Parque Nacional Los Glaciares

Der ca. 6.000 qkm große Nationalpark Los Glaciares (Die Gletscher) ist wegen seiner spektakulären Landschaft einer der meistbesuchten Nationalparks Argentiniens. Er liegt unmittelbar an der chilenischen Grenze im südlichen Patagonien. Der Nordteil des Parks wird dominiert vom Fitz-Roy-Massiv mit Fitz Roy, 3.405 m, und Cerro Torre, 3.102 m. Beide sind für argentinische Verhältnisse nicht besonders hoch, aber wegen ihrer bizarren Form auch für die weltbesten Bergsteiger eine besondere Herausforderung. Der Cerro Torre galt sogar lange als unbesteigbar. Erst 1974 gelang einer italienischen Bergsteigergruppe ein von niemand mehr angezweifelter Gipfelsturm. Das Highlight des Südteils von Los Glaciares ist der Perito-Moreno-Gletscher. Er ist, wie die anderen Gletscher des Nationalparks auch, ein Ausläufer des südlichen Inlandeises, des Hielo Sur, der – abgesehen von den Polregionen – größten zusammenhängenden Eismasse der Erde. Er hat eine Länge von 30 km, und seine in den Lago Argentino mündende Gletscherzunge ist 5 km breit und 60 m hoch. Im Gegensatz zu den meisten anderen Gletschern weltweit schrumpft der Perito-Moreno-Gletscher nicht, sondern rückt täglich um bis zu 2 m vor. Eine Folge davon ist, dass in kurzen Abständen immer wieder hochhausgroße Stücke Eis an der Gletscherzunge abbrechen und mit großem Getöse in den See fallen. Doch das ist nichts besonders Außergewöhnliches, so etwas können etliche andere Gletscher auch. Das Besondere am Perito-Moreno-Gletscher ist, dass er einen Seitenarm des Lago Argentino, den Brazo Rico, abdrückt und das Wasser dieses Seitenarms, das nicht mehr abfließen kann, aufstaut, und zwar so lange, bis der Wasserdruck hinter der Staumauer aus Eis so groß wird, dass diese in einer riesigen Explosion weggesprengt wird. In den letzten 100 Jahren ist das genau 17-mal passiert. Der Höhenunterschied bei diesem alle paar Jahre stattfindenden und von vielen Schaulustigen tage- und wochenlang mit Spannung erwarteten Ereignis beträgt dabei bis zu 18 m. Augenzeugenberichten zufolge muss das Ganze ein geradezu unvorstellbares Schauspiel sein.

Hildegard vor dem noch wolkenverhangenen Fitz-Roy-Massiv
Hildegard vor dem noch wolkenverhangenen Fitz-Roy-Massiv

Wir fahren zuerst zum nördlichen Teil des Parks. Als wir uns der Bergkette der Anden nähern, ist der Fitz Roy wolkenverhangen und der Cerro Torre gar nicht zu sehen. Trotzdem ist das Ganze für den Anfang schon mal sehr eindrucksvoll. Ich hoffe nur, dass sich das Wetter anders weiterentwickelt als bei meinem ersten Besuch im Jahre 1991. Da hatte ich am Spätnachmittag bei unserer Ankunft ein paar Sicherheitsfotos geschossen in der Erwartung, dass ich die „richtigen“ Fotos dann an den folgenden Tagen machen könnte. Daraus wurde aber nichts. Denn ab dem nächsten Morgen hatten wir sehr stabiles Regenwetter, und die Berge haben wir gar nicht mehr gesehen. Ich kann es vorwegnehmen, dieses Mal klappt es besser. Das Wetter ist tagelang geradezu phantastisch gut.
Einziger Ort im nördlichen Parkbereich ist El Chaltén, selbsterklärtes Trekking-Zentrum Argentiniens. Es gibt Hostels, Campingplätze, Restaurants, Touranbieter, kurzum alles, was das durchschnittlich sehr junge internationale Publikum so braucht. Die Rucksack-Szene beherrscht eindeutig das Feld. Buchstäblich rund um die Uhr kommen Busse an und fahren wieder ab, und zu jeder Tages- und Nachtzeit kann man jetzt in der Hauptsaison mit schweren Rucksäcken bepackte junge Leute auf der Straße sehen. El Chaltén wurde erst 1986 gegründet, und bei meinem ersten Besuch fünf Jahre später existierten nur ein paar Bruchbuden im Nepal-Style. Das hat sich inzwischen gründlich geändert.
Wir bringen unsere Wäsche zur Lavanderia, kaufen ein paar Wanderkarten und landen schließlich in einem windgeschützen, sonnigen Biergarten einer Hausbrauerai bzw. Hausbraverei. Auf den T-Shirts der Bedienung steht es dann richtig: Hausbrauerei. Pilsener und Bock-Bier sind im Angebot. Wir unterhalten uns lange mit einem tschechischen Pärchen, das ausgerechnet aus Pilsen kommt, u.a. über die Qualität des hier gebrauten Pilseners, das uns besser schmeckt als das dunkle Bock. Das Bier fließt in Strömen, nur die Bedienung ist etwas langsam.

