19.06. – 10.07.2024
Meine schon fast zur Tradition gewordene Sommer-Solo-Tour mit Camper Leoni führt mich dieses Jahr durch die Pyrenäen. Um mir das lästige Bezahlen an den vielen Mautstationen in Frankreich und Spanien zu ersparen, habe ich mir beim ADAC eine Mautbox besorgt, die auch in vielen weiteren europäischen Ländern eingesetzt werden kann. Die entstehenden Mautkosten werden vom System aufaddiert, man bekommt eine Rechnung nach Hause geschickt, und der aufgelaufene Betrag wird vom Konto abgebucht. Etwas überrascht und natürlich auch erfreut stelle ich im Laufe der Zeit fest, dass das Ganze tadellos funktioniert.
Nach zwei Fahrtagen erreiche ich mein erstes Ziel, den kleinen Ort Cucugnan im Pays Cathare in den Ausläufern der französischen Pyrenäen. In unmittelbarer Nachbarschaft liegen die beiden Katharerburgen Quéribus und Peyrepertuse. In den Katharerkriegen des 13. Jahrhunderts, die in Südfrankreich im Wesentlichen durch die Eroberung der Burg Montségur im Jahr 1244 ihr Ende fanden, spielten sie als Rückzugsorte der Katharer eine wesentliche Rolle. Die beiden ursprünglich aragonesischen, also spanischen Burgen Quéribus und Peyrepertuse kamen erst 1255 bzw. 1240 dauerhaft und endgültig in den Besitz der französischen Krone. Im Zusammenhang mit dem Besuch des Châteaus de Montségur komme ich auf das Thema Katharer noch einmal zurück.
Im Rahmen einer vierstündigen Wanderung steige ich von meinem Stellplatz aus zunächst zum Château de Quéribus hoch. Die einst äußerst wehrhafte Burg liegt hoch über dem Ort, und der Weg ist steil und schweißtreibend. Es gibt zwar auch einen Parkplatz direkt unterhalb der Burg, aber ein bisschen Bewegung schadet ja nicht. Die grandiose Aussicht von ganz oben reicht bis zum Pyrenäenhauptkamm.
Auf dem Rückweg esse ich in Cucugnan zu Mittag und bewundere in der Kirche die ungewöhnliche Statue der schwangeren Jungfrau Maria. Das Konzil von Trient (1545 bis 1563) hatte derartige Darstellungen zwar verboten, aber die Dorfbewohner von Cucugnan schafften es über die Jahrhunderte immer wieder, die als Schutzpatronin des Ortes verehrte Statue zu verstecken und auf diese Weise über die Zeit zu retten. Somit steht sie heute noch an ihrem angestammten Platz neben dem Altar. Konzil-Beschluss hin oder her.
Zur Besichtigung der Burg Peyrepertuse fahre ich mit Leoni am nächsten Morgen die steilen Serpentinen hoch zum Parkplatz. Schon unmittelbar nach der Öffnung der Anlage um 9.00 Uhr bin ich als allererster Besucher des Tages am Ticketschalter und habe anschließend die riesige Festungsanlage ganz für mich allein. In aller Ruhe durchstreife ich das ausgedehnte Gelände und genieße den weiten Blick über die Landschaft. Erst beim Abstieg kommen mir zwei weitere Besucher entgegen.
Auf dem weiteren Weg nach Figueres auf der anderen Seite der französisch-spanischen Grenze lege ich einen kurzen Stopp beim aus dem 3. Jahrhundert stammenden römischen Aquädukt von Ansignan ein und anschließend einen weiteren bei den Orgues de Ille-sur-Tet. Dabei handelt es sich um sogenannte Feenschornsteine, von der Erosion geschaffene, sehr zerbrechlich wirkende Gebilde. Sie erinnern an den berühmten Bryce Canyon im Südwesten der USA, sind aber von der räumlichen Ausdehnung her wesentlich überschaubarer.
Erstmals überhaupt erreiche ich dann mit Leoni das Reiseland Spanien und finde einen schönen Stellplatz unmittelbar am Castell de Sant Ferran in Figueres. Das hoch über der Stadt liegende Castell hat eine ganz interessante Geschichte und auch eine gewisse Rolle im Spanischen Bürgerkrieg gespielt, in dem es in Teilen zerstört wurde, ist aber nicht der eigentliche Grund für meinen Besuch der Stadt. Denn dies ist das berühmte Teatre-Museu Dalí, das äußerst ungewöhnliche Museum, das Künstlergenie Salvador Dalí persönlich für seine katalanische Heimatstadt Figueres entworfen, neu aufgebaut und ausgestaltet hat. In der Krypta unter der Glaskuppel des Gebäudes liegt der 1989 verstorbene Salvador Dalí begraben.
