Südliches Kolumbien bis Bogotá

Die Einreise nach Kolumbien bei der Migración ist für Hildegard und mich ganz einfach. Zum ersten Mal in Südamerika müssen wir keinerlei Formular ausfüllen. Es kommt einfach nur ein Stempel in den Pass mit 90 Tagen Aufenthaltsgenehmigung. Ganz kurz und schmerzlos. Die Einreise von Leoni bei der Aduana ist da schon etwas aufwändiger. Zunächst müssen wir Kopien von Kfz-Schein, Führerschein, Pass und Einreisestempel besorgen. Und dann wird noch ein Abdruck der Chassis-Nummer mit Pauspapier verlangt, den wir auch tatsächlich problemlos hinbekommen. Zum Glück wissen wir, wo die Nummer zu finden ist: Im rechten vorderen Radkasten, etwas hinter der Achse. Danach bekommen wir problemlos wie bisher in jedem Land üblich ein Dokument für Leoni, das bei der Ausreise wieder abzugeben ist.
Jetzt brauchen wir nur noch eine Versicherung für Leoni. Ohne Versicherung zu fahren wie in Ecuador ist in Kolumbien nicht erlaubt. Ein SOAT-Büro ist zum Glück nur ein paar Meter entfernt. Die Dame dort hat unsere Daten schon fast komplett in den Computer eingegeben, da stellt sie fest, dass Alemania als Herkunftsland eines Fahrzeugs vom System nicht vorgesehen ist. Alle möglichen Länder mit Anfangsbuchstaben A bietet das System an, nur Alemania leider nicht. Die Dame schickt uns auf die andere Straßenseite zur Konkurrenz, vielleicht kann die ja ein Fahrzeug aus Alemania versichern. Dort bietet das System Alemania zwar auch nicht an, aber hier kann man immerhin „Alemania“ manuell eintragen. Wir zahlen umgerechnet ca. 30 Euro für zwei Monate und sind nach längerer Zeit mal wieder richtig versichert. Über den ganzen Vorgang insgesamt lachen wir uns halb kaputt.

Einreise nach Kolumbien
Einreise nach Kolumbien

Ein paar Kilometer weiter in der Grenzstadt Ipiales besorgen wir an einem Cajero Automatico kolumbianisches Geld und stocken in einem Supermarkt unsere Vorräte auf. An der Grenze hatte zwar niemand das Auto, geschweige denn den Inhalt des Kühlschranks kontrolliert, aber wir waren sicherheitshalber fast ohne Vorräte angekommen.
Wir nehmen wieder die Panamericana unter die Räder, fahren bis zur Stadt Pasto und biegen dann ab zur Laguna de la Cocha. Die Landschaft ist sehr grün und erinnert an das Voralpenland. Am Straßenrand und in den Orten ist es auffällig sauber. Es geht steil bergauf, wieder runter und wieder rauf. Ab und zu gibt es Militärposten am Straßenrand, oft hinter Sandsäcken verbarrikadiert. Die Soldaten winken uns immer freundlich zu, angehalten werden wir nie. Dieses Bild wiederholt sich in den nächsten Tagen sehr oft. Die Gefährdungssituation in Kolumbien hat sich zwar in den letzten Jahren dramatisch entschärft, aber die FARC ist immer noch aktiv, und das Militär versucht, die Hauptverkehrswege abzusichern. Erst vor ein paar Wochen wurde in Kuba ein Vertragswerk zwischen Regierung und FARC vereinbart, das im kommenden März unterschrieben werden soll. Noch ist es allerdings nicht unterschrieben. Und möglicherweise gibt es Kräfte im Land, die einen kleinen Zwischenfall provozieren wollen und vielleicht auch können, um die Unterzeichnung des Vertrages noch zu verhindern. Die Regierung wirbt jedoch schon seit Längerem mit folgendem Slogan um Touristen: „Das einzige Risiko ist, dass Sie bleiben wollen.“ Hoffen wir, dass es stimmt.
Überrascht sind wir darüber, wie viele Touristen aus aller Herren Länder wir in den nächsten Tagen und Wochen in Kolumbien antreffen. Nicht nur Individualtouristen, sondern auch Pauschalurlauber in großer Zahl. Auffällig ist vor allem der sehr große Anteil von US-Amerikanern, die eigentlich nicht dafür bekannt sind, sich in als gefährlich angesehenen Ländern zu tummeln. Weiter südlich waren Ami-Touristen immer nur Randerscheinungen. Hier in Kolumbien sind sie es nicht.

