingplatz im Inneren des Wilpena Pounds und fahre lieber zur Rawnsley Park Station etwas weiter südlich und knapp außerhalb des National Parks. Dies ist eine Schaffarm, die sich verstärkt auf den Tourismus konzentriert hat. Es gibt einen mit allen Schikanen ausgestatteten Campingplatz, aber auch die Möglichkeit zum Bush Camping. Dies kommt mir sehr entgegen, ich fahre immer weiter in das baumbestandene Gelände hinein und finde schließlich einen genialen Stellplatz an einem von dicken Eukalyptusbäumen bestandenen und zurzeit trockenen Bachlauf. Der nächste Camper lagert über einen Kilometer entfernt.
Von hier aus erkunde ich in den nächsten Tagen die Gegend. Die Südseite des Wilpena Pounds liegt zum Greifen nahe vor mir, und die Hügel hinter meinem Stellplatz ermöglichen phantastische Ausblicke in alle Richtungen über die praktisch menschenleeren Flinders Ranges. Kangaroos hüpfen an Leoni vorbei, Papageien kommen zu Besuch, und einmal kreisen gleich vier Keilschwanzadler gleichzeitig über mir. Hier kann man es aushalten. Auch die Temperaturen sind wieder ganz angenehm. Früh am Morgen 15 Grad, tagsüber 30 Grad. In ein paar Tagen sollen allerdings wieder knapp 50 Grad erreicht werden. Doch dann werde ich vermutlich bereits deutlich weiter südlich in hoffentlich kühleren Gefilden sein.
Das nächste von mir anvisierte Ziel ist das Gebiet des Murray Rivers. Für einen einzigen Fahrtag ist mir die Strecke allerdings zu lang, und ich überlege, wo ich unterwegs übernachten könnte. Susan hatte mir den Tipp gegeben, es doch mit Peterborough zu versuchen. Auf dem Weg dorthin ändert sich überraschend und praktisch übergangslos das Landschaftsbild. Plötzlich gibt es wieder Weizenfelder, genauer gesagt abgeerntete Stoppelfelder. Ich habe die berühmte Goyder´s Line erreicht.
Die Goyder´s Line ist eine gedachte Linie, die South Australia in ost-westlicher Richtung durchzieht und Orte mit durchschnittlich 250 mm Niederschlag pro Jahr miteinander verbindet. Das Gebiet südlich ist feuchter und somit für Ackerbau, sprich den Anbau von Weizen, geeignet, während das Gebiet nördlich der Linie nur für Weidewirtschaft taugt. 1865 wurde der damalige Surveyor-General der neugegründeten Kolonie South Australia George Goyder damit beauftragt herauszufinden, wie weit nach Norden Ackerbau möglich sein würde. Goyder legte tausende Kilometer auf Pferderücken zurück und lieferte anschließend sein Ergebnis ab, die später so genannte Goyder´s Line. Dummerweise war ausgerechnet 1865 ein sehr regenreiches Jahr, was viele Farmer dazu animierte, auch deutlich nördlich der Linie Land zu erwerben und darauf Feldfrüchte anzubauen. Diese Farmer mussten in den Folgejahren jedoch allesamt wieder frustriert aufgeben. Goyder hatte mit seiner Linie Recht behalten. Auch heute noch zeugen viele Ruinen von Farmhäusern nördlich der Goyder´s Line von den Fehleinschätzungen der damaligen Zeit.
Peterborough ist ein faszinierender und sehr schön herausgeputzter Ort, der sich vor Susans Hinweis überhaupt nicht auf meinem Radarschirm befand. 1875 erwarben die ersten Siedler Land in der Gegend, und 1880 wurde von der Regierung entschieden, genau auf dem Gelände der Section 216 einen Eisenbahnknotenpunkt anzulegen. Die Section 216 hatte ursprünglich dem Siedler Peter Doecke gehört, der das Land aber in der Zwischenzeit an Johann Heinrich Koch verkauft hatte. Sofort nach Bekanntwerden der Eisenbahn-Pläne segmentierte Koch das jetzt ihm gehörende Gelände in viele kleine Parzellen, die er einzeln und mit großem Gewinn an Interessenten verkaufte. Die in der Folge entstehende Stadt nannte er nach dem ursprünglichen Besitzer Petersburg(h). Im 1. Weltkrieg erfolgte dann die Umbenennung in Peterborough. Die alte Geschichte.
