Baja California

Die Überfahrt mit der TMC-Fähre von Mazatlán hinüber nach La Paz auf der Halbinsel Baja California ist völlig entspannt. Unser Schiff, die San Jorge, ist ein reines Frachtschiff und nimmt keine „echten“ Passagiere an Bord, nur Fahrzeugbesatzungen. Außer uns und den Schweizern Rolf und Bettina mit ihrem Camper sind nur Lastwagen an Bord. Der Zugang zu unseren Fahrzeugen ist erfreulicherweise jederzeit möglich. Folglich übernachten wir in Leoni. Die Lastwagenfahrer verhalten sich analog und übernachten ebenfalls in ihren Fahrzeugen, allerdings vermutlich im Mittel etwas weniger komfortabel als wir. Die Verpflegung an Bord ist im Preis inbegriffen, und so nehmen wir ein sehr umfangreiches – und scharfes – Abendessen im Kreis der Lastwagenfahrer ein. Das Frühstück verpassen wir dagegen. Den Sonnenuntergang hatten wir noch an Deck miterlebt und waren dann schlafen gegangen. Am nächsten Morgen wachen wir erst auf, als es draußen laut wird und die Sicherungsketten von den Fahrzeugen entfernt werden. Für ein Frühstück reicht es nicht mehr, denn wir sind schon fast im Hafen von La Paz angekommen. Unbemerkt haben wir in der Nacht den Wendekreis des Krebses passiert und nach kompletter Durchquerung von Süd nach Nord die Tropen verlassen.

Als mit die ersten sind wir runter vom Schiff. Draußen werden zunächst die Wagenräder mit einem Mittel gegen Pilzbefall besprüht, was mit 30 Pesos, etwa 1,50 Euro, zu bezahlen ist. Danach wird Leoni mit mir im Fahrersitz geröngt. Hildegard musste vorher aussteigen. Eine Vielzahl aus unserer Sicht völlig unsinniger Daten wird erhoben, und das Innere von Leonis Kabine u.a. mit Hilfe eines Drogenhundes inspiziert. Die Kontrolle besteht darin, dass der Hund herumschnüffelt und ein einziger der vielen Schränke geöffnet wird, nämlich der, der die Reisebibliothek enthält. Die drei großen außen angebrachten Unterflurkisten, die voller Werkzeuge und Ersatzteile sind, entdeckt auch dieses Mal niemand, ebensowenig wie bei einem halben Dutzend noch folgender Militärkontrollen die gesamte Baja hinauf Richtung US-Grenze.

Am Malecón von La Paz
Am Malecón von La Paz

Auf dem sehr günstig gelegenen Aquamarina RV Park in La Paz kommen wir unter. Es ist nach 2010 unser zweiter Besuch in der mit etwa 400.000 Einwohnern ziemlich großen Hauptstadt von Baja California Sur, und wir laufen am Nachmittag die uns schon gut bekannte kilometerlange Strandpromenade, den Malecón, entlang. Der eigentlich sehr schön geflieste Bodenbelag des Gehweges löst sich langsam in seine Bestandteile auf und sieht inzwischen ziemlich gammelig aus. Es ist wie fast immer und überall in Lateinamerika. Es wird etwas gebaut, und kaum ist es fertig, fällt alles mehr oder weniger schnell wieder in sich zusammen, und keinen kümmert´s. Was dagegen in der Regel immer gut funktioniert, ist die Verpflegung. In einem Restaurant direkt am Strand essen wir ausgezeichnet zu Mittag. Der Hit bei diesem Restaurantbesuch ist dann allerdings der Espresso, den wir nach dem Essen serviert bekommen. Er ist eigentlich richtig gut, wird aber in einer dickwandigen, vorher nicht angewärmten Groß-Tasse kredenzt.

