Unsere Fahrt von den Falklands nach Süd-Georgien beginnt sehr stürmisch. Der Westwind entwickelt Geschwindigkeiten von 45 – 49 Knoten und erzeugt beachtliche Wellen von immerhin gut sieben Metern Höhe. Unser Schiff schwankt gewaltig und hat zeitweise extreme Schräglage, meistens zur Backbordseite hin, wo unsere Kabine liegt. Der Blick aus dem Bullauge ist durchaus gruselig. Ortswechsel sind nur mit äußerster Konzentration und Vorsicht möglich. Beim Besuch unseres Badezimmers fliege ich quer durch den Raum, halte mich an der Dusche fest und mache diese dabei versehentlich an. Als ich sie endlich wieder ausgeschaltet habe, bin ich komplett geduscht. Der Gang zu einem Vortrag in der Lounge zwei Decks über uns wird zu einem echten Abenteuer. Zum Glück haben wir beide kein Problem mit der Seekrankheit. Die Seabands und/oder die Tabletten, die ich alle acht Stunden einnehme, scheinen zu funktionieren. Hildegard nimmt Superpep-Reisekaugummi und kommt damit gut klar.
Auch zu Beginn der Nacht schaukelt das Schiff noch geradezu unglaublich. Man könnte wirklich glauben, dass es jeden Moment umkippt. Sogar flach im Bett liegend werden wir hin und her geworfen. Im Laufe der Zeit wird es dann aber etwas besser. Am nächsten Morgen scheint die Sonne, der Wind ist abgeflaut, aber die Wellen sind noch hoch, wenn auch nicht mehr ganz so hoch wie am Vorabend. Uns geht es weiter gut, die Tabletten tun ihre Wirkung. Am Vormittag ist ein Vortrag über die von uns Passagieren geforderten Verhaltensweisen auf South Georgia und der Antarktischen Halbinsel. Anschließend reinigen wir in der Lounge mit bereitgestellten Staubsaugern der Reihe nach unser Gepäck und unsere Kleidung, damit keine Samen oder Kleinlebewesen in unsere sensiblen Zielgebiete eingeschleppt werden. Reinigung, Zurkenntnisnahme und Akzeptanz der Regeln werden mit Unterschrift bestätigt.
Am Nachmittag des nächsten Tages sehen wir bei den Shag Rocks, den Kormoranfelsen, unseren ersten Eisberg, einen durchaus imposanten Brocken. Ein Holländer hat dessen Position am besten vorhergesagt und gewinnt eine Flasche Wein. Die sechs bis zu 70 m hohen Felsen der Shag Rocks liegen etwa 250 km nordwestlich von Süd-Georgien und sind ein Vogelparadies. Unser Schiff dreht bei, und wir haben Gelegenheit, die Unmengen von Seevögeln zu beobachten und zu fotografieren. Leider ist das Wetter nicht so gut. Es ist ziemlich diesig und zudem stark bewölkt. Für die Nacht und den nächsten Morgen ist noch schlechteres Wetter vorhergesagt.
In der Nacht wird der Seegang immer stärker, und ich schlafe nicht besonders gut. Um 7 Uhr werden wir geweckt, und das anschließende Duschen und Anziehen wird zum kleinen Abenteuer. Wir taumeln nur so durch die Gegend. Wie von uns erwartet wird nach dem Frühstück das eigentlich vorgesehene Anlaufen von Right Whale Bay ganz im Norden von Süd-Georgien abgesagt. Wir fahren gleich weiter nach Rosita Harbour. Dieser Ankerplatz hat eine durch einen langen Landfinger sehr geschützte Lage. Als wir um das entsprechende Kap herum sind, ist das Wasser tatsächlich schlagartig fast völlig ruhig. Wir machen mit den Zodiacs eine Rundfahrt in der Bucht. Unmengen von jungen Pelzrobben, ein paar Seeelefanten und Königspinguine sind zu bewundern. Die Fotobedingungen sind allerdings ziemlich ungünstig. Wir haben leichten Nieselregen, und es ist schwierig, die Kamera trocken zu halten.
