Unser fünfter und letzter Grenzübertritt von USA nach Kanada läuft etwas anders ab als alle vorherigen. Der kanadische Grenzer konfrontiert uns nämlich bei der Einreise mit einer neuen Fragenkombination: „Where do you have your home?“ und „Why do you come to Canada?“ Beides können wir erfreulicherweise zu seiner vollen Zufriedenheit beantworten. Feuerholz, Waffen, Tabak und Alkohol interessieren zum ersten Male überraschenderweise nicht. Wir lassen ihn noch die weißen US-Einreise-Zettel aus den Pässen herausreißen und bitten ihn, diese an die US-Behörden weiterzugeben. Dies ist bei der letztmaligen Ausreise aus den USA im bewilligten Aufenthaltszeitraum so vorgesehen.
Unser erstes Ziel in Kanada ist Waterloo, Ontario, das mit seiner Nachbarstadt Kitchener fest zusammengewachsen ist. Kitchener hieß bis zum ersten Weltkrieg Berlin und ist bis heute sehr stark von deutschen Einwanderern geprägt. In Waterloo wohnen Hart und Marilyn, die wir auf der Baja California kennengelernt haben. Wir stellen Leoni für drei Tage auf ihrem Grundstück direkt neben dem Haus ab. Gegessen wird im Haus, geschlafen in Leoni. Dies erzeugt bei allen Beteiligten den geringsten Aufwand und ist uns bei privaten Besuchen immer die liebste Kombination.
Hart ist als Sechsjähriger mit seiner Familie aus Deutschland nach Kanada ausgewandert. Damals hieß er noch Hartmut. Marilyn kann dagegen nur aus dem Großraum Berlin stammende deutsche Großeltern vorweisen. Hart spricht noch sehr gut Deutsch, Marilyn dagegen nicht. Eine erwähnenswerte Eigenschaft von Hart ist, dass er sehr gerne Wortspiele einsetzt, sowohl im Deutschen als auch im Englischen. Wir müssen immer sehr genau aufpassen, dass uns keine seiner Anspielungen entgeht. Vor allem im Englischen passiert das jedoch ziemlich regelmäßig, da uns die von Hart verwendeten feinen Nuancen der englischen Sprache oft völlig unbekannt sind. Hart gibt uns dann geduldig Nachhilfeunterricht, und in der Folge kringeln wir uns oft vor Lachen.
Einer der Ausflüge, die wir mit Hart und Marilyn in deren Auto machen, führt uns zu einer Mennoniten-Farm unweit von Waterloo. Die Beiden kaufen dort regelmäßig allerlei Obst und Gemüse ein. Die Mennoniten, die wir dort antreffen, gehören einer sehr traditionellen Richtung an, sind im Look des 19. Jahrhunderts gewandet und sprechen einen deutschen Dialekt mit stark alemannischem Einschlag. Als wir uns als deutsche Besucher zu erkennen geben, lässt uns die Hausfrau eine alte englisch-deutsche Bibelausgabe durchblättern. Jede Seite enthält zwei Text-Spalten, links Englisch und rechts Deutsch. Noch interessanter finden wir ein zweites uns vorgelegtes Buch mit dem „Glaubens-Bekenntnis der Mennoniten“. Es beginnt mit: „Aufgesetzt zu Dortrecht, in einer gewissen Friedensverhandlung, den 21. April 1632.“ Mehr zur inzwischen fast 500 Jahre existierenden pazifistischen Glaubensgemeinschaft der Mennoniten findet sich im Blog-Beitrag über Paraguay.
Auch die Niagara-Fälle besuchen wir gemeinsam mit Hart und Marilyn. Wir erwischen einen wunderschönen Tag mit herrlichem Sonnenschein und genießen das prachtvolle Panorama von der kanadischen Seite aus. Kanada verfügt eindeutig über die Schokoladenseite der Fälle und hat schon sehr früh parallel zum Niagara River und den Fällen einen langgestreckten und sehr umfangreichen Park installiert. Durch die so entstandene Parklandschaft werden die Fälle besonders gut zur Geltung gebracht.
Der Schiffsverkehr wird mit Hilfe des Welland-Kanals und einer ganzen Reihe von Schleusen an den Niagara-Fällen vorbei geleitet. Bei unserem Besuch wird gerade ein großes Frachtschiff durch Lock No. 7 geschleust. Wir sind ganz nah dabei, noch deutlich näher als vor einem halben Jahr am Panama-Kanal. Das von unten kommende und zunächst tief in der Schleusenwanne liegende Schiff wächst innerhalb von ein paar Minuten buchstäblich haushoch über uns hinaus. Ein sehr eindrucksvoller Vorgang.
Nach der sehr herzlichen Verabschiedung von Hart und Marilyn fahren wir bei herrlichem Wetter an Toronto vorbei zum Algonquin Provincial Park. Im Canisbay Lake Campground checken wir für zwei Tage ein, was mit knapp 45 Can$ pro Nacht zu Buche schlägt. Der Algonquin Park ist ein ausgedehntes Wald- und Seen-Gebiet und bekannt für seine nahezu unbegrenzten Wander- und Kanutour-Möglichkeiten. Besonders schön ist es hier im Indian Summer. Der hat gerade begonnen, und vor allem die Ahorn-Blätter fangen an, sich zunächst gelb und dann tiefrot zu verfärben. Wir haben uns fest vorgenommen, in dieser einmaligen Umgebung endlich mal wieder einen Tag ausgiebig zu wandern. Doch am nächsten Morgen trommelt Regen auf Leonis Dach. Und dieser hört praktisch den ganzen Tag nicht mehr auf. Erst kurz vor dem Dunkelwerden macht er eine kleine Pause, so dass wir wenigstens noch eine Stunde durch den Wald und am See entlang laufen können.