Sicherheitshalber hatte ich mir schon ein paar Tage zuvor per Internet ein Ticket gesichert. Denn der Besucherandrang ist groß und der Zugang zum Museum stark reglementiert. Alle Viertelstunde wird schubweise eine genau festgelegte Anzahl an Besuchern ins Gebäude hineingelassen. Vor dem streng gesicherten Eingang sind zwar permanent große Menschentrauben versammelt, aber ganz offensichtlich funktioniert das System hervorragend.
Das Museum selbst ist gigantisch und geradezu überfüllt mit den Werken von Salvador Dalí. Schon zu Schulzeiten hatte mich der damals ja noch lebende Künstler fasziniert. Seine brennende Giraffe ist mir aus dieser Zeit noch lebhaft in Erinnerung. Ich hatte mir damals sogar von meinem knapp bemessenen Taschengeld ein Buch mit Bildern von Dalí gekauft. Die brennende Giraffe befindet sich heutzutage zwar nicht in Figueres, sondern in Basel, aber dafür gibt es eine Unmenge an anderen Kunstwerken zu bestaunen. Es ist eigentlich nicht zu fassen, was für eine geradezu unbegrenzte Fantasie Salvador Dalí hatte. Ich bin jedenfalls von seinem Museum und seinen Werken stark beeindruckt.
Auf der Rambla von Figueres erlebe ich samstagabends ein ungewöhnliches Schauspiel. Am Kopfende des von großen Bäumen umgebenen Platzes spielt eine 11köpfige Band, die sogenannte Cobla, und bald formen sich aus den Anwesenden offenbar völlig spontan mehrere Gruppen zum Tanz. Zunächst bilden sich einige überschaubare Kreise aus vielleicht jeweils 10 – 15 Personen und schließlich ein riesiger Kreis aus mehr als 100 Tänzern, die sich alle an den Händen halten und wie von einem unsichtbaren Choreographen gesteuert mit ernsten Gesichtern eine komplizierte Schrittfolge hinlegen und dabei der Musik folgend ihre Hände alle gleichzeitig heben und wieder senken. Es ist ein sehr ungewöhnliches und beeindruckendes Bild. Wie ich später erfahre, handelt es sich bei dem Geschehen um den katalanischen Nationaltanz Sardana.
Der Sardana ist ein sehr komplizierter Tanz. Die Tänzer müssen die vorgesehenen kurzen und langen Schritte sowie die eingebauten Sprünge genau abzählen. Sich als Tourist hier einzufügen, ist völlig aussichtslos. Unter Diktator Franco war der Sardana als nationales Symbol der republikanisch gesinnten Katalanen übrigens verboten.
Am 23. Juni fahre ich einen Stellplatz am Ortsrand der Kleinstadt Ripoll an und bin völlig überrascht von dem, was mich dort erwartet. Schon bei meiner Ankunft am mittleren Nachmittag wird geböllert. Und zwar ununterbrochen. Gefühlt schlimmer, als ich das zu Sylvester je erlebt habe. Es ist kaum auszuhalten.
Zum Hintergrund erfahre ich Folgendes: Katalonien feiert am Vorabend des Johannistags ausgelassen seinen Schutzpatron, den Heiligen Johannes. Die Nacht vom 23. auf den 24. Juni ist erfüllt von Traditionen wie Johannisfeuern und Feuerwerkskörpern. Während am eigentlichen Feiertag, dem 24. Juni, die Katalanen gerne ausschlafen, ist die Nacht zuvor ein unvergessliches lautes Fest.
Ein riesiges Johannisfeuer wird nur etwa 50 m von meinem Stellplatz entfernt angezündet, und die wahnsinnige Böllerei hört erst nach Mitternacht so langsam auf. Eine Zeitlang kann ich mich dem Geschehen entziehen und schaue mir in einer Bar im Ortskern das im Rahmen der Fußball-Europameisterschaft ausgetragene Gruppenspiel der deutschen Mannschaft gegen die Schweiz an, das durch ein spätes Füllkrug-Tor in der Nachspielzeit gnädigerweise noch mit einem 1:1 endet, was der deutschen Mannschaft den Gruppensieg einbringt.
Über das unmittelbar an der Grenze liegende spanische Puigcerda und die nur wenige Kilometer entfernte spanische Enklave Llívia fahre ich am Sonnenofen von Odeillo vorbei zur Zitadelle von Mont-Louis auf der französischen Seite der Grenze. Diese Festung wurde wie viele andere französische Festungen vom berühmten Festungsbaumeister des Sonnenkönigs Ludwig XIV., Sébastien Le Prestre de Vauban, gebaut. Insgesamt 12 der von ihm im 17. Jahrhundert gebauten und als uneinnehmbar geltenden Festungen an den französischen Außengrenzen sind heute von der UNESCO als Welterbe gelistet, darunter Mont-Louis und auch das am Folgetag von mit besuchte Fort Liberia in Villefranche-de-Conflent.