Fruchtbarer Boden: Zaunpfähle entwickeln sich zu Baumfarnen
Fruchtbarer Boden: Zaunpfähle entwickeln sich zu Baumfarnen

Am nächsten Fahrtag wollen wir nach San Agustín. Das sind eigentlich überschaubare 270 km. Allerdings ist ein Teil der Strecke auf der Karte weiß markiert und damit als Piste gekennzeichnet. Wir wissen nicht genau, was uns erwartet. Es geht zunächst noch auf Asphalt steil die Cordillera Central hoch bis auf über 3.000 m zur Grenze der Amazonas-Provinz Putumayo. Ganz oben stehen in einem flachen Bereich tausende Frailejones, die nur oberhalb von 3.000 m zu finden sind. Wir treffen zum ersten Mal auf diese ungewöhnliche Pflanze und sind von deren Anblick stark beeindruckt.

Frailejones gedeihen nur oberhalb 3.000 m
Frailejones gedeihen nur oberhalb 3.000 m

Es geht anschließend wieder etliche hundert Meter steil abwärts, durch eine sonnendurchflutete fruchtbare Ebene mit riesigen Stangenbohnenplantagen und an deren Ende wieder hoch in die Berge. Der Asphalt endet, und eine nicht übermäßig gut ausgebaute Piste führt stundenlang durch den Bergurwald. Wir fahren Serpentinen rauf und Serpentinen runter, über mehrere Pässe, die jeweils mehr als 3.000 m hoch sind. Um uns herum dichte grüne Vegetation. Die Piste ist schmal und meistens nur schlecht einzusehen. Der Verkehr dagegen ist in beide Richtungen vergleichsweise enorm, es sind nicht nur PKWs und Pick-ups unterwegs, sondern auch viele LKWs und Busse. Vor allem der Gegenverkehr erzwingt ständig spannende Ausweichmanöver. Das Gelände und die Fahrt sind toll, aber das Ganze ist auch anstrengend. Vor allem hohe Konzentration ist gefordert. Nach 5,5 Stunden sind wir in Mocoa und wieder auf Asphalt. Wir haben seit der Abfahrt von der Laguna de la Cocha bis hierher nur einen Schnitt von 20 km/h geschafft. Mehr war nicht drin.
Mocoa ist die Provinzhauptstadt von Putumayo und liegt schon im Amazonastiefland, nur noch 600 m hoch. Später erfahren wir aus unseren Reiseführern, dass die von uns gefahrene Strecke über die Berge Trampolin de la Muerte genannt wird, Trampolin des Todes. Der Lonely Planet meint dazu: „One of the most dangerous and spectacular roads on the continent“. Womit er Recht haben könnte.

Unterwegs auf dem Trampolin de la Muerte
Unterwegs auf dem Trampolin de la Muerte

Sowohl vor als auch hinter Mocoa werden wir von der Polizei angehalten und nach dem Woher und Wohin gefragt. Der erste Polizist meint, es wären noch drei Stunden bis nach San Agustín, der zweite schätzt sieben. Es werden dann knapp vier. Die Strecke ist komplett asphaltiert, aber zum Teil sehr schlecht, mit Riesenlöchern. An der Grenze zur Provinz Huila, wieder einmal auf einer Passhöhe, treffen wir auf den bisher größten Militärposten, mit vielen Soldaten und sogar Radpanzern.
Kurz darauf fliegt direkt vor uns ein Andenfelsenhahn über die Straße, der berühmte Cock of the Rock mit seinem markanten roten Kopf. Natürlich viel zu schnell für ein Foto. Schon in Mindo bei unserer Vogelbeobachtungstour hatten wir vergeblich gehofft, einen dieser ungewöhnlichen Vögel zu sehen. Und jetzt treffen wir ganz unverhofft auf ihn. Wikipedia weiß zu diesem Vogel Folgendes: „Zur Brutzeit treffen sich bis zu 50 Männchen auf einer Lichtung zur Gruppenbalz. Das Männchen sitzt auf einem Ast oder einem Felsvorsprung und wirbt mit dem Aufstellen der Federnhaube und lautem Rufen um Weibchen. Das Weibchen baut an einer geschützten Felswand oder in einer Höhle ein schalenförmiges Nest aus Lehm und bebrütet die gewöhnlich zwei Eier alleine.“ Somit können sich auch die erfolgreichen Männchen, ohne sich mit dem Brutgeschäft aufhalten zu müssen, auf die verbliebenen noch nicht begatteten Weibchen konzentrieren. Ein durchaus interessantes Verfahren.
Kurz vor der Dämmerung erreichen wir San Àgustin. Da wir nicht wissen, wo die angestrebte Finca El Maco liegt, auf der wir Weihnachten verbringen wollen, heuern wir im Ort ein Taxi an, das vorausfährt und uns den Weg zur Finca zeigt. Das letzte Stück vor dem Ziel ist dann unerwartet steil. Leoni schafft es nicht ohne Allrad. Es ist die kleinste Untersetzung nötig, um hoch zu kommen.

