Wir kehren Süd-Georgien den Rücken und setzen Kurs auf die Antarktische Halbinsel. Nach einiger Zeit passieren wir einen riesigen Tafeleisberg von über 30 km Länge, der von einem antarktischen Eisschelf abgebrochen und dann nach Norden gedriftet ist. Mehr als eine Stunde fahren wir bei ziemlichem Sturm und entsprechendem Seegang an der Kante dieses Eisbergs entlang, der den schönen Namen B17A trägt.
Am folgenden Morgen sitze ich gerade vor meinem Laptop und bearbeite die Fotos der letzten Tage, als es hinter mir plötzlich laut kracht und die Kabine dunkel wird. Durch die harten Schiffsbewegungen hat sich die Befestigung des Porthole-Deckels gelöst. Dieser ist heruntergefallen und hat das Glas des Bullauges zerschmettert. Zum Glück nur das innere Glas. Das äußere ist intakt geblieben, so dass das Meer weiterhin draußen bleiben muss. Bald ist unsere Kabine voller Menschen, die sich die Bescherung anschauen wollen, inklusive Kapitän, Erstem Offizier und Expeditionsleiter. Den Fall hat es nämlich noch nicht gegeben. Ein Ersatzteil ist dummerweise nicht an Bord. So wird das Porthole erst mal verschraubt, die Glassplitter werden aufgesaugt und die Betten sicherheitshalber neu bezogen. Bis auf Weiteres leben wir jetzt im Dunkeln. Erst geraume Zeit später wird das Porthole dann provisorisch repariert und mit Einfach- statt Doppelverglasung wieder in Betrieb genommen.
Unser nächstes Ziel, die South Orkneys Islands, erreichen wir am frühen Morgen des nächsten Tages. Die bizarr geformten Felsen der Inselgruppe sind zum großen Teil vergletschert und bieten ein wunderschönes Panorama. Die argentinische Forschungsstation Orcadas kommt in Sicht, doch in der Bucht direkt davor liegt eine dicke Packeisbarriere. Ganz langsam fährt der Kapitän in das Eis hinein und dann hindurch. Unmittelbar vor der Station fällt der Anker. Aber das Eis hinter uns ist in Bewegung, drängt in die Bucht hinein und droht das Schiff einzuschließen. Der Kapitän entscheidet sich dazu, wieder aus der Bucht heraus- und um die Insel herumzufahren, um auf der anderen, der eisfreien südlichen Seite der Station Anker zu werfen. Diese Aktion nimmt gute zwei Stunden in Anspruch, so dass wir erst nach dem Mittagessen in die Zodiacs können. An Land werden wir von orange uniformierten Argentiniern empfangen und durch die Station geführt. Im Sommer sind 40 Mann Besatzung vor Ort, die hier ihre Forschungen betreiben, im Winter 17. Erstaunt stellen wir fest, dass die Bucht im Norden, wo wir heute Morgen zuerst geankert haben, inzwischen komplett mit Eis angefüllt ist. Und zwar wirklich komplett. Es gibt kein bisschen freies Wasser mehr. Die Zodiacs wären nach einer Anlandung nicht mehr vom Ufer weggekommen. Unser Kapitän hat also den richtigen Riecher gehabt und genau richtig entschieden.