Die angesprochene spanische Enklave Llívia ist ein Unikum der Geschichte. Nach einem der vielen Kriege zwischen Frankreich und Spanien hat 1659 irgendjemand bei der Neudefinition des Grenzverlaufs nicht aufgepasst, was dann zur Existenz der Enklave Llívia führte.
Mit dem berühmten Train Jaune, dem Gelben Zug, von den Einheimischen wegen seiner Farbe liebevoll auch Canarí, Kanarienvogel, genannt, fahre ich über 1.000 Höhenmeter hinunter nach Villefranche-de-Conflent. Der Canarí fährt elektrisch und hat wie eine U-Bahn eine Seitenstromschiene. Ansonsten wären die ungewöhnlich starken Steigungen der Strecke ohne Einsatz von Zahnrädern nicht zu bewältigen gewesen. Das Besondere dabei ist: Die Stromschienen liegen auch in den Bahnhöfen offen und sind somit völlig ungesichert, was ich für außerordentlich gefährlich halte.
Außer mehreren geschlossenen verfügt der Canarí in Zugmitte auch über einen offenen Waggon, in dem ich meinen Sitzplatz wähle, um besser fotografieren zu können. Nach einer abwechslungsreichen Panorama-Fahrt von etwas mehr als einer Stunde erreicht der Zug die Endstation Villefranche-de-Conflent.
Mein erster Weg dort führt mich hinauf zur Festung Liberia, die auf einem Felssporn hoch über der Stadt thront. Der Weg ist steil, die Sonne brennt vom Himmel, und es kommt mir viel heißer vor als in Mont-Louis, was so überraschend nicht ist, denn immerhin liegt Villefranche-de-Conflent ja mehr als 1.000 Höhenmeter tiefer. Im Burghof angekommen habe ich es dann aber keineswegs geschafft, denn jetzt geht es auf einem vorgegebenen Weg durch gefühlt alle Gänge und Räume der weitläufigen Festung. Treppauf, treppab, es nimmt kein Ende.
Unten in der stark befestigten mittelalterlichen und sehr malerischen Stadt angekommen muss ich mich nach dem Abstieg erst einmal bei einem kalten Getränk im Schatten großer Bäume erholen. Kurz vor 18.00 Uhr fährt dann der Canarí zurück. Es hat sich etwas bewölkt, aber das Handy gibt eine Regenwahrscheinlichkeit von nur 30% an, so dass ich mich wieder für den offenen Waggon entscheide. Im oberen Teil der Strecke werden die 30% Regenwahrscheinlichkeit dann punktgenau über uns abgeladen. Leoni steht bei meiner Rückkehr am Stellplatz vor der Festung von Mont-Louis in einem kleinen See.
Die Kleinstadt La Seu d`Urgell liegt wieder auf der spanischen Seite der Grenze und verfügt mit der Catedral de Santa Maria de La Seu d’Urgell über die am besten erhaltene romanische Klosteranlage von Katalonien. Im Laufe der Jahrhunderte wurde die ursprüngliche Kirche insgesamt viermal überbaut. Die heutige, noch in sehr gutem Zustand befindliche Anlage stammt aus dem frühen 12. Jahrhundert, wobei mich vor allem der fantastische Kreuzgang durch seine Ausmaße und Ausgestaltung stark beeindruckt.
Von La Seu d`Urgell aus fehlen nur noch wenige Kilometer bis zur Grenze von Andorra. Dieser Kleinstaat wartet mit einigen Überraschungen auf. Denn in Andorra ist vieles anders. Von einer Schnellstraße kommend fährt man in eine riesige Zollabfertigungsanlage hinein, etwas, was man mitten in Europa heutzutage eigentlich nicht mehr wirklich erwartet. Aber Andorra gehört nicht zur EU und besteht auf seiner Eigenständigkeit. Links und rechts der Straße reihen sich Tankstellen und Einkaufszentren aneinander. Andorra ist als Einkaufsparadies bekannt, und der Kommerz regiert in unübersehbarer Weise. Beim Tanken zahle ich beispielsweise 1,361 Euro pro Liter Diesel und somit deutlich weniger als in Spanien und vor allem sehr viel weniger als in Frankreich. Später entdecke ich sogar eine Tankstelle, die den Diesel für 1,315 Euro anbietet. Eine natürliche Folge ist, dass der Tanktourismus blüht.