Am nächsten Morgen ist es zunächst trocken, und wir laufen auf einem der vielen Wanderwege ein Stück in den Wald hinein. Doch schon nach einer halben Stunde fängt es wieder an zu tröpfeln. Wir kehren um, fahren Richtung Ottawa, durchqueren die Stadt, passieren eine Brücke und sind unvermittelt und übergangslos in Québec. Die Beschriftung der Straßenschilder ändert sich schlagartig. Waren diese im Großraum von Ottawa, der kanadischen Hauptstadt, noch konsequent zweisprachig, so ist in Québec alles mindestens genauso konsequent einsprachig, nämlich französisch. Das geht hin bis zum roten Stop-Schild, auf dem normalerweise Stop steht. In Québec steht auf dem Schild Arrêt. Viele Hinweisschilder verstehen wir zunächst überhaupt nicht. Der Ottawa River, Grenzfluss zwischen Ontario und Québec, mutiert zum Beispiel zum Rivière Otaouais, und das muss man erst einmal kapieren.
Der Hintergrund des Ganzen ist schnell erzählt. Die französischsprachigen Kanadier fühlen sich seit mehr als 200 Jahren gegenüber den Anglo-Kanadiern benachteiligt und versuchen ihre Sprache und kulturellen Eigenarten um fast jeden Preis zu bewahren. Wobei das mit dem Sprache-Bewahren so eine Sache ist. Denn bewahrt wird ein sehr altes Französisch, das aus dem 17. bis 19. Jahrhundert stammt. Wir haben immer wieder große Probleme, es zu verstehen bzw. uns auf Französisch verständlich zu machen. Schon in Süd- und Mittelamerika haben wir mehrfach Reisende aus Québec getroffen, und die Kommunikation in französischer Sprache war jedes Mal eine große Herausforderung.
Etwa 20 km nördlich von Ottawa besuchen wir Benita und André, bei deren Haus in Santiago de Chile wir Leoni vor fast anderthalb Jahren für eine Woche zurückgelassen hatten, um zur Osterinsel zu fliegen. Die Beiden haben am Rivière Gatineau ein wunderschönes Grundstück mit von ihnen etwas verniedlichend „Cottage“ genanntem Haus, in dem sie seit Jahren regelmäßig die Nord-Sommer verbringen. Wir bekommen einen schönen Stellplatz für Leoni mitten im Wald, schlafen auch dort, essen aber regelmäßig mit unseren Gastgebern im Haus. Diese haben zunächst noch anderen Besuch aus Deutschland und an mehreren Abenden auch von in der Nachbarschaft lebender Verwandtschaft, so dass immer ausreichend etwas los ist. Mehrmals gehen wir ausgiebig im Fluss schwimmen, und unweit von Leoni entdecke ich nur zwei oder drei Meter entfernt mein erstes amerikanisches Stachelschwein. Natürlich, als ich ausnahmsweise einmal ohne Kamera unterwegs bin.
Seit dem letzten Öl- und Filterwechsel sowie Abschmieren in Fairbanks, Alaska, sind wir bereits wieder knapp 10.000 km gefahren, und eine letzte Wartungseinheit auf dem amerikanischen Doppelkontinent steht an. André vermittelt uns einen Termin bei einem Bekannten, der über eine perfekt ausgestattete Autowerkstatt verfügt und bereit ist, die Arbeit zu übernehmen. Peter ist trotz seines Vornamens Franko-Kanadier mit einem ausgesprochen französischen Familiennamen, spricht aber auch sehr gut Englisch, was unsere Kommunikation stark vereinfacht. Wie üblich stelle ich auch dieses Mal alle zu wechselnden Filter bei. Nach der Demontage der hinteren Kardanwelle, um an deren hinteren Abschmierpunkt heranzukommen, stellt Peter fest, dass auch der vordere Abschmierpunkt nur in ausgebautem Zustand zugänglich ist, was ich bisher gar nicht wusste. Er liefert auch gleich die überraschende Erklärung mit. Die Kreuzgelenke wurden in Nicaragua gar nicht, wie von mir angenommen, falsch eingebaut. Vielmehr wurden bei der hinteren Kardanwelle im Gegensatz zur vorderen keine Original-Toyota-Teile verbaut, denn diese haben laut Peter einen gut zugänglichen Schmiernippel in der Mitte. Ich hatte Toyota bzgl. seiner Poka-Yoke-Expertise ganz offensichtlich in völlig falschem Verdacht und leiste hiermit öffentlich Abbitte.
Noch eine weitere Reparatur während unserer Reise wurde, wie Peter feststellt, unprofessionell durchgeführt, nämlich in Bogota die Lackierarbeiten um die Windschutzscheibe herum. Der Rost ist nämlich nach nur 8 Monaten in voller Stärke wieder da. Doch das kann und muss warten, bis wir wieder zu Hause sind. Peter arbeitet das vorgesehene Programm sehr professionell ab und gibt mir noch eine ganze Reihe weitere interessante Hinweise. Mit seiner Arbeit bin ich überaus zufrieden und über den letztendlich zu zahlenden Betrag von nur 190 Can$ sehr positiv überrascht.
Für einen Besuch von Ottawa stellt André uns seinen alten Toyota Pick-up zur Verfügung, so dass wir uns nicht mit Leoni durch den Großstadt-Verkehr wühlen müssen. Wir haben auch so schon genügend Probleme, einen Parkplatz zu finden, und stellen das Auto schließlich in Gatineau auf der anderen Seite des Ottawa Rivers ab. Zu Fuß geht es dann über eine Brücke zurück nach Ottawa. Nach ein paar Runden durch die Stadt, im Wesentlichen in der Nähe der sehr markanten Parliament Buildings, entschließen wir uns, eine Stadtrundfahrt zu machen. Aber keine mit einem normalen Bus, sondern eine mit einem Amphibien-Fahrzeug. Dies ist für uns beide etwas Neues und wirklich ein besonderes Erlebnis. Unser roter Amphibien-Bus fährt nach einiger Zeit an einer Bootsrampe einfach hinunter in den Fluss, und in der Folge besichtigen wir Ottawa und Gatineau aus einer neuen Perspektive, nämlich vom Wasser aus.
