Unsere Einreise nach Brasilien ist denkbar problemlos. Wir wählen den Grenzübergang vom uruguayischen Rivera zum brasilianischen Santana do Livramento. Da uns bekannt ist, dass keinerlei Lebensmittel nach Brasilien eingeführt werden dürfen, haben wir unsere letzten Bananen und Mandarinen brav vor der Grenze aufgegessen. Eine überflüssige Maßnahme, wie sich herausstellt. Denn der brasilianische Beamte von der Polícia Federal begnügt sich damit, unsere Pässe abzustempeln. Unser Auto sieht er sich gar nicht erst an, geschweige denn, dass er eine Lebensmittelkontrolle durchführt.
Von der Struktur her ist das Land hinter der Grenze völlig gleich wie in Uruguay. Es macht aber einen völlig anderen Eindruck. Denn plötzlich gibt es links und rechts der Straße beackerte Felder, die zumindest nach europäischen Maßstäben beachtliche Ausmaße haben. Weiden sind zwar auch noch da, aber sie dominieren nicht mehr. In Rosario do Sul, wo wir am Flussufer wild übernachten, spricht uns ein alter Herr an, von dem ich sofort, schon bevor er ein Wort gesagt hat, weiß, dass er ein alteingesessener Deutscher ist. Er ist 87 Jahre alt, auf Flip-Flops unterwegs, offenbar gesundheitlich topfit und erkennbar froh, endlich mal wieder deutsch sprechen zu können. Seine beiden Enkelinnen, die er dabei hat, verstehen zwar ein bisschen, sprechen die deutsche Sprache aber nicht mehr. Der alte Herr war Reisbauer und hat 600 ha Reis angebaut, eine für einen deutschen Bauernhof praktisch unvorstellbar große Fläche. Er weiht uns in einige Geheimnisse des brasilianischen Ackerbaus ein. So wird hier überhaupt nicht gepflügt. In ein Weizen-Stoppelfeld wird nach der Ernte zum Beispiel unmittelbar Soja eingesät. Pro Jahr gibt es mehrere Ernten, zwei oder drei, je nachdem, welche Fruchtfolge gewählt wird. Er ist erkennbar stolz auf die Leistung der einheimischen Bauern: „Wir schaffen das alles ohne Subventionen. Wir haben hier die besten Bauern der Welt.“ Seine Sprache ist klar mit einem deutlich erkennbaren pommerschen Zungenschlag. Nur ab und zu fehlt ihm ein deutsches Wort und er verwendet das portugiesische. Er erzählt, dass er mit 7 Jahren die ersten portugiesischen Worte lernte, als er in die Schule kam. Zu Hause, in der Kolonie, in der er aufwuchs, wurde ausschließlich deutsch gesprochen. „Die Brasilianer“, erklärt er uns, „sind eigentlich ein gutes Volk.“ So, als ob er selbst gar nicht dazugehörte.
Ähnliche Geschichten hören wir in den nächsten Wochen x-mal. Süd-Brasilien, vor allem die Teil-Staaten Rio Grande do Sul und Santa Catarina, sind ab dem frühen 19. Jahrhundert in hohem Maße von deutschen und später auch von italienischen Einwanderern kolonisiert worden, oft unter für uns heute unvorstellbar schwierigen Umständen. Diese Kolonien waren nach außen oft komplett abgeschlossen, und es wurde nur eine einzige Sprache gesprochen, und das war nicht die portugiesische. Interessant ist, dass die Deutsch-Brasilianer auch in der fünften Generation ihren jeweiligen ursprünglichen Dialekt beibehalten haben. Der eine Ort spricht den Dialekt des Hunsrücks, was Hildegard besonders auffällt, weil er ihrem Eifeler Dialekt sehr ähnlich ist, das nächste Dorf spricht Westfälisch oder Pommersch. Der Manager eines Café Colonial erzählt uns, dass seine Mutter es als Beleidigung auffassen würde, als Brasilianerin angesprochen zu werden. Sie sei Deutsche, obwohl schon ihre Mutter in Brasilien geboren wurde. Ein alter Bauer erzählt uns, dass er bei der Fußball-Weltmeisterschaft in diesem Jahr selbstverständlich den Deutschen die Daumen gedrückt habe, und nicht den Brasilianern.