Um böse Überraschungen zu vermeiden, sollte man vor dem Grenzübertritt nach Andorra unbedingt in seinem Handy die mobilen Daten ausschalten, denn Andorra gehört nicht zum europäischen Roaming-System. Und bei der Maut für den Tunnel in Richtung Frankreich hilft die ADAC-Mautbox unerwarteterweise nicht weiter. Denn Andorra hat natürlich ein eigenes Mautsystem. Die Mautbox informiert mich entsprechend: „No service provided. Use local toll provider.“
Im Wesentlichen verfügt Andorra nur über eine einzige Straße mit ein paar Abzweigungen. Und es gibt quasi nur zwei Richtungsangaben: In nördlicher Richtung nach Frankreich und in südlicher nach Spanien. Es macht wenig Freude, sich mit Leoni durch ein schier endloses Straßendorf das enge Tal hochzuquälen. Links und rechts die immer gleichen Konsumtempel, und alle 500 m folgt ein Kreisverkehr auf den anderen. Erst weit hinter dem Hauptort Andorra la Vella wird es langsam besser.
Fast schon wieder in Frankreich, unmittelbar vor der Grenze auf dem Pas de la Casa richte ich mich auf 2.408 m zur Übernachtung ein. Direkt auf der Passhöhe, nur ein paar Meter weiter, stehen unmittelbar nebeneinander drei Tankstellen verschiedener Anbieter. So etwas findet man auch nicht überall. Ein ruhiger Abend liegt dann allerdings nicht vor mir, denn es entwickelt sich ein kräftiges Gewitter mit reichlich viel Regen.
Ohne eine zünftige Bergwanderung möchte ich Andorra nicht verlassen. Und so fahre ich vom Pass hinunter in den jetzt im Sommer hässlich anzuschauenden Skiort Grau Roig mit seinen Geschäften, Skiliften und kahlen Berghängen, parke Leoni auf dem riesigen und praktisch leeren Parkplatz, rüste mich mit Wanderschuhen, Stock und Trinkwasser aus und starte bei mittlerweile wieder sehr angenehmem Wetter zu einer in einem meiner Reiseführer empfohlenen Wanderung hoch in die andorranische Bergwelt.
Das erste Stück des Weges durch den „Ort“ ist einfach nur gruselig, doch dann geht es steil hoch und hinein in einen dichten Bergwald, und nach einer knappen Stunde stehe ich staunend vor einem wunderschönen Bergsee, eingebettet in ein ungewöhnlich eindrucksvolles Gebirgspanorama. Der im weiteren Verlauf nicht immer leicht zu findende Weg steigt in mehreren Stufen permanent an und gibt den Blick frei auf immer neue kleine Seen, einer schöner als der andere. Ich genieße die wunderschöne Landschaft und bin sicher, dass ich schon sehr lange keine so beeindruckende Wanderung mehr gemacht habe. Nach knapp fünf Stunden auf den Beinen bin ich zurück bei Leoni. Leicht ermattet fahre ich die Passstraße hoch zu dem bereits bekannten Übernachtungsplatz.
Zu meiner Überraschung erscheint dort nach einiger Zeit ein Schwesterchen von Leoni, geradezu eine Kopie. Das aus Recklinghausen stammende ältere Besitzerpaar kommt gerade von einer Reise aus Mauretanien zurück. Diese Reise-Idee finde ich ganz anregend. Denn Marokko und Mauretanien fehlen mir noch in meiner Sammlung.
Wieder in Frankreich ist die Höhle von Niaux mein nächstes Ziel. Hier haben unsere fernen Vorfahren im Magdalenien, also in grauer Vorzeit vor ca. 15-17.000 Jahren, eindrucksvolle Felsmalereien hinterlassen. Vor allem Auerochsen und Pferde sind abgebildet.
Schon Tage vor meinem Besuch habe ich mir im Internet ein Ticket für eine englischsprachige Führung gesichert. Niaux ist eine der ganz wenigen europäischen Höhlen mit Felszeichnungen, die noch von Touristen besucht werden können. Die Gruppengröße ist auf 20 Personen begrenzt, und die wenigen Führungen pro Tag sind in der Saison regelmäßig ausgebucht. Ich erfahre, dass die Höhle nie bewohnt war und nur zum Bemalen der Felswände aufgesucht wurde.
Vom Eingang bis zum sogenannten Schwarzen Salon, wo sich besonders eindrückliche Malereien befinden, muss unsere Gruppe etwa 800 m zurücklegen. Das ist eine lange Strecke, und der Weg macht abschnittsweise durchaus gewisse Mühen. Mir ist völlig unbegreiflich, warum die Menschen diese Prozedur damals auf sich genommen und wie sie die eindrucksvollen Malereien in einer absolut stockdunklen und nur von Fackeln erleuchteten Umgebung in dieser Perfektion hinbekommen haben.
