29.06. – 17.07.2018
Bei Townsville beginnt das 1988 von der UN als World Heritage Area anerkannte Gebiet der Wet Tropics of Queensland. Dieses schützt den verbleibenden Rest des tropischen Regenwaldes, der in den letzten 150 Jahren durch die weiße Besiedlung und den dadurch verursachten massiven Holzeinschlag stark zu leiden hatte. Trotz der bedeutenden Verluste sind jedoch immer noch riesige Gebiete erhalten geblieben. Diese werden heute u.a. durch National Parks vor der weiteren Zerstörung bewahrt. Auch hier ist das geschützte Gebiet – wie in Südwest-Australien – keine einheitliche, zusammenhängende Fläche. Vielmehr besteht es aus einer Vielzahl von Einzelgebieten, die auf der Landkarte den Eindruck eines Flickenteppichs erzeugen. Durch Zukäufe versucht die Regierung, das Gebiet zu vergrößern und abzurunden.
Früher waren Kasuare im tropischen Regenwald von Nord-Queensland weit verbreitet. Diese großen, flugunfähigen und sehr imposanten Laufvögel gibt es nur hier und auf Neuguinea. Doch durch Verkleinerung ihres Lebensraums, durch wildernde Hunde und auch durch Verkehrsunfälle ist ihre Zahl inzwischen auf geschätzt weniger als tausend zusammengeschrumpft. Kasuare sind mit bis zu 1,75 m Körpergröße etwas kleiner als Emus, dafür aber deutlich gewichtiger. Konkret können sie bis zu 90 kg schwer werden, und das ist eine ganze Menge. Ein Küstenabschnitt zwischen Townsville und Cairns, die Cassowary Coast, ist nach ihnen benannt. Dem Vernehmen nach soll auf dem Campground von Etty Bay, in der Nähe von Innisfail und unmittelbar an den Moresby Range National Park angrenzend, die Chance am größten sein, Kasuare in Australien in freier Wildbahn zu sehen.
Also fahre ich dorthin und checke für zwei Tage auf dem ziemlich engen Campground ein. Das Wetter ist leider so wie meistens in letzter Zeit. Es regnet. Und das Einzige, was ich zunächst zu sehen bekomme, sind Hinweisschilder, die um Rücksicht auf Kasuare bitten bzw. vor den im tropischen Australien fast allgegenwärtigen Salzwasserkrokodilen warnen. Das englische Wort „warning“ wird bei diesem immer wieder und überall auftauchenden Standard-Schild sicherheitshalber durch das deutsche „Achtung“ und das entsprechende chinesische Pendant ergänzt. In einer Regenpause laufe ich kurz nach der Ankunft am Strand und am Rand des Urwalds entlang. Von Kasuaren ist nichts zu sehen.
Am nächsten Morgen regnet es immer noch, so dass ich bis auf zwei kurze und erfolglose Kasuar-Pirschgänge den ganzen Vormittag in Leoni verbringe. Erst um die Mittagszeit raffe ich mich wieder auf, um im Kiosk nebenan einen warmen Lunch zu organisieren. Die Hoffnung auf einen Kasuar habe ich inzwischen fast schon aufgegeben. Doch kaum biege ich ein paar Meter von Leoni entfernt um eine Ecke, da steht zwischen den Wohnwagen und Caravans ein leibhaftiger, ausgewachsener Kasuar vor mir. Ich kann es fast nicht glauben. Der Regen spielt jetzt keine Rolle mehr. Ausgiebig wird der mannsgroße Vogel fotografiert. Er zeigt wenig bis gar keine Scheu. Ungeniert spaziert er sogar in die unverschlossenen Vorzelte hinein und sucht nach Essbarem. Ich beobachte, wie er eine offen herumliegende Banane aufspürt, diese zunächst komplett hinunterschlingen will, sich dann, als das nicht gelingen will, eines anderen besinnt, die Banane nun fachmännisch schält und stückweise verspeist. Es ist eine filmreife Vorführung.