Am nächsten Morgen verabschieden wir uns nach 5 Tagen sehr herzlich von André und Benita und setzen unsere Reise fort. Wir lassen Montréal rechts liegen, biegen nach Norden ab und fahren bis unmittelbar vor den Parc National de la Mauricie, wo wir auf einem privaten Campingplatz übernachten. Das Wetter ist hervorragend, und der Indian Summer kommt erkennbar immer näher. Im Wald dominiert zwar immer noch die Farbe Grün, aber Gelb und Rot sind stark im Kommen.
Bei der Einfahrt in den Park sind wir erfreut, dass wir nichts bezahlen müssen. Unsere im Banff National Park erstandene, Discovery Pass genannte 2-Jahres-Karte, die den Zutritt zu allen kanadischen National Parks und National Historic Sites erlaubt, wird anstandslos akzeptiert. Wir werden lediglich gefragt, ob wir im Park campen wollen, was wir verneinen. Nur ein paar hundert Meter weiter werden wir – sowie alle nachfolgenden Fahrzeuge – angehalten, ohne dass man uns mitteilt, warum. Erst etliche Minuten später erfahren wir auf Nachfrage, dass heute hintereinander drei Radrennen im Park ausgetragen werden, dass alle Parkplätze im Park belegt sind und wir nicht weiterfahren können. Wir fassen uns an den Kopf, drehen um und fahren eine ungeplante Tagesetappe zum Lac-St-Jean, wo wir auf einem Campingplatz unmittelbar am Seeufer die Nacht verbringen.
Durch intensiv landwirtschaftlich genutztes Gebiet geht es am nächsten Tag weiter zum Parc National du Fjord-du-Saguenay. Siegesgewiss zeigen wir am Eingang unseren Discovery Pass vor und werden mit einer überraschenden Argumentation konfrontiert. Die Wasserfläche des Fjords gehört zum Parc Marin du Saguenay-Saint-Laurent und ist durch unseren Pass abgedeckt, doch die Landfläche gehört zum Parc National du Fjord-du-Saguenay und wird nicht von Parks Canada, sondern aus irgendwelchen Gründen von der Provinz Québec verwaltet. Wie der Name schon sagt, ist zwar auch die Landfläche Nationalpark-Gebiet. Trotzdem wird unser Discovery Pass nicht akzeptiert, und wir müssen neue Eintrittskarten kaufen. Es geht dabei nur um ein paar Dollars, doch das Ganze ist einfach ärgerlich. Zu allem Überfluss bekommen wir auch noch eine ausgedruckte Rechnung über das Eintrittsgeld mit dem Briefkopf Parks Canada / Parcs Canada. Es ist eigentlich nicht zu fassen. Wir hätten besser auf eine sehr Kanada-erfahrene australische Reisebekanntschaft hören sollen. Giles hatte uns vom Kauf des Discovery Passes abgeraten, weil man mit ihm nicht so viel anfangen könne, da viele der interessantesten Parks ohnehin Provinz-Parks wären, in denen der Discovery Pass nicht gilt. Mehr und mehr kommen wir zu der Einsicht, dass er wohl Recht hatte. Inzwischen wissen wir auch aus eigener Erfahrung, dass in kanadischen Nationalparks die Zugangskontrolle nicht gut funktioniert. Mehrfach waren wir in Nationalparks, ohne dass irgendjemand das eigentlich fällige Eintrittsgeld kassiert bzw. nach dem Discovery Pass gefragt hätte. In den USA passiert so etwas dagegen so gut wie nie. Dort klappt die Zugangskontrolle nahezu perfekt.
Wir bleiben zwei Nächte auf dem Campingplatz in der Baie Éternité und erkunden von dort aus den Park. Der Fjord-du-Saguenay hat mit 103 km Länge riesige Ausmaße und mündet bei Tadoussac in den Sankt-Lorenz-Strom. Die obersten ca. 5 m der Wassersäule bestehen aus Süßwasser, darunter liegt aus dem Sankt-Lorenz-Strom stammendes Salzwasser. Durch diese Kombination ist die Vielfalt der vorkommenden Lebensformen außerordentlich hoch. Bei Tadoussac versammeln sich zum Beispiel im nährstoffreichen Wasser große Mengen verschiedener Walarten. Die weißen Beluga-Wale sind sogar ganzjährig vertreten und schwimmen gelegentlich auch weit in den Fjord hinein.
Unsere erste nähere Bekanntschaft mit dem Fjord machen wir auf einer zweistündigen Zodiac-Tour, die für uns beide in Summe mit gut investierten 119,55 Can$ zu Buche schlägt. Statt der möglichen 12 Passagiere sind, uns eingeschlossen, nur ganze drei an Bord, was sich sehr positiv auf die Bewegungsfreiheit auswirkt. Wir finden den Fjord überaus eindrucksvoll. Die Felswände auf der Südseite sind zum Teil so steil, dass erfahrene Kletterer vier Tage für die Bewältigung der „nur“ ca. 200 Höhenmeter benötigen. Wir bewundern den üppigen Bewuchs an den nicht ganz so steilen Stellen, machen Halt an einigen Wasserfällen und suchen die Wasseroberfläche nach Walen ab. Leider sehen wir keine, bekommen aber immerhin, gewissermaßen als Trostpreis, eine sich auf einem Felsen ausruhende Robbe zu Gesicht. Auf die Wale müssen wir bis Tadoussac warten.