Pferde gehören zum Straßenbild von San Agustín
Pferde gehören zum Straßenbild von San Agustín
In San Agustín
In San Agustín

San Agustín liegt am Oberlauf des Rio Magdalena, des größten Flusses von Kolumbien, eingebettet in eine herrliche und sehr fruchtbare Landschaft, in der vor allem Zuckerrohr und Kaffee angebaut werden. In und um San Agustín herum befinden sich die wichtigsten archäologischen Stätten von Kolumbien, die seit 1995 Weltkulturerbe-Status haben. Im Umfeld des Ortes wurde eine Vielzahl von Gräbern mit imposanten Steinskulpturen gefunden. Diese stellen anthropomorphe Götter und Dämonen dar und stammen vorwiegend aus dem Zeitraum 200 v. Chr. bis 700 n.Chr. Über die zugrunde liegende Kultur ist wenig bekannt.
Auf der Finca El Maco lernen wir Francisco „Pacho“ Muñoz kennen. Mit ihm unternehme ich am Morgen des Heiligabends einen vierstündigen Ausflug hoch zu Ross. Hildegard nutzt die Zeit, um Leoni für das bevorstehende Fest zu schmücken und aus Sternanis, Zimtstangen und Gewürznelken weihnachtliche Düfte zu erzeugen. Pacho und ich reiten quer durch die Landschaft und besuchen insgesamt vier der vielen archäologischen Fundstätten. Unsere beiden Pferde sind energiegeladen, es geht rauf und runter, und wenn das Gelände anfängt anzusteigen, fangen unsere Rösser von sich aus an zu traben und dann zu galoppieren. Ich bin noch nie galoppiert, aber es geht ganz gut, und ich falle zum Glück kein einziges Mal runter. Irgendwann animiere ich mein Pferdchen, auch dann mal zu galoppieren, wenn es gerade nicht bergauf geht, und das tut es offenbar sehr gerne.

Halbtagesausflug hoch zu Ross in San Agustín
Halbtagesausflug hoch zu Ross in San Agustín
Hoch über dem jungen Rio Magdalena
Hoch über dem jungen Rio Magdalena
Felsbild in La Chaquira
Felsbild in La Chaquira

Zuerst besuchen wir La Pelota und El Purutal, dann La Chaquira und später noch El Tablón. Vor allem die bemalten Statuen in El Purutal (s. Foto über diesem Beitrag) sind beeindruckend, aber die uns umgebende Landschaft ist es fast noch mehr. Es macht wahnsinnig Spaß, dort einfach hindurch zu reiten. Unser Rückweg führt mitten durch San Agustín, und das letzte ziemlich lange Stück entlang der Straße reiten wir in vollem Galopp. Es ist ein phantastischer Halbtagesausflug. Einer, der lange in Erinnerung bleiben wird. Und das nicht nur, weil mir anschließend tagelang der Hintern weh tut.

Heiligabend in Leoni
Heiligabend in Leoni
Am Kirchenportal nach dem Weihnachtsgottesdienst
Am Kirchenportal nach dem Weihnachtsgottesdienst

Beim Weihnachtsgottesdienst in San Agustín ist die Kirche erstaunlicherweise nur gut zur Hälfte gefüllt. Die Kolumbianer sind offenbar keine besonders eifrigen Kirchgänger. Natürlich fallen wir auch hier auf wie bunte Hunde. Gegen Ende werden wir dann von einer Art Vorbeter von der Kanzel aus vielleicht 30 Meter Entfernung persönlich begrüßt und gefragt, wo wir denn her sind. Hildegard ruft in das Kirchenrund: „De Alemania“. Was zur Folge hat, dass die guten Beziehungen der Pfarrgemeinde zu Deutschland ausgiebig gewürdigt werden.

Grab mit Wächterfigur in Alto de los Ídolos
Grab mit Wächterfigur in Alto de los Ídolos
Grab mit phantastisch gearbeitetem steinernen Sarkophag-Deckel in Alto de los Ídolos
Grab mit phantastisch gearbeitetem steinernen Sarkophag-Deckel in Alto de los Ídolos

Um die weiter weg liegenden Sehenswürdigkeiten rund um San Agustín kennenzulernen, haben wir eine Tagestour mit Fahrer gebucht. Dieser bringt uns zunächst zum Estrecho del Rio Magdalena. Dies ist eine laut Reiseführer genau 2,20 m breite Engstelle des Rio Magdalena in einer wildromantischen Schlucht. Anschließend kommen in schneller Folge mehrere Wasserfälle und archäologische Fundstellen. Am eindrucksvollsten finden wir Alto de los Ídolos und Alto de las Piedras. Diese beiden gut 20 km von San Agustín entfernten Ausgrabungsfelder gefallen uns am besten. Im Gegensatz zum Parque Arqueológico 3 km außerhalb von San Agustín sind hier alle Gräber und Skulpturen in situ, also am originalen Fundort. Die Gräber erinnern stark an die Hünengräber in Deutschland, zum Beispiel auf Rügen, aber die Wächterfiguren vermitteln dann doch einen ganz anderen, exotischeren Eindruck.