In Peterborough kreuzten sich die Ost-West-Strecke der Eisenbahn von Broken Hill nach Port Pirie und die Nord-Süd-Strecke von Adelaide nach Alice Springs. South Australia konnte sich auf keinen einheitlichen Standard einigen und leistete sich den Luxus, auf seinem Territorium alle drei gebräuchlichen Spurbreiten zu verwenden: Schmalspur mit 1.067 mm Spurbreite, Normalspur mit 1.435 mm und Breitspur mit 1.600 mm. Peterborough hatte ursprünglich nur Schmalspur, ab 1970 dann jedoch alle drei Spurbreiten. Das große Railroad Depot von Peterborough, das bis zu 1.500 Menschen beschäftigte, übernahm ab diesem Zeitpunkt Service und Instandhaltung für die Züge aller drei Spurbreiten. Der riesige Turntable (Drehteller), der heute noch im jetzt als Museum dienenden Depot besichtigt werden kann, ist in der Lage, Lokomotiven und Waggons aller drei Spurbreiten in das umgebende Roundhouse zu verteilen. Eine technisch anspruchsvolle und mehr als ungewöhnliche Anlage.
Die große Zeit der Eisenbahn, als bis zu 100 Dampflokomotiven pro Tag in Peterborough durchkamen, ist längst vorbei, die Stadt ist inzwischen auf nur noch 1.400 Einwohner geschrumpft, hält aber tapfer ihre Eisenbahn-Tradition hoch und hat mit dem Steamtown Heritage Rail Centre auf dem Gelände des alten Railway Depots ein Museum der Extraklasse geschaffen. Verschiedenartigste Lokomotiven und Waggons veranschaulichen über hundert Jahre australischer Eisenbahngeschichte.
Ganz vorbei ist die Eisenbahnzeit in Peterborough übrigens nicht. In beide Richtungen kommt der berühmte Indian Pacific einmal pro Woche vorbei. Für die 4.352 km lange Strecke von Sydney nach Perth bzw. umgekehrt benötigt er 65 Stunden. Erst 1969 wurde die gesamte Strecke auf Normalspur umgebaut und ist seitdem durchgängig befahrbar. Jeden Donnerstag um 11.19 Uhr fährt der aus Sydney kommende Zug in Peterborough durch. Zufällig ist es gerade Donnerstagmorgen, als ich diese Information erhalte. Natürlich lasse ich mir die sich dadurch ergebende Chance nicht entgehen und lauere dem Indian Pacific erfolgreich mit der Kamera auf.
Bei Morgan erreiche ich den Murray River und überquere ihn mit einer kostenlosen Fähre. Der Mighty Murray, wie ihn die Australier nennen, ist der wasserreichste und kombiniert mit seinem längsten Nebenfluss, dem Darling River, auch der längste Fluss Australiens. Die genaue Länge des Murray ist dabei offenbar nicht so ganz klar. Sie beträgt gemäß der deutschen Ausgabe von Wikipedia 2.375 km und gemäß der englischen 2.508 km. Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich der Murray für die junge Kolonie South Australia zu einem wichtigen Transportweg. Da er sehr flach ist, wurden vorzugsweise Paddle Steamer, Schaufelraddampfer, mit geringem Tiefgang eingesetzt. Als Transportweg spielt der Murray jedoch schon lange keine Rolle mehr. Heutzutage sind fast nur noch Touristen auf ihm unterwegs, in Hausbooten oder auf Vergnügungsdampfern.