Den Weg auf der Mex 1, der Transpeninsular, welche die Baja California auf der gesamten Länge von ca. 1.600 km durchzieht, zum ca. 350 km nördlich gelegenen Loreto kennen wir schon von unserer Reise vor sechs Jahren. Der erste Teil der Strecke ist nur wenig spektakulär. Mit Kakteen bestandene Wüste mit sporadischen kleinen Ansammlungen von Hütten um ein Rancho, eine Imbissbude oder eine Llantera herum. Bei der Überquerung der Sierra de la Giganta wird die Landschaft dann jedoch sehr attraktiv. Tiefe Schluchten, imposante mit großen Kakteen bestandene Berge und eine gut ausgebaute, allerdings auch sehr kurvenreiche Straße. Die ersten Blicke auf den urplötzlich vor uns auftauchenden Golf von Kalifornien, das Mar de Cortés, sind dann geradezu atemberaubend. Das tiefblaue Wasser kontrastiert intensiv mit dem Braun von Inseln und Festland und dem Grün des imposanten Kakteen-Bewuchses.

Golf von Kalifornien oder Mar de Cortés südlich von Loreto
Golf von Kalifornien oder Mar de Cortés südlich von Loreto

In Loreto checken wir für mehrere Tage im sehr zentrumsnahen RV Park El Moro ein. Die zentrale Plaza der Stadt ist nur einen halben Block entfernt. Das 1697 von Jesuiten gegründete Loreto war bis 1777 die Hauptstadt beider Californias, hat sich einiges von seinem kolonialen Charme bewahrt und ist heute eine beliebte Touristen-Destination. Vor allem US-Amerikaner sind sehr reichlich vertreten.

Direkt an der Marina organisieren wir bei Bootsbesitzer Victor einen 5-stündigen Ausflug zur Loreto vorgelagerten Isla Coronado, die zum Nationalpark Bahia de Loreto gehört. Der vereinbarte Preis beträgt 1.500 Pesos, etwa 75 Euro. Für die gleiche Tour wurde in der Stadt bis zu 2.500 Pesos verlangt. Auf halbem Weg zur Isla Coronado erleben wir dann ein spannendes Schauspiel. Mobula-Rochen, eine vergleichsweise kleine Manta-Art, springen aus dem Wasser und fallen mit lautem Platschen in ihr Element zurück. Immer und immer wieder. Manche mit Salto, der allerdings nicht immer gelingt, so dass die Tiere gelegentlich auf dem Rücken landen. Ein unglaubliches Spektakel, dessen Hintergründe nicht völlig geklärt sind.

Springende Mobula-Rochen
Springende Mobula-Rochen

Das Mar de Cortés wurde von Jacques Cousteau das Aquarium der Welt genannt. Und die Mobula-Rochen sind keineswegs die einzigen Attraktionen. Es wimmelt geradezu von interessanten Meerestieren, von Walen, Walhaien, Orcas, Delfinen und Seelöwen, um nur einige zu nennen. Es bleibt zu hoffen, dass der kommerzielle Fischfang nicht die Grundlagen dieses Unterwasser-Paradieses zerstört. Wir hören beunruhigende Geschichten von dramatischen Rückgängen der Fisch-Bestände in den letzten Jahren.

Auf der Rückseite der Isla Coronado besuchen wir eine ansehnliche Kolonie Kalifornischer Seelöwen, bevor wir in einer sandigen Bucht an Land gehen und mit Masken, Schnorcheln und Flossen ausgerüstet die Unterwasserwelt erkunden. Die Wassertemperatur ist relativ niedrig, und wir sind erstaunt, wie viele verschiedene Korallenfische wir trotzdem zu sehen bekommen. Die verschiedensten Formen sind vertreten, von Kugelfischen zu langgestreckten Trompetenfischen und Muränen, und allem, was dazwischen liegt.

Kalifornische Seelöwen auf der Isla Coronado
Kalifornische Seelöwen auf der Isla Coronado
Bucht auf der Isla Coronado, im Hintergrund das Festland der Baja California
Bucht auf der Isla Coronado, im Hintergrund das Festland der Baja California
Sandstrand auf der Isla Coronado
Sandstrand auf der Isla Coronado

Auf dem Weg zu unserem nächsten Ziel, der nur etwa 100 km weiter nördlich gelegenen Bahía de Concepción, fahren wir durch schöne Landschaft mit vielen Kakteen. Der Blick auf die vor uns auftauchende Bahía ist dann einfach nur toll. Die Farbe Blau kommt in allen Schattierungen vor, davor das intensive Grün der Kakteen. Wir fahren die Playa El Requesón an. Hier gibt es gegen einen Obulus von 100 Pesos pro Nacht, das sind ca. 5 Euro, eine sehr malerische Übernachtungsmöglichkeit auf einer schmalen sandigen Landzunge, die bei Ebbe eine Landverbindung zu einer vorgelagerten Insel herstellt (siehe auch Übersichtsbild über diesem Beitrag).