Grab im Parque Arqueológico in San Agustín
Grab im Parque Arqueológico in San Agustín
Im Parque Arqueológico in San Agustín
Im Parque Arqueológico in San Agustín

Den schon erwähnten Parque Arqueológico von San Agustín besuchen wir zweimal. Zum Einen sind wir beim ersten Mal zu spät vor Ort und schaffen die komplette Besichtigungsrunde nicht mehr ganz, und zum Anderen sind praktisch alle Skulpturen nach Osten ausgerichtet, so dass deren Rückseiten von der Nachmittagssonne perfekt ausgeleuchtet sind, die deutlich interessanteren Vorderseiten aber eben leider nicht. Für einen Fotografen keine wirklich akzeptable Situation.
Im Freigelände und im Museum des Parque Arqueológico ist eine Unmenge von Steinstatuen aus der weiteren Umgebung von San Agustín zusammengetragen und ausgestellt. Diese sind zwar sowohl einzeln als auch in Summe sehr eindrucksvoll, aber das Ganze wirkt trotz mehrerer auf dem Gelände selbst gefundener Gräber nicht so authentisch wie die bereits beschriebenen Stätten Alto de los Ídolos und Alto de las Piedras.
Unser nächstes Ziel ist die Kolonialstadt Popayán, die wieder auf der Westseite der Cordillera Central liegt, so dass wir diese zum zweiten Mal überqueren müssen. Die Straße ist zunächst asphaltiert, aber dann im Puracé-Nationalpark, wo es bis auf über 3.200 m hoch geht, eine allerdings gut befahrbare Piste. Die Landschaft ist wunderschön, mit viel Bergurwald und im oberen Teil wieder mit großen Flächen voller Frailejones. Bei der Mittagsrast in einem kleinen Straßenrestaurant spricht uns eine junge Kolumbianerin an. Und zwar auf Deutsch. Sie wohnt in Fellbach bei Stuttgart, ist auf Heimaturlaub in Kolumbien und freut sich, dass europäische Touristen sich wieder trauen, in ihrem Heimatland mit dem Auto herumzufahren.
Auf dem Campingplatz Rayos del Sol in der Nähe von Popayán lernen wir bei unserer Ankunft die Berliner Uwe und Barbara kennen, die schon seit vielen Jahren mit ihrem jeweils aktuellen Camping-Fahrzeug die Welt bereisen. Abends gibt es folglich viel zu erzählen.

An der Plaza von Popayán
An der Plaza von Popayán
Im Zentrum von Popayán
Im Zentrum von Popayán

Die Stadt Popayán ist eine der vielen Ciudades Blancas (Weiße Städte) in Südamerika. Sie gilt nach Cartagena als die schönste Kolonialstadt Kolumbiens. Wir fahren mit dem Taxi ins Zentrum und erfreuen uns an der eindrucksvollen Kolonialarchitektur. Popayán hat ganz ähnlich wie Sucre in Bolivien, eine andere schon von uns besuchte Ciudad Blanca, ein sehr geschlossenes Stadtbild ganz in Weiß.

Wunderschöne Landschaft in der Nähe von Silvia
Wunderschöne Landschaft in der Nähe von Silvia
Anschieben eines LKWs in Silvia. Ich bin der 5. von links. Rechts neben mir ein Guambiano in Tracht
Anschieben eines LKWs in Silvia. Ich bin der 5. von links. Rechts neben mir ein Guambiano in Tracht

Die Guambiano-Indianer gelten in Kolumbien als einer der ganz traditionellen Stämme, die eisern an ihrer Kultur und Sprache festhalten. Nicht nur die Frauen, sondern auch die Männer tragen fast ausnahmslos ihre herkömmliche Tracht. Die Guambianos leben in den Bergen hinter dem Ort Silvia, der nur etwa 50 km nordöstlich von Popayán liegt. In Silvia angekommen ist meine erste Aktion mitzuhelfen, einen LKW anzuschieben, der nicht anspringen will. Mein Nebenmann dabei ist ein waschechter Guambiano in Tracht. Es ist zwar gerade kein Markttag, aber trotzdem sind viele Guambianos auf der Plaza anwesend, und so ergeben sich einige Chancen, Fotos zu machen.