In meiner App WikiCamps Australia habe ich einen kostenlosen Übernachtungsplatz am Ufer des Murray zwischen Blanchetown und Swan Reach gefunden, der mit der Höchstpunktzahl 5,0 bewertet ist, was sonst praktisch nie vorkommt. Den möchte ich kennenlernen. Eine gut präparierte Piste führt in ein paar hundert Metern Entfernung an der fraglichen Stelle vorbei und eine abzweigende Piste schließlich hinunter zum Fluss. Diese sieht zunächst völlig harmlos aus, wird dann aber immer steiler und steiler. Das Runterkommen geht ja noch, aber hier muss ich am nächsten Morgen auch wieder hoch. Mich erinnert das Ganze fatal an die Carretera Austral in Chile und deren Abzweig zu den Capillas de Marmól. Jens und Bärbel, ich nehme an, Ihr erinnert Euch auch gut, wenn auch nicht so gerne, an diese Stelle?!
Direkt am Ufer finde ich eine kleine ebene Fläche vor, wie geschaffen als Stellplatz für Leoni. Das sich bietende Panorama ist geradezu traumhaft und die Bewertung mit 5,0 für den Platz durchaus angemessen. Es ist knapp 40 Grad warm, und schon bald nehme ich ein erfrischendes Bad im träge dahin fließenden Mighty Murray, dem später ein weiteres folgt. Ansonsten sitze ich lange draußen im Schatten von Leoni und beobachte die zahlreich vertretene Vogelwelt. Pelikane, Kormorane, Weiße Kakadus, Zaunkönige und vieles mehr. Es ist außerordentlich stimmungsvoll.
Am nächsten Morgen lasse ich Leoni sicherheitshalber 10 Minuten warmlaufen, lege Allrad und die kleinste Untersetzung ein und fahre eigentlich problemlos die steile Rampe hoch. Ich hatte fast vergessen, was Leoni alles kann.
Sobald man im Großraum Adelaide als Deutscher identifiziert ist, wird man regelmäßig gefragt, ob man schon in Hahndorf war. Das hört sich immer etwas fremd wie Heehndoohv an, so dass ich ebenso regelmäßig mehrfach zurückfragen muss, worum es eigentlich geht. Hahndorf ist für Australier das deutsche Siedler-Dorf schlechthin. Und da es an meiner Reiseroute Richtung Kangaroo Island liegt, beschließe ich, dort Station zu machen.
Hahndorf wurde 1839 in den landschaftlich sehr ansprechenden Adelaide Hills gegründet und nach Kapitän Dirk Hahn benannt, der eine große Gruppe lutheranischer Siedler aus Preußen mit seinem Schiff Zebra 1838/1839 in 129 Tagen sicher von Hamburg nach Südaustralien gebracht hatte. Hahndorf durfte seinen deutschen Namen im Gegensatz zu vielen anderen Ortschaften im 1. Weltkrieg behalten. Das könnte damit zusammenhängen, dass Kapitän Hahn 1804 in Westerland auf Sylt, das damals unter dänischer Herrschaft stand, geboren wurde. Er galt folglich als Däne, und dänische Namen brauchte man natürlich nicht zu ändern.
Wie erwartet wirkt Hahndorf vom Erscheinungsbild her außerordentlich touristisch. Einerseits macht sich der deutsche Einfluss schon auf den ersten Blick deutlich bemerkbar, denn die alte typisch deutsche Bausubstanz ist an vielen Stellen noch gut sichtbar. Schließlich wurde solide in Stein gebaut. Andererseits hat man bei vielen Gebäuden und Geschäften keine Mühe gescheut, sich durch Namen, Bezeichnungen und Produkte irgendwie einen deutschen Anstrich zu geben. Das Ganze wirkt auf mich ein bisschen wie Disneyland. Immerhin gibt es aber zum Beispiel in der Hahndorf Inn importiertes bayrisches Bier vom Fass, in Halbliter- und Literkrügen, und nicht wie sonst in Pint-Gläsern. Und das Bier wird deutsch gezapft, also mit Schaumkrone. Ein optischer Genuss und eine lange vermisste Wohltat.