Landschaft südlich der Bahía de Concepción
Landschaft südlich der Bahía de Concepción
Bahía de Concepción
Bahía de Concepción

Am späteren Nachmittag mache ich bei schönstem Fotolicht einen Ausflug in das Kaktus-Gestrüpp in der Nähe unseres Stellplatzes. Dieses scheint oft undurchdringlich zu sein. Meistens gibt es jedoch irgendeinen Durchschlupf, der ein Fortkommen ermöglicht, ohne sich zu verletzen oder die Kleidung zu beschädigen. Die Vegetation wird eindeutig dominiert von den mächtigen Cardón-Kakteen. Diese können bis zu 20 m hoch und 500 Jahre alt werden. Auf dem Weg zurück zu unserem Übernachtungsplatz werde ich von zwei zähnefletschenden Hunden überrascht, die mir den Weg versperren. Große Steine in beiden Händen drohend hoch haltend gelingt es mir, die beiden Viecher minutenlang in Schach zu halten, bis die aufmerksam gewordene Herrin der Beiden aus einer Hütte in der Nähe herbeieilt und sie zurückruft. Nach dieser glücklich überstandenen Episode gehe ich mit Hildegard kurz vor der Abenddämmerung ausgiebig schwimmen. Das Wasser ist trotz Flut leider immer noch ziemlich flach, aber dafür angenehm warm, und das Bad tut ausgesprochen gut.

Cardón-Kakteen vor der Bahía de Concepcion (1)
Cardón-Kakteen vor der Bahía de Concepcion (1)
Cardón-Kakteen vor der Bahía de Concepcion (2)
Cardón-Kakteen vor der Bahía de Concepcion (2)
Von Cardón-Kakteen dominiertes Kakteen-Gestrüpp
Von Cardón-Kakteen dominiertes Kakteen-Gestrüpp
Fischadler mit Beute auf Cardón-Kaktus
Fischadler mit Beute auf Cardón-Kaktus
Vor Cardón-Kakteen
Vor Cardón-Kakteen

An der Bahía de Concepción gibt es eine ganze Reihe guter Übernachtungsplätze. Nur ca. 15 km nördlich der Playa El Requesón liegt die Playa Escondida, der Versteckte Strand, den wir als nächsten Anlaufpunkt vorgesehen haben. Wie der Name schon andeutet, ist dieser Strand von der Straße nicht oder kaum einzusehen. Er ist von einem halben Dutzend gut instand gehaltener Palapas gesäumt. Allerdings ist bei unserer Ankunft niemand da, um die eigentlich fälligen Übernachtungsgebühren zu kassieren. Es kommt in den nächsten Tagen auch niemand. Somit sind die Übernachtungen hier besonders kostengünstig. Dabei ist der Strand absolute Spitze. Der Unterschied zwischen Ebbe und Flut ist sehr gering, und es geht direkt in tiefes Wasser, so dass Schwimmen hier geradezu perfekt möglich ist. Das Wasser ist angenehm warm, und wir sind sicher, dass es besser gar nicht sein kann. Schon vor dem Frühstück sind wir im Wasser, und mittags und abends wieder.

Unser Lieblingsstrand Playa Escondida
Unser Lieblingsstrand Playa Escondida
Die Bahía de Concepción an der Playa Escondida
Die Bahía de Concepción an der Playa Escondida

Abends sitzen wir draußen und genießen den Sternenhimmel. Das Sternbild des Löwen steht direkt über uns, der Planet Jupiter direkt darunter. Anders als auf der Südhalbkugel sind uns die Sternbilder hier wieder vertraut. Großer und Kleiner Bär, Orion, Löwe, die alten Bekannten sind komplett über uns versammelt. Erstmals auf unserer gesamten Reise seit der Überfahrt nach Südamerika mit der Grande Amburgo sehen wir wieder den Polarstern.