Nach einer sternenklaren und sehr kalten Nacht – am Morgen ist es noch ganze 0,9 Grad „warm“ – begeben wir uns auf den populärsten Wanderweg im Park, den im Reiseführer als leicht beschriebenen Sentier de la Statue. Schon nach kurzer Zeit stellen wir fest, dass er ganz so leicht nicht ist. Es geht steil bergauf und auf der anderen Seite des Bergrückens genauso steil wieder hinunter, bis das Ziel, eine 1881 aufgestellte riesige Marien-Statue erreicht ist. Das Wetter ist hervorragend, und die Ausblicke über den Fjord sind atemberaubend. Nach vier Stunden sind wir zurück und leiden an den folgenden Tagen unter kräftigem Muskelkater.
Um nach Tadoussac zu gelangen, muss man den Fjord-du-Saguenay an seiner Mündung in den Sankt-Lorenz-Strom auf einer kostenlosen Fähre überqueren, was allerdings nur wenige Minuten in Anspruch nimmt. Tadoussac liegt auf der Nordseite des Fjords sehr schön auf einer kleinen Anhöhe und gilt als eine der ältesten Städte Kanadas. Schon 1603 beim Besuch von Samuel de Champlain, der 5 Jahre später die Stadt Québec gründete, existierte hier ein florierender französischer Handelsposten. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich Tadoussac dann zum bevorzugten Ausflugsgebiet der wohlhabenden Bewohner der Ville de Québec. Aus dieser Zeit stammt auch das unumstrittene Wahrzeichen der Stadt, das alterwürdige Hotel Tadoussac von 1864. Heute ist Tadoussac wie schon angedeutet die wohl bedeutendste Whale Watching Destination von Kanada.
Beim Tanken unmittelbar nach unserer Ankunft frage ich die Tankwartin nach einem passenden Campingplatz. Sie gibt bereitwillig Auskunft, empfiehlt uns aber, lieber 5 km außerhalb der Stadt wild im Bereich der Dünen zu übernachten. Da wäre es viel schöner und außerdem noch kostenlos. Wir folgen ihrem Rat und werden nicht enttäuscht. Der von uns gewählte Platz liegt an einem steilen Abhang ca. 50 m oberhalb des Sankt-Lorenz-Stroms und ermöglicht einen geradezu atemberaubenden Panorama-Blick. Hier verbringen wir die folgenden zwei Nächte. Leider ist in der Zeit unserer Anwesenheit das Wetter etwas durchwachsen. Die Sonne lässt sich kaum blicken, und es bläst ein kalter Wind. Zum Glück bleibt es jedoch immerhin wenigstens weitgehend trocken.
Eine Whale Watching Tour machen wir natürlich auch, leider bei starker Bewölkung und einem eisigen Wind. Aber man kann sich das Wetter halt nicht immer aussuchen. Wir zahlen ca. 80 Can$ p.P. und sind beim Einschiffen überrascht und auch ein bisschen entsetzt über die riesigen Menschenscharen, die sich an Bord unseres Schiffes drängen. Es sind viele hundert. Wir fragen uns ernsthaft, wo plötzlich all diese Touristen herkommen. Im Stadtbild waren die vorher gar nicht aufgefallen.
Das ganze Procedere dauert, doch als es dann endlich los geht, brauchen wir gar nicht weit in den Sankt-Lorenz-Strom hineinzufahren, denn quasi sofort sind wir von Walen umgeben. Es sind Minke-Wale, und zwar eine beträchtliche Anzahl. Auf allen Seiten des Schiffes tauchen sie auf, sind aber nur sehr schwer zu fotografieren. Außer unserem Schiff sind zeitgleich noch zwei wesentlich wendigere Zodiacs auf Whale Watching Tour unterwegs. Wegen des starken Wellengangs und der kalten Witterung hatten wir uns vorsichtshalber gegen eine ursprünglich von uns geplante Zodiac-Tour entschieden.
Nach einiger Zeit auf dem Sankt-Lorenz-Strom fährt der Kapitän noch ein ganzes Stück in den Fjord-du-Saguenay hinein. Auf dem Weg dorthin kreuzen mehrere weiße Wale unseren Weg. Zu sehen bekommen wir von den Belugas aber jeweils nur aus ziemlicher Entfernung den wenig ausdrucksstarken weißen Rücken. Im Fjord fährt das Schiff nach einer längeren Besichtigungsfahrt schließlich ganz nah an drei auf einem Felsen liegende Robben heran. Es herrscht große Aufregung an Bord, denn jeder will die Robben unbedingt aus der bestmöglichen Perspektive fotografieren. Und im Gegensatz zu Walen halten auf einem Felsen liegende Robben ja schön still. Wir finden das Ganze etwas übertrieben, wahrscheinlich haben wir in den letzten zwei Jahren einfach schon zu viele Robben gesehen und fotografiert. Insgesamt sind wir von unserer Tour auch eher enttäuscht. Zum Einen sind wir inzwischen ganz sicher verwöhnt, und zum Anderen hat das Wetter einfach nicht ausreichend mitgespielt. Von anderen Reisenden, die bei Sonnenschein und spiegelglattem Wasser unterwegs waren, haben wir nämlich durchaus begeisterte Berichte gehört.
Die Stadt Québec liegt von Tadoussac ca. 200 km entfernt. Wir fahren den Sankt-Lorenz-Strom flussaufwärts und checken am Stadtrand im Camping Québec en Ville ein. Mit dem sehr kostengünstigen Nahverkehrsbus geht es dann am nächsten Tag zur Besichtigungstour in die Stadt. Québec ist die einzige amerikanische Stadt nördlich von Mexiko, die von einer Stadtmauer umgeben ist, und wurde 1985 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. Die Befestigungsanlagen boten der Stadt im 18. Jahrhundert aber nicht ausreichend Schutz, denn im Jahre 1759 wurde das französische Québec bei einem Überraschungsangriff von den Briten erobert. Mit dem Pariser Friedensvertag von 1763 am Ende des Siebenjährigen Kriegs fielen Québec und das gesamte Gebiet Nouvelle France dann endgültig an Großbritannien.