Die Bildergalerie am entscheidenden Punkt der Führung, nämlich im genannten Schwarzen Salon, ist äußerst eindrucksvoll, fotografieren in der gesamten Höhle allerdings leider verboten. Nach mir sehr lang vorkommenden zwei Stunden sind wir zurück am Eingang, und ich bin sehr froh, wieder am Tageslicht zu sein.
Nach einer ruhigen Nacht auf einem freundlicherweise von der Stadt Foix kostenlos zur Verfügung gestellten zentrumsnahen Übernachtungsplatz mit Ver- und Entsorgung nehme ich mir die Besichtigung der anfangs bereits angesprochenen Katharerburg Montségur vor.
Die Glaubensgemeinschaft der Katharer oder Albigenser, wie sie auch genannt wurden, die vor allem in Südfrankreich und Norditalien stark verbreitet war, wurde von der katholischen Kirche als ketzerisch angesehen und erbarmungslos verfolgt. In einem von Papst Innocenz III. ausgerufenen offiziellen Kreuzzug 1209 bis 1229 wurden die Katharer immer stärker zurückgedrängt. Montségur war ihre letzte Bastion in Südfrankreich. Die auf einer steilen Bergspitze stehende Burg galt als uneinnehmbar. Wie sich dann zeigte, war sie dies aber nicht.
Im März 1244 wird Monségur von Truppen des französischen Königs und der Kirche erobert. Die überlebenden Katharer werden vor die Wahl gestellt, zur katholischen Kirche zu konvertieren oder auf den Scheiterhaufen zu gehen. Alle entscheiden sich für den Feuertod. 205 Katharer beiderlei Geschlechts klettern bereitgestellte Leitern hoch und springen in die Flammen.
Bei meiner Fahrt nach Montségur beginnt es zu regnen, und ich habe den Gedanken an die Erklimmung der Burg eigentlich schon aufgegeben. Doch der Regen lässt dann nach, und ich entschließe mich doch noch zum Aufbruch. Weder vom Berg noch von der Burg ist den dichten Nebelschwaden irgendetwas nennenswertes zu erkennen. Die Burg sehe ich erst, als ich schweißgebadet unmittelbar davorstehe. Sie ist dann aber aus der Nähe betrachtet auch nicht übermäßig eindrucksvoll. Als ich wieder unten bei Leoni ankomme, setzt erneut heftiger Regen ein. Noch auf dem Parkplatz, während der Regen auf den Camper herunterprasselt, stelle ich mich unter eine warme Dusche und kleide mich neu ein, eine Notwendigkeit, die weniger auf den Regen als auf den anstrengenden, schweißtreibenden Aufstieg zurückzuführen ist.
Das von mir als Nächstes angefahrene winzig kleine St. Lizier verfügt erstaunlicherweise gleich über zwei Kathedralen und einen sehr praktischen und angenehmen Stellplatz unter Platanen. Erwähnenswert finde ich auch eine direkt daneben liegende wunderschöne Blumenwiese mit allen möglichen improvisierten Statuen und Bildern von Pyrene. Diese der griechischen Mythologie entstammende junge Frau war eine Geliebte des Herkules und ist die Namensgeberin der Pyrenäen.
Auf dem weiteren Weg statte ich dem mittelalterlich wirkenden Saint-Bertrand-de-Comminges einen kurzen Besuch ab. Der Ort ist eine römische Gründung aus dem 1. Jhdt. v. Chr. mit dem ursprünglichen, schönen und leicht zu merkenden Namen Lugdunum Civitas Convenarum. Im Zentrum steht die aus dem 12. Jhdt. stammende, vergleichsweise riesige Cathédrale Sainte-Marie mit gut erhaltenem Kreuzgang.
Den Namen Lourdes kenne ich seit frühester Kindheit, wenn auch ausgesprochen als „Lorrdes“. Für meine Großmutter mütterlicherseits war dies der wichtigste Wallfahrtsort der Welt. Vor allem Wasser aus Lourdes stand bei ihr in außerordentlich hohem Ansehen.
Im Jahr 1858 ist der 14jährigen Bernadette Soubirou in einer Grotte bei Lourdes angeblich mehrfach die Mutter Gottes erschienen. Über der Grotte wurde in der Folge die Basilika zur Unbefleckten Empfängnis gebaut, und der Zustrom der Gläubigen aus aller Welt nahm immer weiter zu. Und jetzt bin endlich auch ich da.