Nach einiger Zeit stelle ich fest, dass der Kasuar nicht allein unterwegs ist. Er hat einen Artgenossen dabei, der ein Stück weiter über den Platz schlendert. Nachdem ich mehrere hundert Fotos von den Beiden geschossen habe, verschwinden sie im Wald. Doch nach ein paar Stunden sind erneut zwei Kasuare auf dem Campground unterwegs. Ob es dieselben sind wie vorher oder zwei andere, kann ich nicht sagen. Die Dame an der Rezeption spricht von insgesamt 5 Individuen, die im Wald von Etty Bay unterwegs sind. Zwei Pärchen und ein Einzelgänger.
Muss ich extra betonen, dass es auch am nächsten Morgen weiterhin regnet? Meine Stimmung ist daher schon beim Aufstehen nicht die beste. Doch als ich beim Kaffeekochen aus dem Heckfenster schaue, steht draußen tropfnass, aber in voller Schönheit, ein Kasuar, den ich mit dem Fenster als Rahmen fotografieren kann. Irgendwie ist dadurch der Tag fast schon wieder gerettet.
Kasuare sind einfach tolle und faszinierende Vögel. Dadurch, dass sie sich hier fast wie Haustiere benehmen, sollte man sich aber nicht täuschen lassen. Sie können auch gefährlich sein, vor allem wenn sie Junge dabei haben. Mit ihren Klauen sind sie sogar in der Lage, einen Menschen zu töten. Wenn man ihnen in freier Wildbahn begegnet, sollte man nie auf sie zugehen, sondern sich langsam auf den Rückzug begeben, dabei jedoch auf keinen Fall weglaufen, denn dann könnten die Kasuare die Verfolgung aufnehmen.
Von Etty Bay aus fahre ich in strömendem Regen hinauf ins Atherton Tableland. Hier erhoffe ich an zwei konkreten Stellen Begegnungen mit Baum-Kängurus bzw. Pythons. Doch beide Hoffnungen zerschlagen sich. Dafür sehe ich erstmals in Australien ein Wildschwein am Straßenrand. Wie viele andere europäische Tiere wurden auch Wildschweine im 19. Jahrhundert leichtsinnigerweise nach Australien eingeführt. Und genau wie beispielsweise Kaninchen und Füchse haben sie sich katastrophal vermehrt und sind zur Plage geworden. Nach Angabe der Umweltschutzbehörden gibt es in Australien derzeit etwa 23 Millionen Wildschweine.
Mein Tagesziel heißt eigentlich Cairns, ich entscheide mich aber aufgrund gewisser Umstände spontan, gleich nach Port Douglas weiterzufahren. Auf dem Tropical Breeze Caravan Park bekomme ich den allerletzten freien Platz und auf meine diesbezüglich erstaunte Rückfrage die Antwort, dass jetzt in der Hochsaison regelmäßig alles ausgebucht ist. Hochsaison? Wir sind mitten im Winter! Doch das ist es gerade. Jeder Australier, der es sich leisten kann, strebt im Winter in den tropisch warmen Norden. Das Snowbird-Phänomen, das ja aus Nord-Amerika bestens bekannt ist. Und in Europa soll es das mittlerweile ja auch geben.
Auch die erste Nacht in Port Douglas ist noch verregnet. Doch das Wetter bessert sich dann allmählich, und die Aussichten für die folgenden Tage sind laut Wettervorhersage positiv. Das wurde aber auch langsam Zeit. Für mich steht aber zunächst ein Groß-Waschtag an, und dafür ist das Wetter nicht ganz so wichtig. Ich bin schon am frühen Morgen zugange und habe Waschmaschinen und Trockner zunächst ganz für mich alleine. Bald ist die lästige, aber notwendige Arbeit getan.
Pünktlich um 7.50 Uhr am nächsten Morgen werde ich zu einer Schnorcheltour ans Outer Reef abgeholt. Die See ist rau, und es ist gut, dass alle 26 Passagiere an Bord die empfohlenen Tabletten gegen Seekrankheit eingenommen haben. Die knapp zweistündige Anfahrt zum ersten von insgesamt drei Schnorchelplätzen kommt mir vor wie eine Achterbahnfahrt. Ständig schlagen Wellen ins Schiff, und bald bin ich patschnass. Wohlgemerkt – ich bin noch in Straßenkleidung unterwegs. Meine Spiegelreflex-Kamera, die ich besser in Leoni gelassen hätte, verstecke ich so gut es geht unter Hemd und Unterhemd. Denn der Weg zu meinen Sachen mit dem wasserdichten Beutel ist beim herrschenden Seegang unfallfrei kaum zu schaffen.