Ab und zu kommen auch Seelöwen und Delfine zu Besuch, die angeblich drei aktuell in der Bahía herumschwimmenden Walhaie bekommen wir dagegen leider nicht zu Gesicht. Als wir weiterfahren, haben wir das dumpfe Gefühl, einen ziemlich gravierenden Fehler zu machen. Und dieses Gefühl werden wir längere Zeit nicht los, denn die Playa Escondida war der mit Abstand beste Strand der gesamten bisherigen Reise. Wir hätten hier trotz fast leeren Kühlschranks länger bleiben sollen.

Sieht nach Mandara-Seen in Libyen aus, ist aber San Ignacio auf der Baja California.
Sieht nach Mandara-Seen in Libyen aus, ist aber San Ignacio auf der Baja California.
Missionskirche in San Ignacio
Missionskirche in San Ignacio
Auch richtige Wüste gibt es auf der Baja, die Desierto de Viscaíno.
Auch richtige Wüste gibt es auf der Baja, die Desierto de Viscaíno.

San Ignacio ist eine Oase in der Wüste. Tausende Dattelpalmen bestimmen das Ortsbild, und der von Palmen umstandene See am Ortseingang würde glatt als einer der Mandara-Seen in Libyen durchgehen. Wir halten uns nicht lange auf, besichtigen nur die Missionskirche aus dem 18. Jahrhundert, essen an der Plaza zu Mittag und fahren weiter Richtung Pazifik-Küste. Die Mex 1 führt durch eine richtige Wüste fast ohne Bewuchs, die Desierto de Vizcaíno.

Als nächsten Übernachtungspunkt peilen wir die Bucht von Ojo de Liebre an. Hier versammeln sich jeden Winter tausende Grauwale, paaren sich und bringen ihre Jungen zur Welt. Im April verlassen die Wale die Bucht und machen sich auf den langen Rückweg nach Alaska. Jetzt ist aber mittlerweile Anfang Mai. Wir wissen natürlich, dass wir spät dran sind, hoffen aber, vielleicht noch ein paar Nachzügler zu sehen zu bekommen. Am Zugang zur Bucht, der von einer riesigen Salinenanlage beherrscht wird, werden wir jedoch aufgehalten und zurückgeschickt. Es sind keine Wale mehr da, das Gelände ist geschlossen.

So fahren wir zum Malarrimo RV Park ins nahe Guerrero Negro. Dieser ist ganz gut eingerichtet und hat sogar Wifi. Vom Manager erfahren wir, dass sich an der Grenze der Bundesstaaten Baja California Sur und Baja California unmittelbar nördlich der Stadt eine Agrarkontrolle befindet und dass dort praktisch sämtliche Obst- und Gemüsesorten konfisziert werden. Ist das zu glauben? Wir haben gerade ein paar Stunden vorher in San Ignacio in einem Supermarkt groß eingekauft. Um zu retten, was zu retten ist, verkocht Hildegard Tomaten, Paprika und Zwiebel zu einem Gemüse, das vor Beanstandungen ziemlich sicher ist. Am Abend und zum Frühstück am nächsten Morgen essen wir dann vor allem eines: Obst, Obst, Obst. Alles schaffen wir nicht, aber wir haben immerhin getan, was wir konnten. Gut gesättigt fahren wir anschließend zur Grenze, um uns dort den Rest unseres Obstes abnehmen zu lassen. Doch was passiert an der Kontrollstelle? Wir werden mit einem freundlichen „Adelante“ durchgewunken. Es ist einfach nicht zu glauben. In einer Ortschaft mit dem schönen Namen Villa Jesús Maria füllen wir eine halbe Stunde später in einem Supermarkt den fast leeren Kühlschrank wieder auf.