Fotogener Specht mit rotem Kopf
Fotogener Specht mit rotem Kopf
Urwald auf dem Weg zum Lago Torre
Urwald auf dem Weg zum Lago Torre

Am nächsten Tag starten wir zu einer ausgedehnten Wanderung zum Lago Torre. Hier befindet sich das Basis-Lager zur Besteigung des Cerro Torre. Die Besteigung des Cerro Torre steht zwar nicht auf unserem Programm, aber der Marsch zum Lago Torre ist die ausdrücklich empfohlene Trekking-Tour, die jeder Tourist in El Chaltén laut Reiseführer als erstes angehen sollte. Leichte Schleierwolken überziehen am frühen Morgen den Himmel, aber die dicken Wolken, die am Tag zuvor einen großen Teil des Himmels bedeckten, fehlen zum Glück. Wir sind guter Dinge und hoffen auf gute Sicht und Foto-Bedingungen. Nach einer Dreiviertelstunde haben wir den ersten freien Blick auf Fitz Roy und Cerro Torre. Beide sind zu unserer Freude völlig frei von Wolken und liegen voll im Sonnenlicht. Das Panorama ist absolut spektakulär. Wir wandern in der Folge direkt auf die Berge zu, zeitweise durch dichten, geradezu verwunschen wirkenden Urwald mit sehr viel Totholz. Ein schwarzer Specht mit feuerrotem Kopf turnt sehr photogen direkt neben dem Wanderweg an einem Baumstamm herum und lässt sich ca. 50 x von mir ablichten. Nach knapp vier Stunden incl. kurzer Pausen kommen wir am Lago Torre an. Inzwischen sind wieder ein paar dichtere Wolken aufgezogen, die Sonne ist nur noch durch einen dichten Dunst zu sehen, aber es ist trotzdem phantastisch. Der Cerro Torre liegt zum Greifen nah unmittelbar vor uns. Wir sind geradezu berauscht von dem sich uns bietenden Anblick.

Lago Torre mit Cerro Torre im Hintergrund
Lago Torre mit Cerro Torre im Hintergrund

Nach einer ausgedehnten Mittagspause, bei der wir unseren mitgebrachten Proviant verzehren, laufen wir in gut drei Stunden zu unserer Leoni zurück. Der von uns heute zu bewältigende Anstieg betrug übrigens nur erstaunlich geringe 250 m. Das Basislager des Cerro Torre liegt nur auf unglaublich niedrigen 650 m über dem Meer. Aus der patagonischen Ebene geht es praktisch übergangslos direkt ins Hochgebirge der Anden.
Nach einem Ruhetag, an dem wir unseren Muskelkater auskurieren, nehmen wir uns einen Wanderweg zum Fitz Roy vor. Wieder laufen wir bei herrlichem Wetter los und haben schon nach relativ kurzer Zeit am so genannten Mirador Fitz Roy einen unbeschreiblich tollen Blick auf das gesamte Bergmassiv. Es ist wirklich phantastisch. Strahlend blauer Himmel, kein Wölkchen in Sicht. Unterwegs sehen wir zwei Kondore und deren Horst oben im Fels. Unser Weg führt uns weiter zum Lago Capri. Dort machen wir Mittagspause und laufen anschließend zurück. Es sind auch jetzt am Nachmittag noch ziemlich beträchtliche Menschenscharen unterwegs, die uns den Berg herauf entgegen kommen. Einsamkeitsgefühle kommen bei uns daher nicht unbedingt auf.