An den Schnorchelplätzen ist die See dann zum Glück ruhiger. Trotzdem haben die drei Schnorchelgänge durchaus etwas von „Whitewater snorkeling“. Diesen Begriff habe ich vor fast 30 Jahren bei allerdings noch deutlich schwierigeren Bedingungen auf den Florida Keys kennengelernt. Das Schnorcheln selbst ist dabei weniger das Problem, eher das Fotografieren. Es ist einfach sehr schwierig, ein Objekt, zum Beispiel einen Fisch, beim vorhandenen Wellengang überhaupt sauber ins Suchfeld zu bekommen.
Die Schnorchelplätze selbst sind ok. Man hat uns halblange Neoprenanzüge zur Verfügung gestellt, so dass die Wassertemperatur von 24 Grad gut auszuhalten ist. Es gibt schöne Korallen und auch viele Fische. Insofern bin ich nicht traurig über die ausgegebenen 239,50 AUD für die Schnorcheltour. Im direkten Vergleich schneiden allerdings beispielsweise die Malediven meines Erachtens deutlich besser ab. Ich denke hier zum Beispiel an unseren letzten Aufenthalt auf der Insel Ellaidhoo. Dort geht man von seinem Bungalow vielleicht 20 Schritte, gleitet ins Wasser und hat unmittelbar eine Korallen- und auch Fischvielfalt, die ich weder am Ningaloo Reef noch am Great Barrier Reef gesehen habe.
Nur wenige Kilometer von Port Douglas entfernt liegt die Mossman Gorge, die zum Daintree National Park gehört. Ein aufwändig gestaltetes Visitor Centre empfängt den Besucher, der aufgefordert wird, doch bitte mit einem Shuttle Bus für knapp 10 AUD die ca. drei Kilometer zum Trailhead am Beginn der Schlucht zu fahren. Denn die hier ansässigen Aborigines mögen es nicht, wenn ständig ganze Touristenscharen durch ihr zwischen Visitor Centre und Trailhead gelegenes Dorf laufen. Die Shuttle Busse fahren im 15-Minuten-Takt, und sie sind voll ausgelastet. Es herrscht ein ziemlicher Andrang.
In der letzten Zeit habe ich schon etliche Regenwald-Abschnitte in Australien durchwandert, aber der Wald in der Mossman Gorge gehört eindeutig zu den attraktivsten. Herrliche Vegetation mit Brettwurzeln, riesigen Würgefeigen und vielem mehr. Der Beginn der Schlucht kann über einen sehr aufwändigen Boardwalk betreten werden, und dahinter schließen sich dann wunderschöne Naturwanderwege an. Auffällig ist das am Wegesrand sehr häufig aufgewühlte Gelände. Über die Täterschaft braucht man, auch wenn man es nicht schon wüsste, nicht besonders lange nachzudenken. Denn nur drei bis vier Meter neben dem Weg kann ich ein Wildschwein beobachten, das in aller Seelenruhe bei der Futtersuche den Boden umgräbt. Es lässt sich sogar mehrfach von mir fotografieren. So etwas halte ich in Deutschland für komplett undenkbar. Da lässt der Jagddruck die Tiere deutlich vorsichtiger agieren.
Auf dem Weg zum Cape Tribulation stehe ich irgendwann im Stau vor der Fähre über den Daintree River. Die Fähre ist klein, und der Stau über einen Kilometer lang. Ich drehe um, lasse das Kap Kap sein und nehme stattdessen die Strecke Richtung Cape York unter die Räder. Nur eine halbe Stunde später schleudert mir dann ein Lastwagen in einer Kurve einen dicken Stein in die Windschutzscheibe. Es ist nur ein Streifschuss, aber eine kräftige oberflächliche Absplitterung ist da. Zum Glück zumindest vorläufig ohne Sprung. Was aber leider nicht so bleiben sollte.