Der Weg zur Kangaroo-Island-Fähre in Cape Jervis führt über die überraschend gebirgige und landschaftlich sehr schöne Fleurieu Peninsula. Alle paar Kilometer wird am Straßenrand in kleinen Säckchen Horse Poo angeboten (s. Bild). Den Begriff bitte ggf. googeln. Dieses verlockende Angebot der lokalen australischen Landwirtschaft ist für mich etwas Neues, dem ich zumindest bisher auf der Reise noch nicht begegnet bin. Als Gastgeschenk ist so ein Säckchen wohl nicht so gut geeignet, eine andere passende Verwendung fällt mir auch nicht ein, und so sehe ich nach reiflicher Überlegung von einem Kauf ab.
Einmal sehe ich im Vorbeifahren sogar ein Schild, auf dem Magic Unicorn Poo angeboten wird. Leider versäume ich es, anzuhalten und davon ein Foto zu machen. Aber das Schild gibt es wirklich, ich schwöre es. Wer weiß, was ich da verpasst habe.
Beim Herunterfahren von der Fähre in Penneshaw auf Kangaroo Island begrüßt ein auffällig gestaltetes gelbes Schild die ankommenden Autofahrer, das auch anderswo auf der Insel und sogar in Hochglanz-Informationsbroschüren auftaucht: „Drive on left in Australia“. Darüber könnte man schmunzeln, aber dieses Schild hat durchaus seine Berechtigung. Denn immer wieder werden von Touristen aus der „rechts fahrenden Welt“ in Australien schwere Unfälle, häufig Frontalzusammenstöße, verursacht.
Das „rechts Fahren“ und als Fußgänger immer zuerst „nach links Gucken“ ist bei uns ganz, ganz tief im Innern verwurzelt. Im „quasi-stationären“ Mitschwimmen im Straßenverkehr ist das „links Fahren“ zwar kein großes Problem. Aber wehe, es taucht eine überraschende Störgröße auf. Zum Beispiel, wenn einem auf einer Piste ganz unerwartet jemand entgegen kommt, wenn man auf einer menschenleeren Straße wendet, wenn man aus einer quasi ungeordneten Verkehrssituation kommt, also z.B. von einem Parkplatz ohne Markierungen oder auch von einem Schiff herunter fährt, und sich in den Straßenverkehr einordnen muss. Es reicht auch schon, wenn man sonst irgendwie abgelenkt ist. Dann ist man ganz schnell auf der rechten und damit in Australien auf der falschen Seite der Straße.
Mir selbst ist das in den bisherigen drei Monaten in Australien zweimal passiert. Einmal, als ich in Coober Pedy auf den völlig leeren Stuart Highway einbiege und nach ein paar Sekunden erschrocken feststelle, dass ich rechts fahre. Und einmal, als ich auf einer wieder zum Glück menschenleeren Straße wende und gleichzeitig mit dem Navigationssystem kämpfe – und mich dann auf der rechten Seite der Straße wiederfinde. Umgekehrt funktioniert das Ganze übrigens genauso. Ein in Deutschland lebender Neuseeländer hat mir mal erzählt, dass er in Deutschland schon falsch herum in einen Kreisverkehr hineingefahren ist. Leider hat sich die Welt bezüglich des Straßenverkehrs bisher nicht auf einen gemeinsamen Standard einigen können.
Kangaroo Island ist eine bei Touristen sehr beliebte Insel. Dies liegt vor allem an der ungewöhnlich reichhaltigen Tierwelt. Dingos, Füchse und Kaninchen haben es nie bis auf die Insel geschafft, und so ist die Natur hier wesentlich ursprünglicher als in den allermeisten Regionen des Festlandes. Hinzu kommt, dass auf der immerhin 150 km langen und bis zu 60 km breiten Insel nur etwa 5.000 Menschen leben. Die Natur hat also viel Platz. Ungefähr ein Drittel der Gesamtfläche ist unter Naturschutz gestellt.