El condor pasa
El condor pasa
Beeindruckendes Fitz-Roy-Massiv
Beeindruckendes Fitz-Roy-Massiv

An unserem letzten Tag in El Chaltén laufen wir zunächst zum Visitor Center am Ortseingang und von dort den Berg hoch zu zwei Miradores. Vor allem der etwas weiter entfernte ist toll, mit Blicken auf Fitz Roy und Cerro Torre, aber auch auf die patagonische Ebene und den Viedma-See. Auf dem Rückweg wird dann auch das Licht immer besser, und wir kommen zu ein paar weiteren brauchbaren Fotos der Berge.
El Calafate ist das Versorgungszentrum für den Südteil des Parque Nacional Los Glaciares. Auch hier ist alles auf Tourismus ausgerichtet, aber alles ist deutlich größer und vornehmer als in El Chaltén. Auf dem Campingplatz treffen wir nach einer Verabredung über WhatsApp Jens und Bärbel, bei denen zu Hause wir mit Leoni vor unserer Einschiffung in Hamburg ein paar Tage im Garten übernachtet hatten. Die Beiden reisten vier Wochen später mit ihrem Wohnmobil auf dem nächsten Grimaldi-Schiff, der Grande Francia, nach Montevideo. Die folgenden Tage verbringen wir gemeinsam. Es ist das zweite Mal, dass wir auf uns gut bekannte andere Reisende treffen. Gerade in El Chaltén waren wir unerwartet auf Hartmut und Anette gestoßen, die mit uns gemeinsam auf der Grande Amburgo nach Montevideo gereist waren. Das zweite „freudige Ereignis“ an diesem Tag ist die Ankunft unserer Autoversicherungspolicen für die nächsten vier Monate per E-Mail. Unsere Leoni ist in Argentinien für alle Staaten des so genannten Conosur (Brasilien, Bolivien, Paraguay, Uruguay, Argentinien und Chile) versichert, das geht aber leider immer nur für vier Monate. Hintergrund ist die argentinische Inflation. Und der erste Vier-Monats-Block läuft am 31.1.15 aus. Jetzt haben wir diesbezüglich erst mal wieder bis Ende Mai Ruhe. Dann müssen wir erneut verlängern.

Perito-Moreno-Gletscher
Perito-Moreno-Gletscher
Perito-Moreno-Gletscher: Noch kann der Brazo Rico nach rechts abfließen, aber irgendwann schließt der Gletscher die Lücke
Perito-Moreno-Gletscher: Noch kann der Brazo Rico nach rechts abfließen, aber irgendwann schließt der Gletscher die Lücke