Kurz vor Laura, ich bin seit Lakeland auf der PDR, der Peninsula Developmental Road, statte ich der in jedem Reiseführer und auf jeder Landkarte erwähnten Split Rock Aboriginal Rock Art Gallery einen Besuch ab. Jahrtausendealte Felsbilder haben sich hier unter geschützten Felsüberhängen erhalten. Teilweise erinnern mich die Malereien an die Bilder aus der Großkopfperiode in Sefar im Tassili n´Ajjer in Süd-Algerien.
Nach einer Übernachtung beim Quinkan Hotel in Laura geht es am nächsten Morgen noch ein paar Kilometer auf Teer weiter, dann kommt Piste. Und zwar Piste mit schauerlichem Wellblech. Irgendwann folgt wieder ein kleines Stück Teer, bevor es auf Piste der gleichen Qualität wie vorher weitergeht. Vielleicht 50 km hinter Laura stelle ich mir die Frage: Soll ich wirklich auf einer derart bescheidenen Piste 700 km bis zum Cape York weiterfahren und dann dieselben 700 km wieder zurück? Die Entfernung entspricht etwa der von Fairbanks nach Prudhoe Bay, die wir vor zwei Jahren in Alaska ohne zu zucken hin und zurück gefahren sind. Aber das war eine gepflegte, gut instandgehaltene, wenig befahrene Piste. Die PDR, die ich aktuell erlebe, ist geradezu das krasse Gegenteil. Ich drehe um und fahre nach Cooktown.
Beim Einrichten auf dem dortigen Caravan Park öffne ich einen der drei Unterflurkästen, um benötigte Ersatzteile herauszuholen. Und aus dem Unterflurkasten springt ein Frosch, mit vielleicht 5 cm Länge gar nicht mal so klein. Mir ist völlig rätselhaft, wie der Frosch da hinein geraten sein kann. Aber mein Verständnis dafür wächst, dass die Australier bei der Einfuhr von Fahrzeugen äußerst strenge Quarantäne-Anforderungen an den Tag legen.
Cooktown ist nach dem berühmten Seefahrer James Cook benannt. Bei dessen erster Südseereise lief sein Schiff Endeavor im Juni 1770 in der Nähe des von ihm dann so benannten Cape Tribulation, Kap der Trübsal, auf ein Riff. Um das Schiff wieder frei zu bekommen, ließ er 50 Tonnen Gewicht über Bord werfen, alles, auf das er glaubte, verzichten zu können, inklusive der 6 Bordkanonen und deren Lafetten.
Und nach 23 langen Stunden kam die Endeavor bei der nächsten Flut tatsächlich wieder frei. Doch erst jetzt zeigte sich, wie schwer das Schiff tatsächlich beschädigt war. Durch ein großes Leck nahm die Endeavor massiv Wasser auf. Das bedeutete höchste Lebensgefahr für alle an Bord. Kaum jemand von der Besatzung konnte schwimmen, und genügend Rettungsboote gab es auch nicht. Alle verfügbaren Pumpen waren jetzt ununterbrochen im Einsatz. Jedes Besatzungsmitglied, auch Lieutenant James Cook selbst, stand im Wechsel an den Pumpen und wurde nach jeweils 15 Minuten völlig erschöpft abgelöst. Die Situation war verzweifelt.
Da schlug Midshipman Jonathan Monkhouse ein „fothering“ genanntes Verfahren vor. Diese Notlösung hatte er in einem ähnlichen Fall schon als erfolgreich erlebt. Cook gab den Befehl, die Idee umzusetzen. Ein Segel wurde mit Dichtungsmaterialen aller Art gefüllt, darunter Schafswolle und Tierdung, und das so präparierte Segel unter den Schiffsrumpf gezogen, über das Leck gelegt und befestigt. Der Erfolg stellte sich schlagartig ein. Das Eindringen des Wassers durch das Leck ins Schiffsinnere verringerte sich derart deutlich, dass ab sofort nur noch eine einzige Pumpe eingesetzt werden musste. Nun brauchte Cook nur noch einen geeigneten Platz, um sein Schiff zu reparieren.
Genau sieben Tage nach der Havarie auf dem Riff setzte er die Endeavor dann in der Mündung des später von ihm Endeavor River benannten Flusses am Sandstrand auf Grund. Am Ufer wurde eine Zeltstadt aufgebaut, und nach insgesamt 48 Tagen gelang es Cook, sein Schiff wieder flott zu machen und die Reise fortzusetzen.