Boojum Tree
Boojum Tree
Eindrucksvolle Vegetation am Rande der Mex 1
Eindrucksvolle Vegetation am Rande der Mex 1
Blühende Agave, Boojum Trees, Kakteen und anderes mehr
Blühende Agave, Boojum Trees, Kakteen und anderes mehr

Die Vegetation wird im weiteren Verlauf der Strecke immer eindrucksvoller. Mehrfach halten wir für Fotostopps an und laufen ein Stück weit ins Gelände hinein. Die Vielfalt der Kakteen ist geradezu unglaublich. Doch es sind nicht nur die Kakteen, die uns begeistern. Auch blühende Agaven mit viele Meter hohen gelben Blütenständen geben ein prachtvolles Bild ab. Zeitweise ist eine Pflanzenart dominierend, die sehr auffällig und ungewöhnlich ist und der ich bisher noch nie begegnet bin: Fouquieria columnaris, umgangssprachlich im Englischen oft Boojum Tree genannt. Diese Pflanze besteht eigentlich nur aus einem oft viele Meter langen, sich nach oben deutlich verjüngenden Stamm, der als Zweige nur wenige Zentimeter lange stachelige, mit kleinen Blättern besetzte Auswüchse hat und an der Spitze in einem Blütenstand endet. Sieht absolut urig aus.

Wir verlassen die Transpeninsular vorübergehend und machen einen 60 km-Abstecher nach Osten zur Bahia de los Angeles am Mar de Cortés. Unser sehr schöner Stellplatz nördlich des gleichnamigen Ortes liegt direkt am sandigen Ufer. Leider geht im Verlauf des Nachmittags das Wasser extrem weit zurück und legt einen Steinstrand offen. Der Tidenhub hier beträgt erstaunliche 7 m. Obwohl das Wasser deutlich kälter ist als an unserem Lieblingsstrand Playa Escondida weiter südlich, gehen wir natürlich auch hier schwimmen, warten dafür aber die Flut ab. Und bleiben nicht so endlos lange im Wasser. Die Vogelwelt ist mit zahlreichen Arten vertreten. Nur wenige Meter von uns entfernt am Strand tummeln sich drei verschiedene Möwenarten, Seeschwalben, Pelikane, Austernfischer, Schnepfen, usw. Und immer wieder ziehen Gruppen von Delfinen vor uns entlang der Küste vorbei.

Stellplatz an der Bahía de los Angeles
Stellplatz an der Bahía de los Angeles
Seeschwalben
Seeschwalben
Bei Ebbe wird aus dem Sand- ein Steinstrand
Bei Ebbe wird aus dem Sand- ein Steinstrand
An der Bahía de los Angeles kann man es durchaus aushalten.
An der Bahía de los Angeles kann man es durchaus aushalten.

Am Abend kommt dann starker Wind auf, vom Land zum Meer. Irgendwann ist es gefühlt wie Sandsturm in der Sahara, und wir verziehen uns ins Innere von Leoni. In der Nacht nimmt der Sturm dann orkanhafte Züge an. Das Auto wackelt kräftig, und vor allem Hildegard schläft sehr schlecht. Sicherheitshalber setze ich Leoni daher am nächsten Tag um in den Windschatten einer Palapa und mit der Front in Windrichtung. Doch das erweist sich als eigentlich unnötig, denn der erwartete Sturm bleibt weitgehend aus.

Auf unserem weiteren Weg nach Norden wechseln wir an die West-Seite der Baja und verbringen südlich von San Quintín ein paar Tage an der raueren und deutlich kühleren Pazifikküste. Es ist zwar weiterhin herrliches Wetter, aber frühmorgens nur noch ganze 12 Grad warm. Der kilometerlange Sandstrand lädt zu ausgiebigen Strandwanderungen ein, bei denen man sich allerdings vor wild gewordenen Rallye-Fahrern in Acht nehmen muss, die den breiten Sandstrand mit einer Rennstrecke verwechseln. Am Abend sitzen wir mit Manfred und Christine aus Esslingen, die wir schon mehrfach auf der Baja getroffen haben, bei Tequila und Rotwein draußen vor unseren Campern und müssen uns gegen die abendliche Kühle mit Jacken und Anoraks wappnen. Ja, ja, die Tropen liegen hinter uns, und wir nähern uns langsam dem Nordpol.