Die Stadt Québec ist heute zu 95% von frankophonen Kanadiern bewohnt, vermittelt zu fast 100% das Gefühl, in Frankreich zu sein, ist sowohl außerordentlich sauber als auch ansehnlich und gefällt uns ausnehmend gut. Wir bummeln durch die engen Gassen und am phantastischen Hotel Château Frontenac vorbei, müssen bei tollem Wetter die Freude an der Schönheit der Stadt allerdings mit tausenden anderen Touristen teilen. Auffällig viele asiatische sind darunter. Wir essen im Steakhouse Sacré Feu zu Mittag und sind überrascht über das gleichzeitig sehr gute und auch vergleichsweise preiswerte Essen.
Von der Ville de Québec aus führt uns unsere weitere Reise zunächst wieder flussabwärts am Südufer des Sankt-Lorenz-Stroms entlang nach Trois Pistoles. Dort ist es nicht ganz so gefährlich, wie der Name vielleicht vermuten lassen könnte. Denn dieser geht zurück auf einen französischen Seemann, der hier 1621 beim Nachschenken einen Silberbecher ungeschickterweise in den Fluss fallen ließ. Dieser Becher hatte einen Wert von drei Pistolen – so wurden die Goldmünzen der damaligen Zeit genannt. Und die waren jetzt versenkt.
Das von uns durchquerte, Bas-Saint-Laurent genannte Gebiet ist schon jahrhundertelang intensiv landwirtschaftlich genutzt. Wir fahren an saftigen Weiden und gerade abgeernteten Feldern vorbei und erfreuen uns an den sehr netten, ansehnlichen und auffallend sauberen Dörfern. Bei der feudalen Seigneurie des Aulnaies in Saint-Roch-des-Aulnaies, einem Herrensitz noch aus französischer Zeit, legen wir einen kurzen Stopp ein und bewundern das eindrucksvolle Anwesen und die alte Wassermühle.
Trois Pistoles wartet dann mit einer kleinen Überraschung auf. Denn der von uns angefahrene Campingplatz ist, offenbar saisonbedingt, bereits geschlossen. Wir fahren weiter zu einer nahe gelegenen Recreation Area direkt am Strand und richten uns dort auf dem Parkplatz für eine kostenlose Übernachtung ein. Danach starten wir zu einem ausgiebigen Strandspaziergang. Genau gegenüber in ca. 40 km Entfernung liegt kaum erkennbar das uns wohlbekannte Tadoussac. Der Einfluss der Gezeiten ist hier am Südufer des Sankt-Lorenz-Stroms jedoch deutlich stärker spürbar als auf der anderen Seite. Denn das Wasser ist vergleichsweise flach, und schon nach kurzer Zeit werden weite Seegras- und Morast-Felder freigelegt. Lautes Geschrei lässt uns nach einiger Zeit nach oben blicken. Über uns ziehen tausende sauber in Formation fliegende Gänse zu ihren Winterquartieren im Süden.
An der Grenze zur Provinz New Brunswick (Neu-Braunschweig) müssen wir die Uhren wieder einmal eine Stunde vorstellen. Somit haben wir nur noch 5 Stunden Zeitverschiebung zu Deutschland. Alle Straßenschilder sind schlagartig wieder zweisprachig. Sogar auf dem roten Stop-Schild steht jetzt Stop/Arrêt. Dies bleibt in ganz New Brunswick so, denn dies ist die einzige kanadische Provinz, die gemäß Verfassung zweisprachig ist. Etwa ein Drittel der Bevölkerung spricht Französisch als Muttersprache. Die Bevölkerungsdichte ist allerdings sehr gering. Immerhin drei Viertel von New Brunswick sind von Wald bedeckt, und wir fahren stundenlang an herrlich bunt leuchtenden Indian-Summer-Kulissen vorbei. Immer wieder halten wir an, um Fotos zu machen.
Nach einer Zwischenübernachtung erreichen wir den Fundy National Park an der Bay of Fundy. Hier gibt es einen der größten Tidenhübe der Welt zu bewundern. Bei unserem Besuch sind es ca. 10 m Höhenunterschied zwischen Hoch- und Niedrigwasser, aber je nach Mondkonstellation, Windrichtung und Meeresströmung können es bis zu 16 m sein. Im Hafen des dem National Park unmittelbar benachbarten Örtchens Alma liegen die gerade noch im Wasser dümpelnden Hummer- und Langusten-Fang-Boote innerhalb kürzester Zeit komplett auf dem Trockenen.
Der wohl bekannteste Ort an der Bay of Fundy zur Beobachtung des gigantischen Tidenhubs sind die gebührenpflichtigen Hopewell Rocks. Der Eintritt kostet 10 Can$ p.P. Hier treffen wir uns mit Florian und Jacqueline aus Luzern, die wir vor drei Monaten in British Columbia kennengelernt haben. Bei Niedrigwasser ist es im Hopewell Rocks Park möglich, über eine aufwändige Treppenanlage auf den Meeresboden herabzusteigen. Angestellte des Parks achten darauf, dass alle Besucher rechtzeitig zurückkommen und niemandem der Rückweg durch das extrem schnell auflaufende Wasser versperrt wird. Es gibt an vielen Stellen Abschrankungen mit Warnschildern, um die Besucher vor herabfallenden Steinen und Geröllmassen zu schützen. Diese sind aus unserer Sicht allerdings völlig unzureichend. So gibt es beispielsweise einen großen, sehr fotogenen Steinbogen, der aus extrem bröckeligem Material besteht und jeden Moment in sich zusammenstürzen kann. Abgesichert ist hier gar nichts, und viele Besucher spazieren ungeachtet der Gefahr völlig entspannt hindurch und lassen sich unter dem Bogen fotografieren.