Die erste Siedlung von Europäern in Australien war somit nur von kurzer Dauer. Die lokalen Aborigines, mit denen Cook im Großen und Ganzen freundschaftlichen Umgang gepflegt hatte, waren die ungebetenen europäischen Besucher wieder los. Immerhin für ziemlich genau 100 Jahre.
Denn 1872 wurde am Palmer River Gold gefunden, und das Wichtigste, was die Goldsucher für das Heranschaffen von Material und Verpflegung brauchten, war ein günstig gelegener Hafen. Im Oktober 1873 traf die nach dem schon erwähnten preussischen Entdecker benannte SS Leichhardt in der Mündung des Endeavor Rivers ein und legte nur wenige Meter von der Stelle entfernt an, wo James Cook die Endeavor repariert hatte. Zelte und vorfabrizierte Gebäude wurden aufgebaut und das Ganze Cook´s Town genannt. Daraus wurde später Cooktown.
Tausende Glücksritter strömten über Cooktown zu den Goldfeldern, und die in Cooktown ansässige Bevölkerung erreichte eine Größenordnung von 3.000 – 4.000. Wie überall auf der Welt haben jedoch auch in Nord-Queensland nur die allerwenigsten Goldsucher ihr Glück gemacht. Reich geworden sind dagegen die Hotel- und Bordellbesitzer sowie die Transportunternehmer.
Erstaunlich und weitgehend in Vergessenheit geraten ist der hohe Anteil von Chinesen auf den Goldfeldern, aber auch in Cooktown selbst. Von den Ende 1875 ca. 15.000 Goldsuchern am Palmer River waren nämlich 10.000 Chinesen. Zeitweise gab es sogar eine regelmäßige Schiffsverbindung zwischen Cooktown und Hongkong, über die ständig Nachschub kam. Cooktown war zur damaligen Zeit nach Brisbane der zweitgrößte Hafen in Queensland.
Mir gefällt es sehr gut in Cooktown. Die Stadt hat so ein bisschen Wildwest-Charakter und erinnert mich an Dawson City im Yukon. Einige Häuser aus der großen Zeit Ende des 19. Jahrhunderts haben sich erhalten, darunter das Cooktown-Hotel mit seinem urigen Pub. Auffällig ist der hohe Aborigine-Anteil der Bevölkerung. Die Integration der Urbevölkerung scheint mir hier besser gelungen zu sein als anderswo. Erstmals seit langer Zeit komme ich wieder einmal zwanglos mit Aborigines ins Gespräch. Auch gibt es eine ganze Reihe von Geschäften, die von Aborigines geführt werden. In einem davon erstehe ich für 220 AUD einen Didgeridoo. Ein männlicher Aborigine führt mir vor dem Kauf die verschiedenen Didgeridoos im Angebot vor, damit ich ein Gefühl für die Klangfarbe bekomme. Ich selbst versuche mich auch einmal. Mit leider beklagenswertem Resultat. Aborigine-Frauen dürfen Didgeridoos übrigens nicht spielen, wohl aber diese bauen. Mein neu erstandener Didgeridoo bekommt so auch von einer Aborigine-Frau übers Wochenende noch ein Mundstück aus Honigwachs angepasst.
Rund um Cooktown gibt es eine Reihe wunderschöner, wenn auch anstrengender Wanderwege. Einer führt zum Leuchtturm auf dem Grassy Hill, von dem aus man einen phantastischen Blick über den Endeavor River, Cooktown, den Mount Cook und die Coral Sea hat. Schon James Cook hat von hier oben aus die Gegend erkundet und einen sicheren Fahrweg durch die Korallenriffe aufs offene Meer gesucht. Der zum Teil sehr steile Abstieg führt mich dann an zwei einsamen Sandstränden vorbei, von denen der erste, der Cherry Tree Beach, nur zu Fuß erreichbar ist.