Das Gebiet, das wir auf der Mex 1 als nächstes durchfahren, wird mehr und mehr von riesigen Plantagen dominiert. Kilometerlange Plastik-Treibhäuser, so riesig, wie ich das noch nie gesehen habe, und unter denen Tomaten, Melonen, Blumen, etc. angebaut werden, wechseln sich ab mit Erdbeer- und Kohlfeldern, die zwar nicht von Plastikplanen überdeckt, aber nicht minder riesig sind. Zwischen den Plantagen liegen weiterhin fast endlose Flächen trockenen Ödlands. Wir fragen uns, wo das ganze Wasser herkommt, das die ausgedehnten Plantagen in dieser ariden Umgebung überhaupt erst ermöglicht. Wir passieren zwar etliche Flussläufe, die aber ausnahmslos alle trocken sind. Keiner enthält auch nur einen einzigen Tropfen Wasser.

Das soll auf der Baja sein? Ja, und zwar auf dem Weg zum Parque Nacional Sierra de San Pedro Mártir
Das soll auf der Baja sein? Ja, und zwar auf dem Weg zum Parque Nacional Sierra de San Pedro Mártir

Der Parque Nacional Sierra de San Pedro Mártir liegt im Zentrum der Baja, knapp 100 km östlich der Mex 1. Er wurde uns empfohlen, wir wissen aber zunächst nur sehr wenig über ihn. Eine erstaunlich gute und völlig leere Teerstraße führt zunächst durch leicht welliges Farmland allmählich bergauf. Die Landschaft ist völlig anders, als wir das bisher auf der Baja erlebt haben. Trockene Felder und blühende Kakteen am Straßenrand werden nach und nach von grünen Wiesen und Blumenfeldern abgelöst. Wir erreichen 600 m, dann 700 m und fragen uns, ob wir wohl auch noch die 1.000-Meter-Marke überschreiten werden. Als wir dann in dichtem Wald den Nationalpark-Eingang erreichen, befinden wir uns auf unglaublichen 2.500 m Meereshöhe. Auf dem zeitweise sehr steilen Weg hierher hatten wir gelegentlich den 1. Gang gebraucht. Wir erfahren, dass der Picacho del Diablo mit 3.078 m der höchste Berg des Parks und gleichzeitig auch der höchste Berg der Baja ist. Der Parkeintritt kostet uns 62 Pesos, etwa 3 Euro, pro Person und Tag, die Übernachtung auf dem Campingplatz ist dagegen umsonst. Dabei ist der Campingplatz das Beste, was wir diesbezüglich auf der ganzen bisherigen Reise vorgefunden haben. Er hat eine geradezu riesenhafte Ausdehnung, liegt mitten im Wald, ist nach dem Vorbild von US-Nationalpark-Campingplätzen mit sehr viel Platz für hunderte Campinggäste ausgelegt – und er ist völlig leer. Bei unserer Ankunft sind wir laut Guardaparque die einzigen Besucher im Park. Erst später kommt für eine Nacht eine fünfköpfige Mädchengruppe dazu.

Unser Übernachtungsplatz im Parque Nacional Sierra de San Pedro Mártir
Unser Übernachtungsplatz im Parque Nacional Sierra de San Pedro Mártir
Kojote
Kojote
Luchs schleicht sich an Beute an.
Luchs schleicht sich an Beute an.

Schon bei unserer Ankunft laufen zwei Kojoten dicht an unserem Auto vorbei. Und beim ersten Rundgang auf dem Campingplatz-Gelände überraschen wir dann einen Luchs, der sich gerade an eine Beute anschleicht. Es ist das erste Mal überhaupt, dass wir einen Luchs in freier Wildbahn beobachten können. Dabei haben wir Glück, dass der Wind zufälligerweise genau in unsere Richtung weht. Als der Luchs uns schließlich bemerkt, ist er dann leider ganz schnell weg. In der Abenddämmerung kommen noch zwei erstaunlich große Rehe auf die Liste der von uns gesichteten Tiere. Mit Ausnahme von allen möglichen Vogelarten inklusive Kolibris ist die Ausbeute bzgl. Tierbeobachtungen im Park allerdings eher gering. Man stolpert nicht gerade über Wildlife. Dabei hätten wir vor allem einen Puma schon noch gerne gesehen.