Bei der Weiterfahrt stellen wir fest, dass Diesel in Brasilien wesentlich billiger ist als in Uruguay, das in etwa deutsche Preise hat. Wir zahlen jetzt nur noch umgerechnet ca. 85 Eurocent pro Liter. So lernen wir jeden Tag etwas dazu. Im Gebiet der Jesuiten-Missionen lernen wir in São Miguel (siehe auch das Einleitungsbild über diesem Beitrag), dass Museen in Brasilien montags geschlossen sind. Wir stehen hier zunächst vor verschlossenen Türen. So fahren wir zu den kleineren und stärker verfallenen Missionen von São Lourenço Mártir und São João Batista, die nicht als Museen gelten und somit geöffnet sind. Vor allem das Weltkulturerbe São Miguel, das wir dann am folgenden Tag besuchen, ist sehr eindrucksvoll. Hier erleben wir am Abend eine Licht- und Ton-Show, bei der das Kreuz des Südens und die beiden Magellanschen Wolken direkt über der Kirchenruine strahlen. Im 17. und 18. Jahrhundert hatten die Missionen ihre große Zeit, als die Jesuiten mit den Guarani-Indianern große und außerordentlich gut funktionierende Gemeinwesen, sogenannte Reduktionen, aufbauten und betrieben. Nach Ausweisung der Jesuiten im Jahre 1768 verfielen die Reduktionen.
Unser nächstes Ziel ist die Serra Gaúcha nördlich von Porto Alegre. Hier wechseln sich in schneller Folge deutsche und italienische Siedlungsgebiete ab. Durch die inzwischen verbesserten Verkehrswege wandern aber mehr und mehr „echte“ Brasilianer aus dem Norden zu, so dass die Grenzen zunehmend verschwimmen. Unser erster Zielort ist Teutônia. Wir beziehen unseren Standplatz direkt vor der Kirche und sind innerhalb von ein paar Minuten mit den Anwohnern im Gespräch. Auf unserer Seite eifeler und niederrheinisches, auf der anderen Seite Hunsrück-Platt (der fünften Generation). Da wir mit Leoni etwas sehr schräg am Straßenrand stehen, tauschen wir später Kopf- und Fußenden in den Betten. Der Kopf sollte nicht niedriger liegen als die Füße. Schlafen können wir trotzdem nicht so gut, da die Kirchenglocke uns jede Viertelstunde die Zeit ansagt. Aber wir lernen ja dazu. Die nächste Nacht verbringen wir zwei Straßen entfernt. Mit dem gewünschten Effekt.
In Teutônia finden und nutzen wir dankbar eine Wäscherei und besuchen erstmals einen Friedhof. Die Grabsteine tragen praktisch ausschließlich deutsche Namen. Nur während und kurz nach dem 2. Weltkrieg tauchen portugiesische Worte auf für „Hier ruht in Frieden“, für „geboren“ und für „gestorben“. Die Verwendung der deutschen Sprache war damals verboten.
Bei der Weiterfahrt nach Grimaldi, einer italienischen Gründung, lernen wir, dass wir besser etwas früher als etwas später Allrad zuschalten sollten (s. unser voriger Beitrag Mißgeschick …). Wir befinden uns jetzt im größten brasilianischen Weinanbaugebiet und nutzen die Gelegenheit, eine große Weinkellerei zu besichtigen und an einer Weinprobe teilzunehmen. Wir stellen fest, dass die Brasilianer die Weinerzeugung besser den Argentiniern und Chilenen überlassen sollten. Die können das wesentlich besser. Das meiste Zeug, das uns angeboten wird, ist für uns fast ungenießbar. Immerhin reicht es als Begründung, auf dem Parkplatz der Weinkellerei übernachten zu dürfen. Schließlich sind wir nach der Weinprobe absolut fahruntüchtig. Wir lernen, bei der nächsten Einreise nach Brasilien mehr argentinischen oder chilenischen Wein mitbringen. Der ist in Brasilien zwar ab und zu erhältlich, aber nur zu sehr hohen Preisen.