Nur zwei Kilometer von den Hopewell Rocks entfernt, also in strategisch sehr günstiger Position, liegt ein ausgesprochen netter Campingplatz. Am Nachmittag sitzen wir dort in dicke Jacken gehüllt vor unseren Fahrzeugen, aber den Abend verbringen wir gemeinsam mit den beiden Schweizern lieber in der angenehm warmen Leoni. Das Außenthermometer zeigt am nächsten Morgen zwar gerade noch positive 1,5 Grad an, aber auf der Wiese um uns herum liegt dicker Raureif. Doch bald scheint die Sonne, und es wird ein wunderbar warmer Tag. Wir beschließen, den Hopewell Rocks einen zweiten Besuch abzustatten, und tatsächlich sind die Bedingungen jetzt deutlich besser als am Vortag. Kein Wind mehr, dafür spiegelglattes Meer, wolkenloser Himmel, Sonnenschein. Bei einer Tasse Kaffee auf der Terrasse des Visitor Centers verabschieden wir uns schließlich von Florian und Jacqueline und fahren über Moncton nach Nova Scotia, in die Provinz Neu-Schottland.
Zwei Tage später erreichen wir bei weiterhin hervorragendem Wetter den Cape Breton Highlands National Park. Hier fahren wir den Campingplatz Corney Brook an und haben dort einen herrlichen Stellplatz direkt über dem Meer. Und zum ersten Mal seit Mexiko erleben wir wieder einmal einen klassischen Sonnenuntergang am Meer.
Der folgende Tag ist fürs Wandern reserviert. Wir fahren zum Trailhead des Skyline Trails und machen uns mit Wanderschuhen und Wanderstöcken ausgerüstet auf den Weg. Schon nach kurzer Zeit entdecken wir im Gebüsch dicht neben dem Weg eine Elchkuh mit ihrem Kalb. Vorsichtig nähern wir uns den Beiden, die sich durch unser Kommen aber kaum beim Fressen stören lassen. Am Ende sind wir vielleicht noch 20 m von den imposanten Tieren entfernt. Und eine knappe Stunde später bekommen wir von anderen Wanderern sogar auch noch einen kapitalen Elchbullen gezeigt, der in einem Abhang unter uns durch das dichte Fichtengebüsch streift und nur ab und zu anhand seines gewaltigen Geweihs zu lokalisieren ist. Nach dreieinhalb Stunden sind wir zurück bei Leoni, und Hildegard bereitet auf einem Parkplatz ein paar Kilometer weiter unser Mittagessen zu.
Als wir anschließend weiterfahren wollen, springt Leoni zum ersten Mal auf der gesamten Reise nicht an. Ich steige aus und werde im selben Moment von einem mittelalten Mann aus einem gerade angekommenen Wohnmobil auf Deutsch angesprochen: „Sind Sie wirklich aus Deutschland?“ Unfassbarerweise ist der Neuankömmling ein Kfz-Meister aus Nürnberg, der mit seiner Frau auf einer dreiwöchigen Urlaubsreise durch Ost-Kanada ist. Er beginnt sofort mit der Fehlersuche, findet aber nichts. Mit Hilfe unserer Jumper Cables bekommen wir von ihm schließlich Starthilfe. Leonis Motor läuft wieder. Wir bedanken uns und fahren vom Hochplateau des Parks hinunter und zurück nach Chéticamp, um dort weitere Hilfe zu finden.
Unterwegs auf der nur kurzen Strecke gehen nach und nach alle Warnlampen im Cockpit an, Radio, Uhr und Rückfahrkamera fallen aus, Scheinwerfer, Blinker, Rück- und Bremslichter funktionieren nicht mehr. Nur der Motor läuft problemlos. An der ersten Werkstatt in Chéticamp werden wir wegen Auftragsüberlastung weitergeschickt. An der zweiten werden kurz Batteriespannung und Lichtmaschine gecheckt, mit der Diagnose: Lichtmaschine defekt. Dann werden wir mangels verfügbaren Mechanikers weitergeschickt. An der dritten Werkstatt verspricht uns der Inhaber Pat Boudreau, sich am nächsten Morgen um unser Problem zu kümmern und weist uns einen Übernachtungsplatz auf einer Wiese direkt neben den Werkstatt-Gebäuden an. Ich platziere Leoni entsprechend und schalte die Zündung aus. Anschließend gibt Leoni keinen Muckser mehr von sich. Alles im Bereich des Fahrzeugs ist tot. Die Kabine funktioniert dagegen tadellos.
Am Morgen kommt Pat wie versprochen mit einem Booster, um uns Starthilfe zu geben, damit wir die ca. 50 m zum Tor vor seiner Werkstatt schaffen können. Er schließt ein Ladegerät an die Batterien an, bestätigt alsbald die Diagnose der defekten Lichtmaschine und versucht, per Telefon eine Lösung zu organisieren. Laut der weit entfernten nächsten Toyota-Werkstatt passt Leonis Chassisnummer unfassbarerweise bei Toyota angeblich nicht ins System. Es geht hin und her, eine Zeichnung einer völlig andersartigen Lichtmaschine wird gefaxt, bis Pat schließlich aufgibt. Auch bei anderen möglichen Lichtmaschinen-Quellen ist er nicht erfolgreich. Die Bürsten hat er inzwischen gecheckt. Diese sind definitiv nicht die Ursache des Problems. In Sydney, 2 – 3 Autostunden entfernt, kennt er einen Spezialisten, der Lichtmaschinen reparieren kann. Um 11 Uhr schickt Pat seinen Bruder los. Wir sind ziemlich nervös, denn es ist Freitag, das lange Thanksgiving-Wochenende, an dem niemand arbeiten will, steht unmittelbar vor der Tür, und am Mittwochmorgen um 8.30 Uhr haben wir unseren Abgabetermin im über 400 km entfernten Hafen von Halifax. Doch um 17 Uhr erscheint gewissermaßen wieder Licht am Horizont, denn da kommt der Bruder mit der reparierten Lichtmaschine zurück. Ein Kurzschluss im Stator war die Fehlerursache. Eine halbe Stunde später ist die Lichtmaschine wieder eingebaut, und Leoni ist wieder voll funktionsfähig. Wir sind in hohem Maße erleichtert und anschließend auch erfreut über die mit 600 Can$ sehr überschaubaren Kosten. Zum Abschluss des erfolgreich bestandenen Abenteuers laden wir Pat und seine Frau Fedora zum Abendessen in einem Restaurant am Hafen ein.