Von Lourdes aus führt ein enges Tal geradewegs nach Süden ins französische Zentrum der Hochpyrenäen, nach Gavarnie. Oberhalb des Ortes richte ich mich auf einem gebührenpflichtigen Stellplatz (10 Euro pro Nacht) für mehrere Tage ein. Das Wetter ist nicht besonders erfreulich, es regnet leicht, aber ich hoffe, dass am nächsten Morgen schönes Wanderwetter herrscht.
Doch daraus wird leider nichts. Die Wolken hängen weiterhin tief, und ich beschließe, die geplante große Wanderung in den Cirque de Gavarnie zu verschieben. Stattdessen fahre ich mit Leoni die steilen Serpentinen hoch bis zu einem Parkplatz am Ende der Straße. Hier starten mehrere attraktive Wanderwege mit fantastischen Ausblicken hinunter in den Cirque de Gavarnie. Das sagen zumindest übereinstimmend meine diversen Reiseführer.
Ich entscheide mich für den Gratweg zum Pic de Tentes und weiter zum Pic de la Pahule, den Cirque de Gavarnie immer direkt unter mir. Das Problem: Man sieht davon nichts. Man sieht kaum den Weg, auf dem man geht. Die Lufttemperatur ist mit 8 Grad auch nur wenig begeisternd. Immerhin bewältige ich die Strecke hin und zurück wie vorgesehen. Außer ein paar Murmeltieren begegnet mir unterwegs niemand. Und als ich es schon gar nicht mehr erwarte, reißt auf dem Rückweg die Nebelwand für ein paar Sekunden auf, so dass ich immerhin einen kurzen Blick hinunter in den Cirque werfen kann.
Wie erhofft und vom Wetterbericht vorhergesagt herrscht am folgenden Morgen wunderschönes Wetter. Auf einem einsamen Hangweg laufe ich direkt vom Stellplatz aus in Richtung Cirque de Gavarnie. Nach einer Dreiviertelstunde komme ich zu einer Wiese, die einen fantastischen Blick auf den gesamten vor mir liegenden Cirque freigibt. Ganz unten auf der Fahrstraße, der „Touristen-Autobahn“, tummeln sich die Menschenmassen, doch hier oben bin ich völlig ungestört und allein. Für eine volle Stunde lasse ich mich auf einem etwas erhöhten Felsblock nieder und genieße das vor mir liegende eindrucksvolle Panorama. Über mir kreisen majestätisch mehrere Geier. Es ist einfach nur toll.
Erst kurz vor dem Hôtel du Cirque et de la Cascade treffe ich auf die Fahrstraße und tauche ins Menschengewühl ein. Vom Hotel aus geht es noch ein ganzes Stück über Geröllhalden und kleine Bäche weiter zum Fuß der Grand Cascade, die mit einer Gesamthöhe von 422 m der höchste Wasserfall Frankreichs ist. Wenn man nah genug herangeht, bekommt man eine kostenlose und eiskalte Dusche.
Über den Col du Tourmalet und den Col d´Aspin fahre ich nach drei Nächten in Gavarnie weiter in Richtung spanische Grenze. Der Col du Tourmalet ist am 13.7. und somit genau 10 Tage nach meinem Besuch Schauplatz der diesjährigen Tour de France. Ausgehend von Luz-Saint-Sauveur auf 705 m geht es mit sehr gleichförmiger Steigung hinauf zur Passhöhe auf 2.115 m. Es sind also exakt 1.410 Höhenmeter zu bewältigen.
Auch mit Leoni erfordert die Fahrt in den vielen schier endlosen Schleifen den Berg hinauf bereits durchaus eine gewisse Konzentration. Wie mag das erst den Rennradfahrern bei der Tour de France gehen? Bei meiner Fahrt überhole ich dutzende Radsportler, die sich in ihrer Freizeit an dieser geradezu unmenschlichen Strecke messen. Männlein und Weiblein. Die machen das alle ganz ohne Zwang. Einfach so. Zum Spaß. Als Hobby. Unbegreiflich.
Mit Hilfe eines Tunnels geht es durch den unüberwindlich erscheinenden Pyrenäen-Hauptkamm hinüber auf die spanische Seite, wo mich überraschenderweise statt endloser Serpentinen wie vor der Grenze fast kerzengerade, schnell zu befahrende Straßen erwarten.