Wanderweg im Parque Nacional Sierra de San Pedro Mártir
Wanderweg im Parque Nacional Sierra de San Pedro Mártir
Umgestürzte Baumriesen dürfen hier in Würde vergehen
Umgestürzte Baumriesen dürfen hier in Würde vergehen

An drei aufeinander folgenden Tagen machen wir bei herrlichem Wetter wunderbare Wanderungen. Bezüglich der zu wählenden Wege lassen wir uns jeweils vom Guardaparque beraten. Es geht durch meist relativ wenig dichten Wald, der immer wieder größere Lichtungen frei gibt. Die überaus eindrucksvollen Bäume haben zum Teil gewaltige Ausmaße. Sowohl die lebenden als auch die toten. Denn wie es sich für einen Nationalpark gehört, stehen und liegen auch viele abgestorbene Exemplare in der Landschaft. Übergangslos in allen Phasen des Vergehens, von gerade vom Sturm gefällt bis fast schon zu Staub zerfallen. Mir geht die Frage durch den Kopf, wo in Deutschland Baumriesen dieser Größe und in dieser Anzahl ungestört und in Würde verwesen dürfen. Vielleicht in hundert Jahren in den neu geschaffenen Nationalparks.

Zwei besonders lohnende Wanderwege enden an aufwändigen Aussichtsplattformen. Vom Torre de Piedra, dem Steinernen Turm, haben wir eine phantastische Aussicht in alle Richtungen über den Wald. Noch eindrucksvoller, dafür aber auch nur nach einer schweißtreibenden Klettertour zu erreichen, ist der Mirador El Altar. Hier geht der Blick von 2.600 m hinunter bis zum ca. 50 km entfernten Mar de Cortés. Atemberaubend und kaum zu toppen.

Blick vom Torre de Piedra
Blick vom Torre de Piedra
Auf der Aussichtsplattform am Torre de Piedra
Auf der Aussichtsplattform am Torre de Piedra
Blick vom Mirador El Altar hinunter zum Mar de Cortés
Blick vom Mirador El Altar hinunter zum Mar de Cortés
Um besseren Durchblick bemühen wir uns auch. Nach dem Wanderprogramm
Um besseren Durchblick bemühen wir uns auch. Nach dem Wanderprogramm

In der zweiten Nacht im Nationalpark erleben wir wieder einmal ein kräftiges Erdbeben. Ein lautes Grollen kommt auf uns zu, und dann wackelt Leoni sehr kräftig nach allen Regeln der Kunst. Die Bäume um uns herum bleiben zum Glück alle stehen. Wir hatten bei der Platzwahl allerdings auch darauf geachtet, uns nicht neben einen umsturzgefährdeten Baumriesen zu stellen. Noch etwas ist vielleicht erwähnenswert. Die Außentemperatur fällt abends dramatisch schnell ab. Um 20.30 Uhr ist die 10-Grad-Marke unterschritten, und morgens um 6 Uhr zeigt das Thermometer nur noch ganze 2,5 Grad an. Immerhin plus.

La Jolla Beach, südlich von Ensenada
La Jolla Beach, südlich von Ensenada

La Jolla Beach, unser voraussichtlich letzter Übernachtungsplatz auf der Baja, in Mexiko und in Lateinamerika überhaupt, liegt südlich von Ensenada direkt am Pazifik. Ganz in der Nähe befindet sich mit La Bufadora eine viel besuchte Touristenattraktion. Es handelt sich dabei um eine enge Felsspalte, in die das auflaufende Meerwasser hinein schwappt und gelegentlich viele Meter hohe Gischt-Fontänen erzeugt. Wenn man nicht aufpasst, kann man hier richtig schön nass werden. Zwei verschiedene Erdhörnchen-Arten streunen herum, lassen sich von den Besuchern füttern und offenbar gerne auch fotografieren.