Die Nacht verbringen wir mit Pats Erlaubnis erneut vor der Werkstatt, und am Morgen begeben wir uns an einen erforderlich gewordenen Radwechsel. Der hintere rechte Reifen verliert seit einiger Zeit Luft, und das hat sich zuletzt extrem gesteigert. Nach getaner Arbeit checkt Pat den Reifen mit einer wässrigen Seifenlösung, und wir finden sage und schreibe dicht nebeneinander fünf (!) kleine Lecks. Da am inzwischen begonnenen langen Wochenende niemand den Reifen flicken wird, beschließen wir, diesen unrepariert als neuen Reservereifen mitzuführen. Wenn auf dem vergleichsweise kurzen Stück nach Hause ein weiterer Reifen ausfallen sollte, müssten wir den defekten jetzigen Ersatzreifen eben immer wieder mal mit dem bordeigenen Kompressor aufpumpen.
Nach einer herzlichen Verabschiedung von Pat und Fedora füllen wir in Chéticamp unsere Vorräte auf und setzen die Fahrt auf dem Cabot Trail rund um Cape Breton Island fort. Unser Reiseführer behauptet, dass der Cabot Trail eine der herausragenden Scenic Roads auf dem nordamerikanischen Kontinent ist, vor allem während des Indian Summers und bei Sonnenschein. Beide Randbedingungen sind bei unserer Fahrt voll erfüllt, und wir sind absolut begeistert von der überwältigenden Farbenpracht, die vor allem von den Ahorn-Bäumen in den unberührten Wäldern des Cape Breton Highlands National Parks ausgeht. Immer wieder halten wir an, um die farbenfrohe herbstliche Szenerie zu fotografieren.
Auf der Ostseite der Insel übernachten wir schließlich auf dem Broad Cove Campground des National Parks. Im Gegensatz zu den letzten Tagen fühlen wir uns geradezu tiefenentspannt. Leoni funktioniert wieder, wir haben alles, was wir brauchen, an Bord und freuen uns auf Halifax und die Heimreise.
Am folgenden Morgen ist es bewölkt und erstaunlich warm. Wir machen eine letzte Wanderung im National Park und umrunden den Warren Lake. Es ist eine sehr schöne Wanderung, aber wegen der fehlenden Sonne kommen die Herbstfarben längst nicht so gut zum Tragen wie am Vortag. Nach knapp zwei Stunden sind wir zurück bei Leoni und machen uns auf den Weg nach Louisbourg.
Die Festung Louisbourg wurde von den Franzosen im Jahr 1713 gegründet und nach dem Sonnenkönig Ludwig XIV benannt. Hintergrund war der Fisch-Reichtum vor der Küste Ost-Kanadas. Fisch hatte damals große Bedeutung und wurde in getrockneter Form in großen Mengen nach Europa exportiert. Laut dem uns in Louisbourg führenden National Park Guide war im katholischen Europa an 144 Tagen im Jahr der Verzehr von Fleisch verboten, und Fisch stand entsprechend hoch im Kurs. 1745 wurde die Festung Louisbourg von den Briten erobert, aber 1748 nach dem Frieden von Aachen an Frankreich zurückgegeben, allerdings nur, um 1758 erneut von den Briten erobert und schließlich 1760 geschleift zu werden. Danach verfiel das Festungsgelände, das Baumaterial wurde nach und nach abgetragen und anderweitig verwendet, vor allem im nahe gelegenen zivilen Ort Louisbourg.
1962 beschloss die kanadische Regierung, einen Teil der Festung Louisbourg möglichst originalgetreu wieder aufzubauen und als wichtigen Bestandteil der kanadischen Geschichte für die Bevölkerung erlebbar zu machen. Mit Ausnahme der Grundmauern war allerdings nichts mehr erhalten. Folglich sind alle heute vorhandenen Gebäude komplette Rekonstruktionen, bei denen man sich jedoch weitestgehend an die alten Baupläne gehalten und auch zeitgenössische Baumaterialien verwendet hat. Auch die Innenausstattungen der Gebäude wurden entsprechend zusammengestellt. Im Stil des 18. Jahrhunderts gekleidetes Personal hilft dabei, sich wie bei einer Zeitreise in das Jahr 1744 zurückzuversetzen. Es gibt Soldaten, Dienstmädchen, Handwerker und sogar eine, allerdings männliche, Gänse-Liesel. Das Ganze ist in der Art eines lebenden Museums aufgezogen und kann sich wirklich sehen lassen. Parks Canada ist für die Betreuung der National Historic Site Fort Louisbourg zuständig, so dass wir nach dem Cape Breton Highlands National Park innerhalb weniger Tage ein zweites Mal unseren Discovery Pass nutzen können, was uns mit diesem Thema doch wieder etwas versöhnt.