Bei weiterhin herrlichem Wetter fahre ich am nächsten Tag zum Cañón de Añisclo im Parque Nacional de Ordesa y Monte Perdido und gehe auf eine im Rother Wanderführer empfohlene Rundwanderung. Zunächst bin ich ganz allein auf dem gut erkennbaren Pfad unterwegs, es begegnet mir praktisch niemand. An einem fantastischen Viewpoint mit tollem Blick hinunter in den Cañón lege ich nach einiger Zeit völlig ungestört eine ausgedehnte Rast ein. Erst als ich dann in den Cañón hinabgestiegen bin, treffe ich auf andere Wanderer. Denn die meisten Besucher sind unten am Grund der Schlucht unterwegs. Da geht es sich leichter, aber man sieht nicht so viel. Erneut sind Geier in der Luft zu beobachten, und ich entdecke sogar ein Geiernest mit einem schon ziemlich großen Jungen darin.
Die folgenden zwei Nächte verbringe ich auf einem großen und wunderschön gelegenen Campingplatz an der berühmten Brücke von Bujaruelo. Steile Felswände ragen unmittelbar dahinter auf. Ganz oben auf dem Grat verläuft die spanisch-französische Grenze. Der Cirque de Gavarnie auf der französischen Seite ist Luftlinie nur vielleicht zwei oder drei Kilometer entfernt, aber völlig unerreichbar.
Den Campingplatz, der am Ende einer vergleichsweise langen Piste liegt, empfinde ich als sehr angenehm. Er verfügt sogar über ein etwas rustikal angehauchtes Restaurant mit Terrasse, ansprechender Speisekarte und vor allem frisch gezapftem Bier.
Ein an der Brücke beginnender Wanderweg führt mich am Fluss entlang hoch in das obere Valle del Rio Ara, immer parallel zur gerade einmal zwei Kilometer entfernten Grenze oben auf dem Gebirgskamm. Anfangs geht es durch ein geradezu liebliches Tal mit offenen Wiesenflächen, doch dann mündet der Wanderweg in eine deutlich weniger attraktive Fahrstraße. Diese führt weitgehend durch den Wald, so dass die Sicht auf die spektakuläre Umgebung doch stark eingeschränkt ist. Erst am Refugio de Ordiso endet der Fahrweg. Von hier aus öffnet sich der Blick und gibt die Sicht frei auf das Valle de Ordiso zur Linken und den weiteren Verlauf des Valle del Rio Ara zur Rechten.
Am Abend findet das Viertelfinalspiel zwischen Spanien und Deutschland statt. Einen Fernseher für Public Viewing gibt es im Restaurant leider nicht. So verfolge ich die gesamte reguläre Spielzeit bei frisch gezapftem Bier auf der Bar-Terrasse per Liveticker auf dem Handy. Zu Beginn der Verlängerung stelle ich beim Bierholen fest, dass bei einer spanischen Familie in einer Ecke im Inneren des Restaurants auf einem Notebook Fußball läuft. Ich geselle mich dazu und erlebe so die Verlängerung live in Bild und Ton. Am Ende freuen sich außer mir alle ausgelassen über das Ergebnis des Spiels, das bekanntlich 2:1 für Spanien ausgeht.
Gegen Mitternacht entwickelt sich ein heftiges Gewitter, mit Sturm und Hagel und allem Drum und Dran, so dass ich mir schon Sorgen um die Solarpanele auf Leonis Dach mache. Ein paar Stunden später, ich frühstücke gerade, wiederholt sich das Ganze. Die Solarpanele bleiben zum Glück unbeschädigt, aber mir tun vor allem die Jugendlichen einer großen Jugendgruppe 50 m weiter leid, die in ihren Zelten den Unbilden der Witterung um ein Vielfaches stärker ausgeliefert sind als ich das bin.
Über Torla und Jaca erreiche ich das ehemalige Benediktinerkloster San Juan de la Peña aus dem 11. Jhdt. Dieses liegt unter einem Felsvorsprung in einer steilen und engen Schlucht. Im späten Mittelalter war San Juan de la Peña das bedeutendste Kloster von Aragon. Es enthält einen gut erhaltenen romanischen Kreuzgang, und im Inneren befindet sich eine Gruft für die Könige Aragons. 1675 brannte das Kloster völlig aus und wurde nur wenige Kilometer oberhalb neu gegründet.
Ich besuche beide Klöster und finde das alte wesentlich interessanter. Offenbar ist es auch als Hintergrund für Hochzeitsbilder beliebt. Jedenfalls habe ich zufällig Gelegenheit, bei einem entsprechenden Photo Shooting dabei zu sein. Ich hoffe, dass meine eigenen dabei gemachten Bilder noch nicht als Paparazzi-Fotos eingestuft werden.
Ein paar Kilometer unterhalb von San Juan de la Peña liegt das winzige Örtchen Santa Cruz de la Serós, das erstaunlicherweise über gleich zwei wunderschöne romanische Kirchen aus dem 11. Jhdt. verfügt. Auf einem Parkplatz am Rande dieses verwunschenen Ortes verbringe ich die Nacht.