Die Tierwelt ist aus meiner Sicht ganz bestimmt der spannendste Aspekt von Kangaroo Island. Wahrscheinlich nirgendwo sonst sind beispielsweise Koalas so gut und problemlos zu beobachten wie hier. Auf dem besonders zu empfehlenden Western KI Caravan Park ganz im Westen der Insel sitzen sie direkt über den Zelten in den Bäumen. Tammar Wallabies hüpfen hier ebenso in reichlichen Mengen herum wie Western Grey Kangaroos, die etwas kleiner sind als ihre Verwandten auf dem Festland und ein deutlich dunkleres und längeres Fell haben.
Auch bei weiteren Tierarten gibt es farbliche Abweichungen ggü. dem Festland. Ameisenigel, Echidnas, sind beispielsweise auf Kangaroo Island geradezu sprichwörtlich „blond“. Viermal in meiner knappen Woche auf KI läuft mir einer über den Weg, was jedes Mal eine absolut faszinierende Sache ist. Zweimal bin ich gerade mit dem Auto unterwegs und zweimal zu Fuß im Gelände. Vorher habe ich noch nie einen frei lebenden Ameisenigel gesehen. Manchmal verhalten sich die Tiere, als ob ich gar nicht da wäre, und manchmal verstecken sie den gefährdetsten Teil des Körpers, nämlich den Kopf, in einem Loch oder unter einem liegenden Baumstamm und strecken einem den stachelbewehrten Hintern entgegen. Sie wissen, dass sich so leicht niemand an die Stacheln heran traut.
Viele weitere Tiere bekomme ich auf Kangaroo Island zu sehen. Am Meer Australische Seelöwen, Neuseeland-Pelzrobben, Pelikane, Schwarze Schwäne, Löffler, Kormorane, Delfine und im Busch außer den schon erwähnten Tierarten u.a. Rosenberg-Warane, Opossums, verschiedene Papageien- und Kakadu-Arten und Hühnergänse. Letztere sind wohl die einzige wasserscheue Gänseart, die es auf der Welt gibt. Man findet sie praktisch nie im Wasser, sondern immer nur grasfressenderweise auf Wiesen. Daher wurden sie von Schafzüchtern als Konkurrenten für die Schafe angesehen und fast ausgerottet. Inzwischen stehen sie unter Schutz und haben sich im Bestand erholt.
Um ein noch nicht erwähntes Tier habe ich mich besonders bemüht, allerdings völlig erfolglos: Das Schnabeltier. Wie auch der Koala war das Schnabeltier auf Kangaroo Island ursprünglich nicht heimisch. Beide Tierarten wurden in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts eingeführt, weil man ihr Aussterben auf dem Festland befürchtete. Im Bereich der Platypus Waterholes im Flinders Chase National Park ganz im Westen der Insel sollen laut Ranger-Angaben 180 dieser merkwürdigen eierlegenden Geschöpfe leben. Ich verbringe abends volle zweieinhalb Stunden auf einer der dort eingerichteten Viewing Platforms, bin völlig allein und versuche auch, mich absolut ruhig zu verhalten. Erst als es bereits völlig dunkel ist, ziehe ich leicht frustriert wieder ab. Keins der Viecher hat sich sehen lassen.
Der Westen ist sicher der attraktivste Teil der Insel. Hier liegt der schon erwähnte Flinders Chase National Park, der neben seiner Tierwelt auch über einige landschaftliche Höhepunkte verfügt, speziell die Remarkable Rocks und die Admirals Arch. Auch noch im aktiven Einsatz befindliche schöne Leuchttürme gibt es hier. Deren vor allem ehemalige Bedeutung kann man heute kaum noch ermessen. Speziell die Südküste von Kangaroo Island ist über die Zeit geradezu zum Schiffsfriedhof geworden. Immer wieder sind hier Schiffe auf die Klippen geraten und gesunken.
Von Kangaroo Island geht meine Fahrt wieder nach Osten. Bald erreiche ich die Grenze zum Bundesstaat Victoria, wo überraschenderweise keine Kontrolle der mitgeführten Lebensmittel durchgeführt wird, obwohl die Einfuhr einer ganzen Reihe landwirtschaftlicher Erzeugnisse verboten ist. Es gibt nicht einmal ein Hinweisschild. Folglich habe ich dieses Mal den Inhalt des Kühlschranks quasi umsonst fast auf Null heruntergefahren. Die Uhr wird eine halbe Stunde vorgestellt, so dass der Zeitunterschied zu Deutschland jetzt glatte 10 Stunden beträgt.