Gramado ist wiederum eine deutsche Gründung. Eine für uns sehr heiße und Mitte November schon erstaunlich weihnachtlich geschmückte Stadt. Hier besuchen wir ein Café Colonial, laut Reiseführer ein absolutes Muss. Ohne dass wir etwas bestellen, wird uns aufgetischt, und zwar in unfassbaren Mengen. Wie für 10 Mann. Kuchen, Fleisch, Gurken, Zwiebel, Brot, Butter, Aufschnitt, Marmeladen, Kaffee, Traubensaft 2x rot und 1x weiß, alles durcheinander. Wir können es irgendwie nicht richtig glauben, kämpfen uns aber tapfer durch.
Auf dem Weg zur Küste besuchen wir die beiden Nationalparks Parque Nacional de Aparados da Serra und Parque Nacional da Serra Geral. Es ist wieder Montag, und der von uns auf einer langen Holperpiste angefahrene erste der beiden Parks gilt offenbar als Museum und ist folglich geschlossen. Ein Park-Ranger rät uns, zuerst den anderen Park anzufahren und am nächsten Tag wiederzukommen. Der andere Park, Serra Geral, sei geöffnet. Offenbar ist der kein Museum. Wir tun, wie uns geraten, und bereuen es letztendlich nicht. Wir erleben herrliche Canyons, mit Urwald bestanden, völlig grün, wirklich beeindruckend. Einer der beiden von uns besuchten Canyons, der Cânion Itaimbezinho, wird nicht ohne Grund als der Grüne Grand Canyon Brasiliens bezeichnet.
Inzwischen freuen wir uns auf den Strand und fahren zunächst Praia do Rosa im Staat Santa Catarina an, angeblich einen der zehn schönsten Strände der Welt. Hier bleiben wir ein paar Tage, bevor wir zum Strand von Garopaba weiterfahren. Ein bischen Abwechslung muss schließlich sein. Der dritte Strand, den wir kennenlernen, liegt auf der Ferieninsel Ilha de Santa Catarina und hört auf den schönen Namen Praia de Moçambique. Alle drei Strände sind wunderschön, aber im Wesentlichen leer bzw. nur von Surfern genutzt. Den Brasilianern ist das Wasser noch zu kalt. Außerdem ist die Brandung manchmal so stark, dass man nur gegen die Brecher ankämpft und gar nicht zum Schwimmen kommt. Hildegard und ich lassen uns dadurch aber nicht vom Baden abhalten.
Ein wichtiges Reiseziel für uns ist Pomerode, die selbsterklärte deutscheste Stadt Brasiliens. Ich war bereits zweimal da, in den Jahren 2009 und 2012, und zwar jeweils geschäftlich, um in meinem früheren Leben, als ich noch zur arbeitenden Bevölkerung gehörte, das hier ansässige Werk von Bosch Rexroth zu besuchen. Mit dem Werkleiter Edson Duwe hatte ich vereinbart, auf unserer Reise auf jeden Fall in Pomerode Station zu machen. Und jetzt sind wir also da. Gleich am ersten Abend findet ein gemütliches Beisammensein des Rexroth-Managements mit Fisch-Grillen statt, zu dem wir freundlicherweise eingeladen werden. Es wird ein schöner, feuchtfröhlicher Abend. Da wir Leoni mitgebracht haben, ist es nach Abschluss der Feier nicht weit bis ins Bett. Dass Pomerode eine hervorragende Infrastruktur hat und man sich mit fast jedem auf Deutsch unterhalten kann, nutzen wir nach Kräften aus. Hildegard geht zum Friseur und kommt frisch gestylt zurück, wir bringen unsere schmutzigen Sachen in die Wäscherei und kaufen einen HP-Printer-Scanner-Kopierer, um im weiteren Verlauf der Reise völlig unabhängig von Internet-Cafés zu werden. Mit dem Linienbus der Pomeroder Firma Volkmann machen wir einen Ausflug nach Blumenau und besichtigen das Stadtzentrum dieser Großstadt mit seinen vielen nachgemachten Fachwerk-Fassaden.