Guambiano-Paar in Tracht
Guambiano-Paar in Tracht
Straßenszene in Silvia
Straßenszene in Silvia

Am Flussufer am Ortsrand fragen wir mehrere Anwohner, ob wir dort übernachten können, was jeweils bejaht wird. Es folgt eine ruhige Nacht. Es ist unsere erste Übernachtung mit freiem Campen seit dem Überfall Mitte Oktober.
Um nach Tierradentro zu kommen, der zweitwichtigsten Ausgrabungsstätte in Kolumbien, müssen wir die Cordillera Central ein weiteres Mal überqueren. Das erste Stück hinter Silvia ist Piste, doch dann kommt eine sehr gute Straße, die fast autobahnartig ausgebaut ist. Auf dieser geht es hoch bis auf über 3.300 m. Wieder treffen wir in den Höhenlagen auf große Flächen mit Frailejones. Wir freuen uns jedes Mal, wenn wir diese tollen Pflanzen sehen. Es ist neblig und beginnt zu regnen. Ganz abrupt und völlig überraschend endet die gut ausgebaute Straße, und ein Feldweg beginnt. Es ist wirklich nicht mehr als ein enger, holpriger Feldweg. Dieser geht später über in eine viele Kilometer lange Baustelle durch hochgradig schwieriges Gelände. Mit Bergrutschen und allen Schikanen. Aber es ist Sylvester, und niemand arbeitet, denn in Kolumbien sind jetzt Ferien. Verkehr ist erstaunlicherweise und zu unserem großen Glück auch fast keiner. An vielen Stellen hätte ich bei Gegenverkehr nicht mehr gewusst, was zu tun wäre. So aber kommen wir ganz gut durch.
Beim Parque Arqueológico Tierradentro etwa einen Kilometer unterhalb von San Andrés de Pisimbala checken wir auf einer kleinen Wiese neben der Hospedaje Lucerna ein. Um rückwärts dorthin zu kommen, müssen wir mit Steinen eine Rampe bauen und Allrad einlegen. Dann aber haben wir einen sehr schönen Stellplatz. Nicht ganz unerwartet treffen kurz darauf Uwe und Barbara ein und beziehen einen dafür freigehaltenen Platz direkt vor Leoni. Vor unseren Autos sitzend verbringen wir unter einem herrlichen Sternenhimmel gemeinsam den Sylvester-Abend. Die mannsgroße Puppe, die von den Anwohnern vor dem Haus an einem Holzpfahl platziert wurde, wird kurz vor Mitternacht angesteckt und brennt bald lichterloh. Fünf weitere ähnliche Puppen die ganze Straße hinauf brennen ebenfalls. Das alte Jahr wird symbolisch verbrannt.

Einstieg in ein Grab in Tierradentro
Einstieg in ein Grab in Tierradentro
Steil geht es in das Grab hinab
Steil geht es in das Grab hinab

An Neujahr ist der Parque Arqueológico geschlossen, und so müssen wir uns einen Tag gedulden, bis wir die Gräber besichtigen können, für die Tierradentro bekannt ist. In den Gräbern wurden auch Statuen ähnlich denen gefunden, die wir schon aus San Agustín kennen. Sie sind aber weniger eindrucksvoll. Die Gräber selbst sind hier eindeutig das Interessante. Schon früh am Morgen laufen wir den steilen Berg hoch und besuchen zunächst die Fundstelle Segovia, dann Duende und El Tablón. Am eindrucksvollsten finden wir die tief in den Fels geschlagenen und zum Teil bunt bemalten Gräber in Segovia.

Bestattungsurnen in tief in den Fels hinein gemeißeltem Grab
Bestattungsurnen in tief in den Fels hinein gemeißeltem Grab
Reich verziertes Grabinneres in Segovia
Reich verziertes Grabinneres in Segovia