Im Grampians National Park lege ich eine mehrtägige Pause ein. Der Hauptgrund liegt darin, dass der sehr schön gelegene Caravan Park bei Halls Gap über Waschmaschinen verfügt und ein Waschtag hochnotwendig ist. Die sonst für die Wäsche zuständige Hildegard ist jetzt bereits seit vier Wochen weg, und irgendwann gehen mir halt die sauberen Sachen aus. Erfolgreich kämpfe ich mit den Tücken der verschiedenen Waschmaschinen und Trockner. Natürlich gibt es auch hier keine Standards. Fast jede Maschine ist anders und hat andere Macken – oder sagen wir Besonderheiten. Aber nach ein paar Stunden ist alles geregelt, die Betten sind neu bezogen, die jetzt wieder sauberen Sachen eingeräumt.
Danach bleibt Zeit, den Grampians Park etwas näher anzusehen. Ich schnüre die Wanderschuhe und mache mich auf den Weg. Es geht steil den Berg hoch zu einem Aussichtspunkt, der ein wirklich tolles Panorama über die Berge und die dichten Wälder bietet. Ich bin viele Stunden unterwegs und begegne nicht einem einzigen anderen Wanderer. Denen scheinen 38 Grad für solche Aktivitäten deutlich zu warm zu sein.
Auf dem Weg nach Melbourne statte ich der Goldgräberstadt Ballarat einen Besuch ab. In der Gegend wurde 1851 Gold gefunden, und der anschließende Goldrausch führte zur Gründung der heute 86.000 Einwohner zählenden Stadt. Die viktorianischen Gebäude im Zentrum lassen den Reichtum der damaligen Zeit erahnen. Verschiedene erstaunliche Nuggetfunde hatten Glücksritter aus aller Welt herbeiströmen lassen. 1858 wurde ein Nugget von 69 kg Gewicht gefunden, das sogenannte Welcome Nugget, 1869 dann der mit 97 kg noch schwerere Welcome Stranger, und auch heute geht die Goldsuche weiter, wenn auch zum Teil mit anderen Methoden. So wurde beispielsweise die 27 kg schwere Hand of Faith im Jahre 1980 mit Hilfe eines Metalldetektors entdeckt, nur 30 cm unter der Erdoberfläche. Sie ist heute im Golden Nugget Hotel and Casino in Las Vegas, Nevada, ausgestellt.
Größte Attraktion von Ballarat ist die als Living Museum gestaltete rekonstruierte Goldgräbersiedlung Sovereign Hill, nicht weit vom Stadtzentrum entfernt. Der Eintritt ist mit 55,50 AUD etwas happig, aber dafür bekommt man einiges geboten. Souvereign Hill liegt am Ort einer echten Goldmine, die auch besichtigt werden kann. Man musste folglich nicht alle Gebäude von anderswo heranschaffen und neu aufbauen, denn viele waren einfach schon da. Auf Schritt und Tritt anzutreffende Bedienstete in der Tracht der damaligen Zeit sind nicht nur Statisten, sondern halten tatsächlich den Betrieb der gesamten Anlage am Laufen. Uralte Dampfmaschinen, die täglich zwei Tonnen Holz verbrauchen, liefern beispielsweise die Energie für eine riesige, ununterbrochen laufende Pumpenanlage, welche die Mine entwässert. Ebenfalls zu bestimmten Zeiten in Betrieb ist die gigantische Anlage zum Zertrümmern des geförderten Gesteins und Auswaschen des darin enthaltenen Goldes. Es gibt jede Menge alte und faszinierende Technik zu bestaunen.