In der Nacht beginnt es zu regnen, und am folgenden Tag hört der Regen auf der gesamten Strecke nach Halifax nicht mehr auf. Im Gegenteil, zeitweise nimmt das Ganze unwetterartige Züge an. Als wir gerade auf dem Shubie Campground in der Nähe von Halifax angekommen sind und uns dort einrichten, wird Hildegard von einer Sturmböe die Kabinentür aus der Hand gerissen, die daraufhin gegen den Anschlag knallt. Das wäre noch nicht weiter schlimm, aber durch den Schlag ist oben an der Türverriegelung eine Kralle herausgesprungen, die sich allen Versuchen, sie wieder zurückzuschieben, erfolgreich widersetzt. Die Tür lässt sich nicht mehr schließen, geschweige denn abschließen. Dies ist gelinde gesagt gerade jetzt etwas ungeschickt. Denn es regnet und stürmt, es ist lausig kalt und wird langsam dunkel. Eine wirklich tolle Situation. Und bei der unmittelbar bevorstehenden Verschiffung von Leoni ist darüber hinaus eine perfekt abgeschlossene Kabinentür natürlich mehr als notwendig.
Wir sind etwas ratlos und bitten einen französischen Overlander um Hilfe, der mit seinem schweren Fahrzeug ganz in der Nähe steht. Richard ist seit 12 Jahren auf Weltreise und bringt offenbar eine gehörige Portion Erfahrung, handwerkliches Geschick und Improvisationstalent mit. Wir demontieren die komplette Schließvorrichtung, was ein ziemliches Drama ist, da eine der Schrauben sich zunächst nicht lösen lässt. Kein Bit passt richtig, der Schraubenkopf ist bereits kräftig demoliert, und wir sind mittlerweise alle klatschnass und durchgefroren. Doch Richard schafft unter Einsatz aller möglichen Tricks auch diese letzte Schraube, und es gelingt uns dann auch gemeinsam, den oberen, nicht mehr funktionierenden Teil des Klinkenmechanismus´ komplett aus- und das Ganze anschließend auch wieder zusammenzubauen. Jetzt allerdings mit nur noch zwei statt drei Verriegelungsstellen. Aber es funktioniert. Die Tür lässt sich wieder abschließen. Wir sind außerordentlich erleichtert und bedanken uns bei Richard mit einer Flasche chilenischen Rotweins für seine selbstlose Hilfe. Ohne ihn hätten wir die Reparatur nie hinbekommen. Anschließend schalten wir die Webasto-Standheizung ein und ziehen trockene Kleidung an. Die nassen Sachen bringt Hildegard gleich zur Laundry des Campingplatzes, steckt sie in die Waschmaschine und anschließend in den Trockner.
Der nächste Morgen begrüßt uns mit blauem Himmel und Sonnenschein, so als hätte es das Unwetter des Vortages nie gegeben. Wir packen unsere Sachen für die Heimreise und machen Leoni verladefertig. Anschließend geht es in den Innenstadtbereich von Halifax, wo wir uns im Chocolate Lake Hotel einquartieren.
Die Abgabe von Leoni im Hafen von Halifax erfolgt in zwei Stufen. Zuerst fahren wir das Stadtbüro der Spedition ACB an, wo wir die Papiere für den Hafen bekommen und dafür eine Gegenleistung von 150 Can$ erbringen müssen. Dann geht es zum Hafen. Wir werden gefragt, ob unsere Gasflaschen leer sind, was wir bejahen. Dann überprüft eine Mitarbeiterin Autokennzeichen und Chassis-Nummer. Wir geben Leonis Fahrzeugschlüssel ab und werden zurück zum Hafeneingang gebracht. Das war´s. Das ganze Procedere dauert nur wenige Minuten. Es wird nichts weiter kontrolliert, niemand schaut in die Kabine, und der kanadische Zoll bekommt Leoni nicht einmal zu sehen, was uns doch ziemlich erstaunt. Sowohl die Spedition als auch die Mitarbeiter im Hafen sagen jedoch übereinstimmend aus, dass der Zoll sich für Export-Ware nicht interessiert. Das haben wir in Cartagena bei der Verschiffung von Kolumbien nach Panama noch anders erlebt, und zwar ganz anders. Die Rechnung für die Verschiffung ist vorerst noch offen. Diese bekommen wir erst zugesandt, sobald das Schiff unterwegs ist. Bis zur Abholung in Hamburg muss sie dann allerdings beglichen sein.
Wir hoffen natürlich, dass beim Be- und Entladen sowie auf See ordentlich mit Leoni umgegangen wird und wir unser Gefährt in knapp drei Wochen in Hamburg unversehrt zurück bekommen. Beeinflussen können wir das jedoch nicht mehr. Uns bleiben in Kanada noch zwei letzte Tage, in denen wir uns die Stadt Halifax ansehen und auf unseren Rückflug nach Deutschland vorbereiten. Unser zweijähriges Panamericana-Abenteuer geht definitiv und mit Riesen-Schritten dem Ende entgegen. Wir haben in dieser Zeit viel Schönes erlebt und freuen uns jetzt auf ein Wiedersehen mit Familie und Freunden in Deutschland.
Hallo Hildegard und Franz,
danke für den vorerst letzten Bericht. Wir hoffen, daß Euch der Abschied nicht allzu schwer fällt. Einen guten Flug in die Heimat zurück und ein Wiedereingewöhnen in Deutschland
wünschen die Kunzens.
Wir denken, wir hören voneinander
… der Indian Summer war sicherlich ein schöner Abschied aus Nordamerika! Auch wir wünschen eine gute Heimreise (natürlich auch für Leoni)! Und bitte melden wegen eines Termins für ein Treffen.
Alles Gute
Sabine und Andreas Nobis
Uj da werden Erinnerungen wach! In Kitchener habe ich 1982 10 Wochen Praktikum bei der Firma Budd gemacht. Und an den Niagara Fällen hatten wir indem Drehturm letztes Jahr unser Americas Qualitätstreffen. Nicht zu vergessen dass die Hydraulik des Welland Kanals natürlich von uns kommt! Danke für die schönen Bilder und gute Zeit in Deutschand!
Hallo Leoni-Besatzung ohne Leoni,
schön, dass Ihr wieder ins Ländle kommt.
Wir sehen uns beim Globetrotter-Abend.
Gruß
Bernd