Das wiederholte Hinein- und wieder Herausklettern aus den tiefen Gräbern ist anstrengend und eine im wahrsten Sinne des Wortes schweißtreibende Sache. Bald sind wir patschnass geschwitzt. Nach insgesamt 3,5 anstrengenden Stunden kommen wir oben in San Andrés an, wo wir in einem kleinen Restaurant erfreulich gut zu Mittag essen. Anschließend laufen wir die Straße hinunter zu unserem Übernachtungsplatz.
Der Rio Magdalena fließt eingezwängt zwischen der Cordillera Central und der Cordillera Oriental nach Norden. Die Gebiete, die er dabei durchquert, sind vergleichsweise sehr trocken. Am deutlichsten wird dies in der Desierto de Tatacoa, die wüstenartig wirkt und ja auch so heißt (desierto = Wüste), aber in Wirklichkeit keine Wüste ist. Immerhin fallen hier jährlich 1.100 mm Niederschlag. Tatacoa liegt nur noch knapp 400 m über dem Meeresspiegel, und es ist hier eigentlich immer ziemlich heiß. Bei unserer Ankunft am späten Nachmittag zeigt das Thermometer imposante 42 Grad. Es folgt eine unangenehm warme Nacht. Am frühen Morgen herrschen draußen immer noch erstaunliche 27 Grad. In Leoni ist es sogar 29 Grad warm.
Wir entscheiden uns zu einem schnellen Aufbruch und fahren zwei Stunden lang über eine ziemlich schlechte Piste nach Norden, bis wir endlich auf einer alten Stahlbrücke den Rio Magdalena überqueren können und auf die Hauptstraße in Richtung Bogotá stoßen.

Alte Stahlbrücke über den Rio Magdalena
Alte Stahlbrücke über den Rio Magdalena

Bei Espinal biegen wir jedoch nach Westen ab und beginnen unsere nun schon vierte Überquerung der Cordillera Central. Bald wird die Straße zur vierspurigen Autobahn. Vor uns im Gebirge hängen dichte Wolken. Es geht immer weiter hinauf, und es beginnt zu regnen. Der Zustand der Straße verschlechtert sich, es beginnen lange Baustellen-Abschnitte. Riesige halbfertige Brücken und Tunnel verunzieren die Landschaft. Und endlose Blechlawinen quälen sich mühsam in beide Richtungen. Auf 3.260 m erreichen wir endlich die Passhöhe. Ein ziemlich ortsfestes Gewitter hängt direkt über uns, und es regnet vom Himmel hoch. In Serpentinen geht es langsam hinunter nach Armenia. Wir sehen an diesem Tag jede Menge Unfälle, mehr Unfälle als in den letzten 15 Monaten insgesamt. Zum Teil sind dies leichte Auffahrunfälle, aber es gibt auch brutale Frontal-Crashs gegen LKWs im Überholverbot.

Touristenandrang in Salento
Touristenandrang in Salento
Kranzniederlegung am Denkmal von Simon Bolivar
Kranzniederlegung am Denkmal von Simon Bolivar

Wir sind jetzt mitten in der Zona Cafetera, dem Hauptanbaugebiet von Kaffee in Kolumbien. Unser erster Anlaufpunkt ist Salento, wo wir sowohl überrascht sind über das tolle Stadtbild als auch über die Menschenmassen, die zur 174-Jahr-Feier angereist sind. Salento ist sehr auf Tourismus eingestellt und wird in einem halben Jahr vermutlich auch eine 174,5-Jahr-Feier organisieren. Nachmittags findet am Denkmal von Simon Bolivar zur Feier des Tages eine etwas operettenhaft wirkende Kranzniederlegung mit Militär-Spalier und anschließender Flaggenparade statt.

Valle de Cocora
Valle de Cocora
Bis zu 65 m hohe Wachspalmen im Valle de Cocora
Bis zu 65 m hohe Wachspalmen im Valle de Cocora

Salento liegt am Eingang zum Valle de Cocora. Unsere Fahrt dorthin ist folglich ganz kurz. Das Tal ist einfach nur wunderschön und wird dominiert von den bis zu 65 m hohen Wachspalmen, den höchsten der Welt. Es gibt sie nur in Kolumbien, und das auch nur oberhalb von 2.000 m. Es wimmelt auch hier von Touristen, die großenteils hoch zu Ross ein Stück das Tal hoch- und wieder hinunterreiten. An unserem Stellplatz bei einem großen Restaurant am Ende des Tales ist ein Andrang, wie wir ihn auf der gesamten Reise noch nicht erlebt haben. In schneller Folge müssen wir immer wieder die gleiche Geschichte erzählen. Ob wir wirklich mit dem Auto aus Deutschland gekommen sind, ob wir wirklich alle diese Länder auf der Karte am Auto schon besucht haben, etc. Eine Zeitlang ist das ja ganz nett, aber irgendwann wird es lästig.