Direkt nebenan kann man das Schmelzen und In-Barren-Gießen von Gold bewundern. Der in der regelmäßig durchgeführten Show erzeugte Goldbarren ist 3,5 kg schwer und ungefähr 120.000 Euro wert. Jeder Besucher der Vorführung darf den frisch gegossenen und in Wasser abgekühlten Barren berühren, nicht aber komplett in die Hand nehmen. Das ist dem Goldgießer dann doch zu kritisch. Der Besucher könnte sich damit ja aus dem Staub machen. Unmittelbar nach der Vorführung verschwindet das wertvolle Stück dann im sicheren Safe.
Ebenfalls sehr eindrucksvoll ist eine ca. 140 Jahre alte Manufaktur von Wagenrädern. Vielleicht kann man auch schon sagen Fertigungsstraße. Nach Angaben der Betreiber wahrscheinlich die letzte verbliebene Anlage dieser Art auf der Welt.
Den ganzen Tag über werden in den verschiedenen Werkstätten auf den alten Maschinen und mit den alten Methoden Erzeugnisse hergestellt. Und alle diese Produkte stehen zum Verkauf. Lachend frage ich die Wagenradhersteller, welcher Tourist denn ein solches etwas unhandliches Wagenrad im Handgepäck mit nach Hause nimmt. Worauf ebenso lachend erwidert wird, dass gerade eben ein solches Rad nach Mauritius verkauft wurde.
Nur 100 km hinter Ballarat erreiche ich Melbourne, die Hauptstadt Victorias und mit 4,25 Millionen Einwohnern deutlich größer als das überschaubare Ballarat. Und zum ersten Mal auf der Australien-Tour erlebe ich, dass auf dem angesteuerten Caravan Park kein Platz frei ist. Nach diesem Misserfolgserlebnis bin ich noch keine 200 m weitergefahren, da werde ich an einer Ampel per Zeichensprache von dem links neben mir stehenden Autofahrer aufgefordert, die Scheibe herunter zu drehen. Er fragt, ob ich das Auto wirklich aus Deutschland mitgebracht habe. Ja, antworte ich, und der Caravan Park nebenan ist voll, und ich suche jetzt einen anderen Übernachtungsplatz. Kein Problem, kommt die Antwort, ich solle hinter ihm herfahren. Und weniger als einen Kilometer entfernt stehe ich bald im Vorgarten seines Hauses. Daniels Eltern stammen aus Bremen, sein Deutsch ist nur noch in Ansätzen vorhanden, und sein deutsches Lieblingswort ist „Schnabeltier“, was sich allerdings etwas anders anhört als gewohnt. Er und seine Frau Jennifer sind überaus nett, und ich habe einen perfekten Stellplatz für die zwei Nächte bis zur Überfahrt nach Tasmanien gefunden.
Mit dem Bus fahre ich die fehlenden ca. 10 km in die City. Auf allen Wegweisern in weitem Umkreis von Melbourne steht auch nur genau das: City, und nicht etwa Melbourne. Die Skyline ist eindrucksvoll, das Wetter mit bis zu 42 Grad schon etwas zu herrlich, doch in den Straßenschluchten sowie am Ufer des Yarra Rivers findet man viele Bäume, die sowohl etwas für die Optik tun als auch das gefühlte Klima deutlich verbessern.
Melbourne wird regelmäßig genannt, wenn die Frage nach der lebenswertesten Stadt der Welt gestellt wird. In ein paar Wochen, wenn ich mit Hildegard aus Tasmanien zurückkomme, werden wir uns diese eindrucksvolle Metropole sicher noch etwas genau anschauen.
Happy New Year, Franz,
…und immer schön „links“ fahren.
Gruß
Bernd
…..ach ja, und Horse Poo scheint 50 Cent teurer geworden zu sein. Auf den Bildern bei Google kostet der Sack meist noch 2 Dollar. Shit happens.
Another great report, Franz. Very informative! A small, relevant map near the beginning of the report would enhance it. Marilyn and I are anxiously awaiting the return of the señora. Be extra careful so you won’t have to rue a roo encounter!
Hart and Marilyn
(Currently in Teslin, Yukon)