Ein echtes Highlight in Pomerode ist die Rota do Enxaimel, die Fachwerk-Route, mit dem Trilha da Natureza, einem Naturpfad in den unberührten Urwald hinein. Auf etlichen Kilometern reiht sich Siedler-Häuschen an Siedler-Häuschen. Unten im Tal ist alles gerodet und wird als Wiese oder Ackerland genutzt. Die Berge dahinter sind dagegen fast unberührt. Der Trilha da Natureza liegt im hinteren Teil des Tales. Der Grundbesitzer Roberto Müller erklärt uns sehr kenntnisreich Flora und Fauna. Wir erfahren, dass es Pumas und seit einiger Zeit auch wieder Jaguare gibt, natürlich auch Schlangen, viele davon giftig. Trotzdem ist er in Badelatschen im Urwald unterwegs. Für die Sicherheit gegen Schlangen sorgt sein Hund, der angeblich jede Schlange aufspürt, die ihm in den Weg kommt, und sie tot beißt, wenn er nicht daran gehindert wird. Brüllaffen gibt es ebenfalls in großer Zahl. Leider sehen wir sie nicht, aber wir hören sie immerhin.
Zum Ende unserer Wanderung mit Roberto machen wir kurz Halt beim Haus seines Schwiegervaters. Der erzählt uns, dass sein Großvater ein Russlanddeutscher mit Namen Becker war. Boris Becker gehört nach seinen Angaben auch zur erweiterten Familie. Der Vorname Boris könnte dafür tatsächlich ein Hinweis sein. Wieder was gelernt.
Unser nächstes Reiseziel nach Pomerode sind die weltberühmten Wasserfälle von Iguaçu, ca. 800 km entfernt. Diese Entfernung ist für einen Tag deutlich zu weit. Wir unterbrechen unsere Fahrt daher auf halbem Wege und übernachten erstmals an einer Tankstelle zwischen Fernfahrern. Das wurde uns von anderen Reisenden empfohlen und klappt ganz prima. Am Nachmittag des zweiten Tages kommen wir nach einer Fahrt auf wirklich ausgezeichneten Straßen in Iguaçu an. Für die guten Straßen müssen wir allerdings an vielen Mautstationen kräftig bluten. Jedes Mal kostet uns das umgerechnet zwar „nur“ zwischen zwei und knapp vier Euro, aber das mehr als ein halbes Dutzend Mal am Tag. In Summe läppert sich das.
Iguaçu ist dann das Thema des nächsten Beitrags.
Hello Franz,
I am following your trip by this blog. It is very nice to read your experiences and see the pictures. Unfortunately I couldn’t be with you in Pomerode. It would be a pleasure!
So, keep enjoying the trip and the natural beauties in Brazil!
Regards!
When we’re invited in the house of the others, we would be good if we could respect the owners of the house. And not criticizing things like: “ dieser Großstadt mit seinen vielen nachgemachten Fachwerk-Fassaden“ or, „Das meiste Zeug, das uns angeboten wird, ist für uns fast ungenießbar. „.
We enjoyed our stay in Southern Brazil very much. Certainly I didn´t want to be disrespectful against our many Brazilian friends or against Brazil altogether. I apologize.