Filandia, in Bildmitte gelber Willy
Filandia, in Bildmitte gelber Willy
Eckhaus an der Plaza in Filandia
Eckhaus an der Plaza in Filandia

Filandia liegt ebenfalls in der Zona Cafetera, ist nicht allzu weit von Salento entfernt und von Alter, Aufbau und Architektur ganz ähnlich. Es fehlt allerdings die extreme Ausrichtung auf den Tourismus, und es wird auch gerade keine 174-Jahr-Feier begangen. Alles wirkt ein bisschen ruhiger und beschaulicher. Auffallend sind auch hier die vielen alten US-Jeeps aus den 50er Jahren, die sogenannten Willys. Sie haben in der gesamten Zona Cafetera quasi Kultstatus, sind in allen erdenklichen Osterei-Farben lackiert, dabei aber hervorragend in Schuss und werden als Kleinbusse sowie Transporter für alles Mögliche eingesetzt.
Kaum sind wir am nächsten Morgen aus Filandia herausgefahren, da werden wir von der Polizei angehalten. Und zum ersten Mal in Kolumbien überhaupt werden wir nach Dokumenten gefragt. Die Polizisten wollen konkret unsere Reisepässe sehen. Kopien reichen ihnen nicht. Wir müssen also die Originale hervorkramen. Den kolumbianischen Einreisestempel, der die Polizisten besonders interessiert, können sie dann jedoch nicht finden. Und offenbar auch nicht identifizieren. Das Format scheint unbekannt zu sein. Wahrscheinlich haben die Herren nicht allzu oft ausländische Pässe in Händen. Wir müssen aushelfen. Interessant ist, dass der Fahrer des nächsten angehaltenen Autos sich breitbeinig auf Waffen abtasten lassen muss. Das bleibt uns erspart.
Auf der Fahrt zu unserem nächsten Ziel, der Kaffee-Estancia Guayabal, machen wir einen kleinen Abstecher zu den Termales de Santa Rosa. Sie liegen am Ende einer malerischen Schlucht und schon ziemlich tief in den Bergen. Wir zahlen teure 2 x 50.000 Pesos Eintritt, immerhin ca. 2 x 15 Euro, ziehen uns um und gehen ins angenehm warme Wasser. Es gibt eine ganze Reihe Wasserfälle vor Ort, die meisten sind kalt, aber einer, der über eine Art Sinterterrasse direkt ins Thermalbecken stürzt, ist buchstäblich kochendheiß. Auf unserer Reise haben wir immer wieder mal gerne ein Thermalbad aufgesucht. Dies ist jedes Mal eine angenehme Abwechslung. Auch dieses Mal bereuen wir unseren Besuch nicht.

Kaffee-Hacienda Guayabal
Kaffee-Hacienda Guayabal

Die 64 ha große Hacienda Guayabal liegt in der Nähe des Städtchens Chinchiná und ist eine ausgesprochen schöne Kaffee-Finca. Vor 20 Jahren haben sich die Besitzer mit einem kleinen Hotel- und Restaurationsbetrieb neben der Kaffee-Produktion ein zweites wirtschaftliches Standbein verschafft. Auch für Overlander wie uns steht auf einer Wiese ausreichend Platz zur Verfügung.
Wir sind mehrere Tage da und genießen das wunderschöne Ambiente. Das Wetter ist allerdings etwas durchwachsen. Normalweise sollte es zu dieser Jahreszeit in der Zona Cafetera trocken sein. Die trübe Witterung und der zurzeit ziemlich regelmäßige Regen werden auf das dieses Jahr besonders starke El-Niño-Phänomen zurückgeführt. Dabei haben wir bisher von El Niño 2015/2016 direkt eigentlich noch gar nichts mitbekommen. El Niño schlägt bisher vor allem in Gegenden zu, die wir schon verlassen haben. Von den zum Teil gigantischen Regenfällen und Überschwemmungen in den von uns besuchten Gebieten in Brasilien, Paraguay, Argentinien und Chile wissen wir nur aus den Medien.
Als wir am ersten Abend auf der Restaurant-Terrasse sitzen, kommt genau in meinem Blickfeld ein Meteor herunter, wahrscheinlich der größte, den ich je gesehen habe. Ein Riesen-Feuerball, der hell aufleuchtet, dann kurz verschwindet, erneut aufleuchtet und entweder verglüht oder in der Nähe einschlägt.

Bei der Kaffee-Ernte
Bei der Kaffee-Ernte
Zweige voller Kaffee-Kirschen
Zweige voller Kaffee-Kirschen

Wir nehmen auf der Finca an einer Kaffee-Tour teil, die fast einen ganzen Tag in Anspruch nimmt. Zuerst werden wir in die Historie und die weltweiten Zusammenhänge des Kaffeeanbaus eingeführt, und dann folgt ein ausführlicher Gang durch die Plantage, bei dem auch die Technik mit Trocknungsanlage, Trennung in beste und nachgeordnete Qualitäten etc. nicht zu kurz kommt. Natürlich dürfen wir auch ein bisschen Kaffee pflücken. Das gehört dazu. Nach dem ausgezeichneten Mittagessen folgt die Kaffeeverkostung. Und die ist durchaus komplex. Es geht nicht vordergründig darum, nach dem Essen einen Verdauungskaffee zu kochen und zu trinken, vielmehr erfahren wir zusätzlich unmittelbar durch Verkostung den Effekt von grob, mittel und fein gemahlenem Kaffee, die Auswirkungen der Wassertemperatur bei der Kaffeezubereitung, etc. Die Einflüsse der verschiedenen Parameter auf den Geschmack sind ganz enorm und für uns ziemlich überraschend. Insgesamt ist die Kaffee-Tour eine ausgesprochen interessante Angelegenheit. Wir lernen eine Menge dazu.