La Bufadora in voller Aktion
La Bufadora in voller Aktion
Erdhörnchen (Squirrels)
Erdhörnchen (Squirrels)
Mit frisch erstandenem neuem Lederhut
Mit frisch erstandenem neuem Lederhut

In einem auf Lederwaren spezialisierten Souvenirshop erstehe ich einen neuen Lederhut. Den alten, im australischen Darwin gekauften lasse ich hier zurück. 16 Jahre hat er mich rund um die Welt begleitet und behütet. Jetzt ist er weg. Er war verschlissen, und ein sich immer mehr vergrößerndes Loch gab schließlich den Ausschlag für den Hut-Wechsel.

Bis zum Grenzübergang in Tecate bleiben noch etwa 150 km. Dort wollen wir in die USA einreisen und hoffen, dass die Amis uns auch hinein lassen. Anderthalb Jahre Lateinamerika liegen dann hinter uns. In das überaus faszinierende „Endstück“ Baja California haben wir insgesamt nur zweieinhalb Wochen Zeit investiert. Viel zu wenig eigentlich. Denn die Vielfalt dieser riesigen Halbinsel im Nordwesten Mexikos ist geradezu unermesslich. Die Baja hat uns jedenfalls ausgesprochen gut gefallen. Aber Alaska wartet. Wir sollten dort unbedingt ankommen, bevor der kurze Sommer wieder vorbei ist.

Auf Leonis linker Seitenwand stets aktuell gehaltene bisherige Reiseroute
Auf Leonis linker Seitenwand stets aktuell gehaltene bisherige Reiseroute

2 Comments

  1. Bernd said:

    Hallo Leoni-Team,
    wenn Euch jetzt schon in Mexico kalt ist, solltet Ihr auf keinen Fall nach Alaska fahren.
    Was mich aber interessiert ist, wo Ihr bei der Trockenheit auf der Baja immer den Frischwassertank von Leoni füllt?
    Und dann ist da wieder die Sache mit dem Puma, die hatten wir doch schon mal; oder besser gesagt, schon mal nicht.
    Zufrieden bin ich aber mit der Wahl der neuen Kopfbedeckung. Der „Alte“ war dann doch nicht mehr sehr fotogen.
    Ansonsten hoffe ich natürlich, die Amis lassen Euch einreisen. In Euren Pässen dürften sich ja keine oder nicht sehr viele Sichtvermerke arabischer Herkunft befinden. Dann bleibt Ihr auch nicht im Fahndungsraster hängen. Also, sagt freundlich, am besten mit je einem Kaugummi im Mund „Hallo“ und beantwortet keinesfalls die Frage nach der Aufenthaltsdauer mit „solange es eben dauert“.
    Hier noch die Auslandsknigge USA:
    Zur Begrüßung: Das Kennenlernen fällt in den USA oft herzlich und locker aus. Ein kräftiger Handschlag und ein freundliches „Hello, how are you“ sind Standard.
    Auf die Frage nach dem Befinden aber bitte kurz und knapp „Fine, thank you“ oder mit einer Gegenfrage antworten, denn es ist nur eine Floskel und Amerikaner erwarten keine ehrliche Antwort.
    Ihr könnt die Grenzer dort also gerne anlügen. Die wollen es so.
    In diesem Sinne. Gute Weiterfahrt im Land der unbegrenzten Möglichkeiten.
    Gruß
    Bernd

    15. Mai 2016
    Reply
  2. Alexander Reeh said:

    Hallo, mein Name ist Alexander, ich bin 28 Jahre alt und wohne in der Nähe von München.
    Im Moment bin ich dabei ein Buch herauszubringen über Langzeitreisende im Expeditionsmobil oder Wohnmobil. Ich würde Sie gerne etwas fragen, finde aber leider keine Email Adresse. Vielleicht könnten Sie mir kurz schreiben?
    Viele Grüße
    Alexander

    http://www.alexander-reeh.de

    21. Mai 2016
    Reply

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