Es folgt ein weiterer Tag auf See, bevor wir frühmorgens das nördliche Ende der Antarktischen Halbinsel erreichen. Um uns herum ist überall Eis, im Wasser und an Land. In Brown Bluff betreten wir an einer der wenigen eisfreien Stellen den Antarktischen Kontinent, ein für alle Passagiere besonderes Erlebnis. Das Begrüßungskommittee am Strand besteht aus Eselspinguinen und ein paar Pelzrobben, doch dann entdecken wir auch einzelne Adélie-Pinguine, die siebte Pinguin-Art unserer Reise. Keine andere Pinguin-Art brütet südlicher als die kleinen, äußerst putzigen Adélie-Pinguine. Sie haben bis weit in den Polarkreis hinein ihre Brutkolonien. Vor der Küste patrolliert ein Seeleopard, der vielleicht größte Feind aller Pinguine. Hin und wieder steckt er den Kopf aus dem Wasser, um die Lage zu peilen. Wir sind wie immer bei Zodiac-Touren und Landgängen in Gummistiefeln unterwegs, und als wir endlich zum Schiff zurückkehren, sind meine Füße so kalt, dass ich die Zehen auch unter der warmen Dusche kaum wiederbelebt bekomme. So kalte Füße habe ich wahrscheinlich noch nie gehabt. Gummistiefel sind halt keine besonders warme Fußbekleidung und nur ein für unsere „nassen“ Anlandungen nötiger Kompromiss.
Wir fahren durch den Antarctic Sound an der Andersson-Insel vorbei zu einer Ice Cruise in das Weddell-Meer. Dies ist ein ständig mit unvorstellbar viel rotierendem Eis gefülltes riesiges Becken, das schon vielen Schiffen zum Verhängnis geworden ist, unter anderem auch der Endurance von Ernest Shackleton. Schon bald sind wir im Erebus and Terror Gulf. Die Eislandschaft um uns herum ist absolut phantastisch. Draußen ist es minus 6 Grad kalt, aber es weht ein scharfer Wind, der laut Expeditionsleitung gefühlte minus 16 Grad erzeugt. Wir sind trotz der Kälte stundenlang an Deck und können uns kaum satt sehen an den Eisbergen, vergletscherten Inseln und dem Meereis, auf dem sich hin und wieder Robben und Pinguine tummeln. Mehrfach werden auch Wale und Orcas gesichtet. Bei den Walen handelt es sich meistens um Buckelwale, bei den Orcas um den Typ B groß. Es gibt in den Ozeanen rund um die Antarktis vier verschiedene Orca-Typen, A bis D, wobei der Typ B in einer großen und etwas kleineren Form vorkommt. Es ist das erste Mal, dass wir Orcas sehen, und es ist sehr beeindruckend.
In der folgenden Nacht fahren wir weiter nach Half Moon Island in den South Shetland Islands. Um 6.30 h ist Wecken, und schon um 8.00 h sind wir in den Zodiacs. Die Sonne scheint, es herrschen optimale Bedingungen, und die Landschaft um uns herum ist einfach einmalig. Meer, Hochgebirge, frischer Schnee, riesige Gletscher, die bis ins Meer reichen, Pinguine, Pelzrobben, es ist einfach toll. Wir verbringen den gesamten Vormittag auf dieser herrlichen Insel. Wir beobachten die Zügelpinguine, die quasi als „Hochgebirgspinguine“ bis in erstaunliche Höhen hinaufklettern, und entdecken einen Blauaugenkormoran, der einen im Vergleich zu seiner eigenen Körpergröße riesigen Fisch gefangen hat und am Strand mit äußerster Anstrengung hinunterwürgt.
Das nächste Ziel Deception Island ist ein weiterer Höhepunkt unserer Antarktisreise. Deception ist ein aktiver Vulkan, der 1969/70 zum letzten Mal ausgebrochen ist und dabei eine chilenische und eine britische Forschungsstation sowie die verlassene Walfangstation Hector zerstört hat. Das Besondere an Deception Island ist, dass man mit dem Schiff in den gefluteten Krater hineinfahren kann. Die geschützte Lage dieses natürlichen Hafens hat schon kurz nach der Entdeckung der Insel im Jahre 1820 Robbenjäger angelockt. Anfang des 20. Jahrhunderts kamen dann die Walfänger, und von 1912 bis 1931 war hier die südlichste Trankocherei der Welt. Von Hector und der britischen Station ist nicht mehr viel übrig geblieben, und nach einer schnellen Besichtigung steigen wir hoch zu Neptuns Fenster am Kraterrand und genießen den Blick hinaus aufs Meer, vor allem aber zurück ins Kraterinnere, wo unser Schiff in der Whalers Bay vor Anker liegt.