Unsere Fahrt geht weiter zur Bay of Isles, um die Brutkolonie von Wanderalbatrossen auf Prion Island zu besuchen. Auf Anweisung der britischen Behörden dürfen nur 50 Personen gleichzeitig die Insel betreten. Es werden daher drei Gruppen eingeteilt, die nacheinander an Land gehen sollen, aber dann wird die ganze Aktion abgesagt, da das Anlanden wegen der hohen Wellen zu gefährlich erscheint. Die Enttäuschung ist groß, denn wir alle hatten uns sehr darauf gefreut, ganz nah an diese riesigen Vögel mit ihrer unglaublich großen Flügelspannweite von 3,60 m heran zu kommen.
Stattdessen geht es weiter zur Fortuna Bay, wo wir übernachten wollen. Das Wetter wird auf der Fahrt langsam besser, und ein sehr farbiger Abendhimmel entschädigt ein bisschen für den ansonsten etwas verkorksten Tag.
Schon vor halb sieben sind wir am nächsten Morgen im Zodiac und kurz danach zum ersten Mal auf Süd-Georgien an Land. Das Wetter ist ganz gut, es schieben sich allerdings immer mal wieder ein paar Wolken vor die Sonne. Hunderte junge Pelzrobben und auch viele Königspinguine begrüßen uns bei unserer Ankunft am Strand. Die eigentliche Königspinguin-Kolonie, die wir besuchen wollen, ist etwa einen Kilometer von unserer Anlandungsstelle entfernt. Dort angekommen sind wir überwältigt von dem sich bietenden Anblick (siehe auch das Übersichtsbild über diesem Beitrag). Angeblich leben hier in der Fortuna Bay 5.000 dieser herrlichen Vögel. Ich hätte allerdings eher auf 15.000 bis 20.000 getippt. Die ganze Ebene steht voller Königspinguine. Das sich uns bietende Panorama ist einfach nur toll, atemberaubend toll. Keiner von uns Passagieren will den Strand freiwillig verlassen und zum Schiff zurückkehren. Das müssen wir dann aber leider, denn unsere Reise geht weiter.
Während wir frühstücken, lichtet unser Schiff den Anker und fährt weiter nach Stromness. Das ist eine von insgesamt sechs Walfangstationen auf Süd-Georgien. Alle sechs liegen auf der Nordostseite der Insel. In den Jahren 1904 bis 1965 wurden auf Süd-Georgien insgesamt 175.250 Wale verarbeitet, eine schier unvorstellbare Anzahl. Quasi nebenbei wurden auch die ursprünglich riesigen Bestände an Pelzrobben und Seeelefanten fast vollständig vernichtet. Im Laufe der Zeit verlagerte sich die Verarbeitung der getöteten Wale mehr und mehr von den Stationen an Land auf Fabrikschiffe, und im Dezember 1965 wurde mit Leith Harbour die letzte Walfangstation auf Süd-Georgien geschlossen.
Stromness ist diejenige Whaling Station, die Ernest Shackleton im Mai 1916 nach dem Untergang seines Schiffes Endurance im antarktischen Weddellmeer und einer schier endlosen Odyssee in einem Rettungsboot übers offene Meer schließlich erreicht hat. Die Walfangstation selbst darf wegen Baufälligkeit leider nicht betreten werden. Wieder werden wir am Strand von jungen Pelzrobben, von Königspinguinen und ein paar Seeelefanten empfangen. Wir wandern ein Stück das Tal hoch, durch das Shackleton vor fast genau 100 Jahren Stromness erreicht hatte, bis zu dem Wasserfall, der heute seinen Namen trägt. Er war auf der falschen Seite von Süd-Georgien gelandet und hat dann die sehr gebirgige und vergletscherte Insel halb verhungert, praktisch ohne Ausrüstung in völlig unbekanntem Gelände in 36 Stunden mit zwei Gefährten durchquert. Etliche Expeditionen mit moderner Ausrüstung haben seither versucht, es ihm gleich zu tun. Keine hat es auch nur annähernd in dieser kurzen Zeit geschafft. Die explizite Lektüre der Geschichte von der missglückten Endurance-Expedition, die dann quasi doch noch ein Happy End hatte, möchte ich nachdrücklich empfehlen. Sie ist an Spannung kaum zu überbieten.