Über menschenleere Straßen geht es am frühen Sonntagmorgen bei unverändert schönem Wetter zu einem weiteren Kloster mit Namen San Salvador de Leyre, das im Jahr 848 erstmals in einem Dokument erwähnt wird. Das Kloster Leyre wird als wichtigste Sehenswürdigkeit der inzwischen von mir erreichten Provinz Navarra angesehen. Ich zahle 5 Euro Eintritt und bekomme einen Schlüssel in die Hand gedrückt, mit dem ich mir die Türen zu Krypta und Kirche selbst aufschließen darf. Auch das anschließende erneute Zusperren der Türen gehört zum Programm. Eine interessante und ungewöhnliche Vorgehensweise, wie ich finde.
Im Innern der Kirche ruhen die ersten Könige von Navarra aus der Zeit Karls des Großen in einem gemeinsamen Sarkophag. Krypta und Kirchenportal der ausgedehnten romanischen Anlage beeindrucken mich besonders. Die Krypta besticht mit ihrer klaren Struktur und den wuchtigen Pfeilern, auf denen der Chor der Kirche ruht, und das Portal mit den herrlich ausgeführten Steinmetzarbeiten.
Die nicht weit von Leyre entfernte Schlucht von Arbaiun ist ein echtes Naturjuwel. Ihre Unzugänglichkeit mit den bis zu 300 m hohen senkrechten Felswänden hat menschliche Eindringlinge immer schon weitgehend ferngehalten, und so findet sich hier eine fast unberührte Tierwelt von erstaunlicher Vielfalt. Vor allem die verschiedenen Geierarten sind hervorzuheben. Immerhin fast 200 Brutpaare sollen in der Schlucht leben. Einige wenige der majestätischen Vögel sind bei meinem kurzen Besuch auf der exponierten Aussichtsplattform in der Luft zu sehen.
Auf einer sehr kurvenreichen Fahrt durch die baskischen Pyrenäen geht es weiter nach Orreaga (baskisch) bzw. Roncesvalles (spanisch). Hier treffe ich erstmals auf den berühmtesten aller Jakobswege, den Camino Francés, der von Saint-Jean-Pied-de-Port auf der französischen Seite der Pyrenäen zum weit entfernten spanischen Santiago de Compostela führt. Er ist schlappe 789 km lang. Andere Quellen reden von 838 km. Für die gesamte Strecke werden anstrengende etwa 40 Wandertage veranschlagt. Einige vereinzelte Pilger sind in Roncesvalles tatsächlich auf der Straße zu entdecken.
In Roncesvalles fand im Jahr 778 ein Überfall der einheimischen baskischen Bevölkerung auf die Nachhut eines fränkischen Heeres unter Karl dem Großen statt, das sich auf dem Rückzug von einem erfolglosen Feldzug gegen die Mauren befand. Die Nachhut der Franken wurde komplett niedergemetzelt, und der gesamte Tross ging verloren. Die verlustreiche Schlacht von Roncesvalles war eine wesentliche Inspiration für die Jahrhunderte später entstehende Rolandssage.
In endlosen Serpentinen geht es zunächst hinauf zur Passhöhe und dann genauso kurvenreich hinunter nach Saint-Jean-Pied-de-Port. Für die in Gegenrichtung laufenden Pilger ist diese allererste Teilstrecke sicher ein hartes Stück Arbeit, angeblich aber auch die landschaftlich schönste des gesamten Caminos. Vor allem natürlich bei schönem Wetter.
Der Name der Stadt ist abgeleitet aus der Lage am Beginn der Passstraße (Heiliger Johann am Fuße des Passes). Saint-Jean-Pied-de-Port erweist sich als attraktiver, wenn auch sehr touristischer Ort mit typisch baskischer Architektur. Mit dieser meiner Wertung stehe ich offenbar nicht allein. Denn im Jahr 2016 wurde Saint-Jean-Pied-de-Port als eines der schönsten Dörfer Frankreichs ausgezeichnet (Les Plus Beaux Villages de France).
Von Saint-Jean-Pied-de-Port aus mache ich mich auf den Heimweg, für den ich zweieinhalb Tage brauche. Zuerst geht es noch einmal ausgiebig auf kurvenreicher Strecke durch die Pyrenäen, ein letztes Mal hinüber nach Spanien und wieder zurück nach Frankreich, und dann weitgehend ereignislos quer durch die Französische Republik nach Hause, wo ich am Abend des 10. Juli nach 3.444 gefahrenen Kilometern ankomme und Hildegard in die Arme schließe.
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