Deutlich anstrengender ist die Besteigung des mit 431 m erheblich höheren Mount Cook. Das erste Wegstück bis zu einem Aussichtspunkt über Cooktown ist noch aufwändig angelegt und einfach zu begehen, doch unmittelbar danach wird es wesentlich rustikaler. Ab hier ist der Weg Grade 5. Dies ist die härteste Stufe in Australien, die wir ja schon in Western Australia kennengelernt haben. Es geht steil hoch, über Stock und Stein und Wurzelwerk, und oft ist der weitere Wegverlauf erst nach einigem Suchen identifizierbar. Auf ungefähr ¾ der Höhe öffnet sich der Wald zu einem Outlook, der einen phantastischen Blick über die Coral Sea nach Süden ermöglicht. Die Perspektive von hier gefällt mir überraschenderweise sogar besser als diejenige, die ich dann etwas später von ganz oben habe. Um die Mittagszeit, ich war etwas mehr als drei Stunden unterwegs, bin ich klatschnass geschwitzt, hungrig und durstig zurück bei Leoni und habe mir als Belohnung ein leckeres Steak im Cooktown Hotel verdient.
Etwa 12 km nördlich von Cooktown, unmittelbar neben dem Endeavor River National Park, liegt die Endeavor River Retreat. Dabei handelt es sich um eine Farm mit angeschlossenem und absolut idyllisch gelegenem Campground mitten im Wald. Die Stellplätze sind riesig, die nächsten Nachbarn weit entfernt. Der hier ansässige Farmer verdient sein Geld auf dreierlei Weise: Er züchtet Clydesdale-Pferde, baut Passionsfrüchte (Maracuja) an und betreibt den Campingplatz. Eine ungewöhnliche Konstellation, wie ich finde. Natürlich kann man sich auf dem weitläufigen Gelände frei bewegen, muss nur in Flussnähe auf Krokodile aufpassen. Und man ist fast immer in Flussnähe.
Auf dem Gelände der Endeavor River Retreat gibt es außer Krokodilen, die ich – leider oder zum Glück – nicht zu sehen bekomme, auch reichlich anderes Wildlife. Die Vogelwelt ist besonders reich vertreten. Davon gefallen mir die relativ häufigen Kingfisher und Bienenfresser am besten. Diese lassen sich aber leider nicht so gerne aus der Nähe fotografieren. Dieses Problem hat ein großer Goulds Waran nicht, der auf dem Campground ein Stück einen Baum heraufgeklettert ist und beim Fotografieren brav still hält.
Nach zwei Tagen fahre ich weiter zum Archer Point südlich von Cooktown und stehe endlich wieder einmal frei am Strand. Der Blick aufs Meer ist wunderschön, das Wetter auch, nur bin ich leider dem Südost-Passat voll ausgeliefert. Der Wind pfeift, Leoni wackelt kräftig, und der erste Teil der Nacht ist etwas unruhig. Der Wind legt sich dann aber, um erst am Morgen nach Sonnenaufgang wieder aufzufrischen.
Ca. 50 km weiter südlich auf dem Weg zu den Bloomington Falls, die seit einiger Zeit auch Wujal Wujal Falls genannt werden, muss ich durch die Aboriginal Community Wujal Wujal. Am Ortseingang werde ich durch ein Schild begrüßt, das den Besitz von Alkohol im Bereich der Community verbietet. Im Kleingedruckten kommen dann Ausnahmen für die sogenannten Bona Fide Traveller, die nur durchfahren oder nur an bestimmten genau definierten Parkplätzen anhalten. Die Aborigines wollen damit den weit verbreiteten Alkoholmissbrauch in ihren Reihen bekämpfen, was ja an sich ein lobenswertes Ziel ist. Als Reisender mit ein paar Dosen Bier und ein paar Flaschen Wein an Bord fühlt man sich dadurch aber durchaus verunsichert. Die Polizei darf in den Restriktionsgebieten jedes Fahrzeug durchsuchen, und bei Verstößen können drakonische Strafen ausgesprochen werden, bis hin zur Wegnahme des Fahrzeugs.
Ich habe mich mit etlichen Australiern über das Problem unterhalten und inzwischen das Gefühl, dass jeder die Sache irgendwie anders interpretiert. Das Spektrum reicht von nicht so ernst zu nehmen, nicht zu große Mengen Alkohol werden toleriert bis hin zu Verlust des Fahrzeugs und Gefängnis. Derart viel Spielraum sorgt bei mir für eine gewisse innere Unruhe, auch weil ich weiß, dass ich auf dem Weg nach Fremantle noch einige vergleichbare Restriktionsgebiete durchqueren muss.