Während des Mittagessens geht unsere Fahrt weiter nach Grytviken. Dies ist eine weitere der sechs Walfangstationen auf Süd-Georgien und die einzige, die auch besichtigt werden kann. Hier befindet sich das administrative Zentrum der Insel mit Kirche, Museum, Poststation, etc. Um kurz nach drei Uhr nachmittags werfen wir Anker. Eine Dame vom South Georgia Heritage Trust kommt an Bord und erklärt das seit einiger Zeit laufende Ratten-Ausmerz-Programm. Seit der Entdeckung und Inbesitznahme von South Georgia durch James Cook im Jahre 1775 sind durch Schiffbrüche und mit angelandeten Waren Ratten auf die Insel gelangt, mit desaströsen Auswirkungen auf die Vogelwelt. Im Jahre 2011 hat man angefangen, die Ratten Region für Region zu vergiften. Es ist die mit Abstand größte Aktion dieser Art, die jemals auf der Welt unternommen wurde. Und sie scheint erfolgreich zu sein. Einige Gegenden sind inzwischen rattenfrei, und die Brutvögel kehren zurück. Hilfreich ist dabei, dass die Insel durch die vielen ins Meer kalbenden Gletscher, die für die Ratten unüberwindliche Barrieren darstellen, in abgegrenzte Areale aufgeteilt ist. Diese Gebiete wurden und werden eins nach dem anderen von Hubschraubern aus großflächig und sehr systematisch mit Ködern belegt. Die Köder sind für die Ratten unwiderstehlich, für bestimmte Vogelarten aber leider ebenfalls gefährlich. Es werden hier verkraftbare Verluste von 0,1% der Populationen erwartet. Wenn die Aktion im Juni 2015 abgeschlossen sein wird, darf keine einzige Ratte überlebt haben. Sonst war der ganze Aufwand vergeblich. In der Folge wird dann erwartet, dass zusätzliche 100 Millionen Vögel die Insel South Georgia, das größte und wichtigste Seevögel-Gebiet der Welt, bevölkern. Es ist zu hoffen, dass die Verantwortlichen die Folgewirkungen richtig abgeschätzt haben und nicht der Teufel mit Belzebub ausgetrieben wurde.
Wir gehen an Land, besuchen das Grab von Shackleton, der 1922 bei einem weiteren Besuch von Süd-Georgien an einer Herzattacke starb, sehen uns die Reste der Walfangstation an, besuchen Kirche und Museum und fahren zurück zum Schiff. Das Wetter ist ungemütlich geworden, Graupel und Regen wechseln sich ab. Am Abend ist dann Barbecue an Bord. Dazu sind auch 15 Leute aus Grytviken eingeladen, die dann anschließend nicht wie geplant zurück an Land können, weil der Wind zu stark geworden ist. Für sie wird in der Lounge ein Bettenlager eingerichtet. Gegen 1 Uhr in der Nacht ist der Wind aber wieder abgeflaut, und die Gäste aus Grytviken können mit den Zodiacs doch noch den Heimweg antreten. Später erfahren wir, dass beim letzten Besuch der Plancius 75 Passagiere im Museum von Grytviken übernachten mussten. Auch damals hatten sich die Wetterbedingungen plötzlich gravierend verschlechtert. Dieser Kelch ist zum Glück an uns vorüber gegangen.
Unser nächster Ankerplatz ist die St. Andrews Bay. Hier werden wir um 5.30 h von unserem schottischen Expeditionsleiter Kelvin Murray geweckt. Die Sonne scheint, und der Strand steht voller Königspinguine. Es ist die größte Königspinguin-Kolonie auf South Georgia. 200.000 – 300.000 Brutpaare haben hier ihr Zuhause. Wahrscheinlich sind gerade nicht alle da, aber es gibt zu dieser Zeit des Jahres ja auch viele Jungtiere. Jedenfalls sind es hunderttausende Pinguine, die die Bucht bevölkern. Kurz nach 6 Uhr sitzen wir im Zodiac. Die Sonne scheint zwar noch, aber es sind Wolken im Anmarsch, und nach einiger Zeit ist das gute Fotolicht Vergangenheit. Doch die vielen Pinguine sowie die grandiose Kulisse mit zwei großen Gletschern entschädigen für alles. Das, was wir sehen, ist eigentlich nicht zu glauben. Wir sind einen kleinen Hügel hoch gelaufen und haben unüberschaubare Mengen von Pinguinen unter uns. Es ist unbeschreiblich. Auf dem Weg dorthin haben wir auch viele der vergifteten Rattenköder gefunden. Für die Pinguine, die sich ausschließlich aus dem Meer ernähren, sind diese ungefährlich. Aber die weißen Sheathbills (Weißgesicht-Scheidenschnäbel) zum Beispiel picken sie auf und fressen davon.