Vogel-Futterstelle mit aufgeschnittenen Bananen
Vogel-Futterstelle mit aufgeschnittenen Bananen
Auch Mandarinen werden gerne angepickt
Auch Mandarinen werden gerne angepickt
Kolibris bevorzugen Blüten
Kolibris bevorzugen Blüten
Blaustirnmotmot oder Baranquillo
Blaustirnmotmot oder Baranquillo

Eine Besonderheit der Finca und eigentlich auch von ganz Kolumbien ist die Vielzahl der vorhandenen Vogelarten. Bezüglich der Biodiversität oder biologischen Vielfalt insgesamt ist zwar Brasilien aufgrund seiner enormen Größe führend, bei der Biodiversität pro Fläche hat dagegen Kolumbien die Nase vorn. Auf der Finca gibt es etliche Futterstellen, an denen den verschiedenen Vögeln aufgeschnittene Bananen angeboten werden, die sie offenkundig zum Fressen gern haben. Natürlich sind diese Futterstellen auch besonders gut zur Beobachtung geeignet. Aber nicht nur dort trifft man interessante Vögel an. Kolibris interessieren sich zum Beispiel weniger für Bananen und mehr für Blüten. Und zwei Smaragd-Tukane werden von Hildegard hoch oben in einer Palme entdeckt, wo sie sich an den reifen Palmfrüchten gütlich tun. Dasselbe Tukan-Pärchen beobachten wir dann am nächsten Morgen beim Bad in einem wassergefüllten Astloch.

Smaragd-Tukane mögen die roten Palmfrüchte
Smaragd-Tukane mögen die roten Palmfrüchte
Smaragd-Tukane beim morgendlichen Bad, rechts im Bild die Badewanne, eine wassergefüllte Vertiefung
Smaragd-Tukane beim morgendlichen Bad, rechts im Bild die Badewanne, eine wassergefüllte Vertiefung

Nach einigen wunderschönen Tagen auf der Finca machen wir uns auf den Weg nach Bogotá. Dazu müssen wir zum fünften Mal über die Cordillera Central. Es geht hoch bis auf 3.690 m. Die Straße ist perfekt ausgebaut, und der Verkehr ist überschaubar. Es wird die leichteste der fünf Überquerungen. Im Tal des Rio Magdalena übernachten wir bei tropischen Temperaturen auf nur noch 200 m Höhe, bevor wir am nächsten Tag die Cordillera Oriental hochfahren ins temperaturmäßig deutlich angenehmere Bogotá, das auf 2.500 m liegt.
Hier wollen wir in der allseits empfohlenen Kfz-Werkstatt Iguana 4×4 verschiedene Dinge an Leoni in Ordnung bringen lassen. Vor allem der Rost um die Windschutzscheibe herum muss beseitigt werden, was Theo aus Erkelenz uns auf der Finca Sommerwind ganz besonders ans Herz gelegt hatte. Wir können gemeinsam mit ein paar anderen Overlandern auf dem Gelände der Werkstatt übernachten und sind somit bei allen Arbeiten hautnah dabei.

2 Comments

  1. Bernd said:

    Hallo Leoni-Team,
    ich wünsche Euch ein gutes und gesundes neues Reisejahr 2016.
    Wie ich lese, habt Ihr ja schon damit angefangen, gesünder zu leben, seid Ihr doch von Weintrauben auf selbstgepflückte Kaffeebohnen umgestiegen. Daraus schließe ich, dass Ihr während der Fahrt 2016 keinen Wein, sondern Kaffee tinken werdet. Bei den Straßen in Kolumbien (Trampolin de la Muerte) sicherlich eine gute Entscheidung.
    Allzeit gute Fahrt.
    Bernd

    15. Januar 2016
    Reply
  2. Denise said:

    Hallo Ihr Beiden,
    ich wünsche Euch noch ein gutes neues Jahr – mit hoffentlich nur noch schönen Erlebnissen! Ich schaue immer mal wieder auf Eure Seite und lese die spannenden Berichte; so reise ich in Länder, die ich noch nicht besucht habe – Kolumbien steht ziemlich weit oben auf meiner „Wunschliste“.
    Bis zum nächsten Blog, alles Gute, Denise

    26. Januar 2016
    Reply

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