Mittags fahren wir zum ca. 80 km entfernten Perito-Moreno-Gletscher, der wie erwähnt wichtigsten Attraktion im Südteil des Parks. Auf dem Parkplatz lassen wir Leoni stehen und fahren mit dem Shuttle Bus hoch zum Gletscher. Dieser ist schön und eindrucksvoll wie eh und je. Das Einzige, was sich in den letzten 23 Jahren seit meinem ersten Besuch geändert hat, ist das Umfeld: Straße geteert, Parkplatz mit Shuttle-Bus-Service, professionell angelegte Stege, um dem Gletscher näher zu kommen, Restaurants am Parkplatz und am Gletscher. Auf dem Parkplatz muss dann im Laufe des Nachmittags jemand Leoni von hinten gerammt haben. Die rot-weiß gestreifte Warntafel auf dem Reservereifen ist jedenfalls ziemlich verbeult. Wir bemerken das zuerst gar nicht, können den Zusammenstoß aber am nächsten Tag an Hand von Fotos eindeutig rekonstruieren.
Für den folgenden Tag haben wir einen Bootsausflug auf dem Lago Argentino gebucht. Daher fahren wir vom Gletscher aus direkt zum Hafen Punta Bandera, wo wir übernachten wollen. Wir haben uns schon für die Nacht eingerichtet und auch schon ein Bierchen und ein Gläschen Wein getrunken, da erscheint ein Ranger und teilt uns mit, dass wir nicht über Nacht bleiben dürfen. Wir müssen 50 m hinter das Nationalparkschild zurück. Zähneknirschend suchen und finden wir einen der Nationalparkverwaltung genehmen Übernachtungsplatz.
Am Morgen ist es stark bewölkt, und kaum sind wir auf dem Schiff, da fängt es kräftig an zu regnen. Aber schon nach kurzer Zeit steht im Westen ein schöner Regenbogen. Zwei Stunden später, als wir an der Estancia Cristina, unserem ersten Ziel, ankommen, ist es wieder trocken, und so langsam kommt die Sonne raus. Somit wird es auch vom Wetter her noch ein wunderbarer Tag. Wir fahren mit 4×4-Fahrzeugen auf steilen Pisten in einer knappen Stunde über einen recht hohen Berg zu einem Aussichtspunkt oberhalb des Uppsala-Gletschers und haben dort ein absolut prachtvolles Panorama. Der Uppsala-Gletscher ist deutlich größer als der Perito-Moreno-Gletscher, aber sehr viel schwerer zu erreichen und folglich deutlich weniger besucht. Im Gegensatz zum Perito-Moreno-Gletscher schrumpft er seit vielen Jahren. Jedes Jahr zieht er sich 200 m – 300 m zurück. Das ist laut uns begleitendem Ranger eine der höchsten Schrumpfungsraten weltweit.

Blick auf den Agassis-Gletscher
Blick auf den Agassis-Gletscher
Mit Jens und Bärbel vor dem Uppsala-Gletscher
Mit Jens und Bärbel vor dem Uppsala-Gletscher

Vor der Weiterfahrt mit dem Schiff gibt es auf der Estancia ein sehr gutes Mittagessen und eine sehr interessante Führung, bei der wir auch viel über die Geschichte der ca. 100 Jahre alten und sehr abgelegenen Estancia erfahren. Der nächste Ort war 8 – 10 Tagesritte entfernt. In Notfällen durfte man nicht auf Hilfe hoffen. Die 20-jährige Tochter Cristina der Gründerfamilie, nach der die Estancia später benannt wurde, starb an einer simplen Lungenentzündung.

Vorbei an Eisbergen auf dem Weg zum Uppsala-Gletscher
Vorbei an Eisbergen auf dem Weg zum Uppsala-Gletscher

Auf der Rückfahrt zum Hafen von Punta Bandera fahren wir an Eisbergen vorbei zum Uppsala-Gletscher, den wir so noch aus einer weiteren, völlig anderen Perspektive kennenlernen. Das Wetter und das Licht sind toll, aber der See ist ziemlich rau. Um 19.30 h sind wir zurück im Hafen und fahren mit unseren Autos über schauerliches Wellblech zum Campingplatz am Lago Roca, einem Seitenarm des Lago Argentino ganz im Süden des Nationalparks. Der Platz liegt sehr schön oberhalb des Sees und gefällt uns sehr gut. Hier bleiben wir zwei Nächte, bevor wir über El Calafate zum Parque Nacional Torres del Paine in Chile weiterfahren.

Blick vom Übernachtungsplatz auf Lago Roca und Perito-Moreno-Gletscher im Hintergrund
Blick vom Übernachtungsplatz auf Lago Roca und Perito-Moreno-Gletscher im Hintergrund

 

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