Im Bereich von Bloomington halte ich mich ein paar Tage auf. Hier gibt es an der Weary Bay einen wunderschönen Strand und etwas weiter nördlich mit dem schon seit 1875 bestehenden Lions Den Hotel einen sehr attraktiven Anlaufpunkt mit Pub und Campground. Auch Leoni fühlt sich hier in der Löwenhöhle hoffentlich richtig wohl. Im Little Annan River, der direkt an der Anlage vorbeifließt, nehme ich in der kräftigen Strömung ein ausgiebiges Bad. Sowohl der Lonely Planet als auch die Bedienung im Pub versichern, dass der Fluss zumindest hier an dieser Stelle krokodilfrei ist. Zehn oder fünfzehn Kilometer weiter flussabwärts allerdings nicht mehr.
In Mareeba im Atherton Tableland 250 km weiter südlich findet jedes Jahr im Juli ein großes Rodeo statt. Ich habe meine Route so geplant, dass ich freitagsmittags und somit rechtzeitig zum Rodeo-Wochenende an den Kerribee Park Rodeo Grounds eintreffe. Rund um das Oval, die Haupt-Wettkampfstätte, ist hier ein riesiger Campground angelegt. Für nur 50 AUD bekomme ich einen Stellplatz für das gesamte Wochenende sowie unbegrenzten Eintritt zu allen Wettkämpfen. Da kann man nicht meckern.
Das letzte Mal war ich 1985 bei der Calgary Stampede in Kanada auf einem Rodeo. Viele der Wettkämpfe sind vergleichbar, am Drumherum ist jedoch manches anders. Sehr vorteilhaft in Mareeba ist die Nähe des Stellplatzes zum Stadion, was für angenehm kurze Wege sorgt. Im sogenannten Oval spielt sich alles im Zusammenhang mit Rindern und Pferden ab. Bullen-Reiten, Bronco-Reiten, Kälber und junge Stiere einfangen, Abreiten eines vorgegebenen Parcours auf Zeit, etc. Auch für Cowgirls und junge Cowboys gibt es spezielle Wettbewerbe. Die Teilnehmer spekulieren auf das ausgesetzte Preisgeld und sind aus ganz New South Wales und Queensland angereist. Der unbestrittene Höhepunkt des Wochenendes ist die aus einer ganzen Vielzahl von Wettbewerben bestehende Interstate Challenge zwischen diesen beiden Bundesstaaten, das Queensland im Gegensatz zum Vorjahr dieses Mal knapp für sich entscheiden kann.
Es gibt auch Wettbewerbe anderer Art, z.B. Baumstämme durchsägen oder mit der Axt durchtrennen, außerdem eine landwirtschaftliche Ausstellung sowie einen umfangreichen Kirmesbetrieb mit Fahrgeschäften, wie wir ihn auch in Deutschland kennen. Alles ist ganz amüsant und unterhaltsam, vor allem am ersten Wettkampftag. Am zweiten ist dann aber irgendwie die Luft raus. Ob die beteiligten Tiere auch ihren Spaß an der Veranstaltung haben, darf in jedem Falle stark bezweifelt werden. Sie wollen deutlich erkennbar weder geritten, mit dem Lasso eingefangen noch zu Boden geworfen werden. Besonders tierfreundlich ist so ein Rodeo ganz sicher nicht.
Vor der Weiterfahrt auf dem Savannah Way Richtung Westen stehen für Leoni noch der turnusmäßige Service mit Öl- und Filterwechsel sowie ein paar kleinere Reparaturen an. Das Beheben der eher geringfügigen Beschädigung der Windschutzscheibe gehört dazu. Wobei ich diesen Punkt als Kleinigkeit ansehe. Doch was passiert? Geschätzt zwei Minuten nach Beginn der Arbeiten macht es „krack“, und die Windschutzscheibe hat einen großen Riss. Zum Glück ist passender Ersatz vorhanden, und bald kann ich meine Fahrt mit der wieder komplett beschwerdefreien Leoni fortsetzen.
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