In einigen Pfützen am Strand im Kraterinneren wird das Wasser durch die vulkanische Aktivität im Untergrund stark erwärmt und ist mehr als handwarm, und auch das Kraterwasser hat am Rand mit geschätzten 10 Grad eine deutlich höhere Temperatur als das Meerwasser ringsum, das etwa minus 1,5 Grad aufweist. Im Gegensatz zu einigen Mitreisenden verzichten wir aber auf das angebotene, sicher sehr erfrischende Polarbad, den von unserem Expeditionsleiter Kelvin grinsend so genannten „Polar Plunge“.
In der folgenden Nacht geht es wieder nach Süden, und wir erreichen bei Cierva Cove südlich von Trinity Island wieder die Antarktische Halbinsel und auch den südlichsten Punkt unserer Reise. Die argentinische Station Primavera, die aktuell offensichtlich nicht besetzt ist, liegt gegenüber am Hang. Mit den Zodiacs erkunden wir die spektakuläre, eisgefüllte Bucht. Das Wetter ist bescheiden, es schneit leicht, und besonders warm ist es auch nicht. Aber während der Zodiac Cruise bessert sich das Wetter langsam. Unser Zodiac-Kapitän Andrew fährt hemmungslos in dichteste Packeisfelder hinein. Es ist wirklich erstaunlich, was so ein Zodiac alles aushält. Ein holländischer Mitpassagier fragt Andrew irgendwann, ob wir eigentlich noch im Wasser unterwegs sind oder schon auf Eis. Eine Frage, die Gelächter auslöst, aber irgendwie nachvollziehbar ist. Wir bekommen unterwegs sehr viel Wildlife zu sehen. Zügelpinguine stehen in Scharen auf den Felsen, ein paar Krabbenfresserrobben schwimmen vorbei, und auch ein Seeleopard taucht ganz in der Nähe unseres Zodiacs auf.
Der letzte Landgang unserer Reise findet am Nachmittag in Mikkelsen Harbour am Südende von Trinity Island statt. Das Wetter hat sich gegenüber dem frühen Morgen stark verbessert, und die Sonne scheint. Neben unserer Anlandungsstelle liegen einige Weddell-Robben im Schnee herum. Ansonsten ist hier eindeutig Eselspinguin-Territorium. Eselspinguine brauchen zum Nestbau und zum Brüten festen Untergrund. In den Schnee gelegte Eier erreichen nicht die für den Bruterfolg erforderliche Temperatur. Der Schnee ist in dieser Saison aber auch in den höheren, stärker dem Wind ausgesetzten Lagen erst spät, ca. Mitte Dezember, geschmolzen, so dass die Pinguine erst dann mit dem Brutgeschäft beginnen konnten. Folglich haben sie jetzt noch vergleichsweise kleine Junge, deren Überleben wegen des anrückenden Südwinters recht fraglich ist.
Als wir alle wieder an Bord sind, setzt der Kapitän Kurs Richtung Ushuaia. Es folgen zwei volle Fahrtage durch die gefürchtete Drake-Passage. Am ersten Tag zeigt diese sich jedoch ganz zahm. Das Meer ist ziemlich ruhig, und die Schiffsbewegungen halten sich in einem vernünftigen Rahmen. Das ändert sich dann aber in der folgenden Nacht. Das Schiff bewegt sich heftig, und wir werden in unseren Betten kräftig hin und her geworfen. Sobald wir an Kap Hoorn vorbei sind, beruhigt sich das Ganze aber wieder, und am frühen Morgen des 19. Tages erreichen wir wohlbehalten und voller neuer Eindrücke den Hafen von Ushuaia.
Hallo, ihr Beiden! Ich bin tief beeindruckt von eurer Reise und wäre am liebsten dabei! Weiterhin viel Spaß!