Zurück auf dem Schiff wird der Anker gelichtet, und die Fahrt geht weiter nach Moltke Harbour in der Royal Bay. Im Internationalen Polarjahr 1882/83 wurde hier eine deutsche Forschungsstation errichtet und ein Jahr lang betrieben. Es war die erste Forschungsstation auf Süd-Georgien überhaupt. Das verwendete Schiff, die Moltke, gab dem Platz den Namen. Für den Nachmittag ist hier für die Passagiere der Plancius ein weiterer Landgang geplant. Unser Expeditionsleiter Kelvin versucht mit einem Zodiac eine Anlandung, aber der Wellengang ist zu stark. Der Landgang muss abgesagt werden.
Unverrichteter Dinge fahren wir wieder aus Moltke Harbour raus zu einer Ansammlung großer Eisberge, die knapp 20 km entfernt vorbeischwimmen. Es sind Bruchstücke eines knapp 50 km langen Eisbergs mit dem Namen B17A, der von der Antarktis kommend im letzten Dezember im Süden von Süd-Georgien gestrandet ist. Der ursprüngliche Eisberg ist wie auch die Bruchstücke etwa 35 m hoch und liegt ungefähr 300 m tief im Wasser. Nur ziemlich genau 10% der gesamten Eismasse befinden sich oberhalb der Wasserlinie und sind somit sichtbar. Dieser Wert ergibt sich aus der Dichte des Eises sowie dem Salzgehalt und der Dichte des umgebenden Meerwassers und wurde uns an Bord in einem Vortrag vorgerechnet. Langsam nähern wir uns den Eisbergen. Der Wind ist inzwischen zum Sturm mutiert, aber unser Kapitän fährt trotzdem erstaunlich nah an das Eis heran, so dass wir zu eindrücklichen Fotomöglichkeiten kommen.
Wir übernachten in Gold Harbour, wo wir am nächsten Morgen an Land gehen wollen. Doch erneut macht uns das Wetter einen Strich durch die Rechnung. Wind und Wellengang sind zu stark. Stattdessen wird noch vor dem Frühstück der Anker gelichtet und weiter gefahren, und zwar nach Cooper Bay, das nicht allzu weit entfernt ist. Hier sind die Bedingungen dann erstaunlicherweise hervorragend. Wir erleben einen unvergesslichen Morgen bei strahlendem Sonnenschein, und zwar mit einer Tiervielfalt, wie wir sie auf der gesamten Reise noch nicht erlebt haben. Allein vier verschiedene Pinguinarten leben in der Bucht. Außer den uns schon gut bekannten Esels- und Königspinguinen sehen wir erstmals auch Goldschopf- und Zügel-Pinguine. Dazu Pelzrobben und Seeelefanten, Sturmvögel und Blauaugenkormorane in großer Zahl. Sogar ein Pipit, der südlichste Singvogel der Welt, eine endemische Art, die von der Rattenplage stark betroffen ist, hüpft über einen Felsen. Es ist einmalig.
Bild 3 Pinguinarten Drei Pinguinarten einträchtig nebeneinander: Goldschopf-, Esels- und Zügelpinguin (von links)
Kaum sind wir aus der Cooper Bay herausgefahren, haben wir „Wal-Alarm“. Eine ganze Reihe Buckel- und Finnwale tummelt sich in der Nähe des Schiffes. Da das Meer ausnahmsweise erstaunlich glatt ist, kann man die Blasfontänen und die Wale selbst gut erkennen. Wir hatten zwar auch schon vorher auf unserer Reise hin und wieder Wale blasen sehen, aber noch nie waren die Bedingungen so gut. Der Kapitän fährt so nah wie ihm angemessen erscheint heran und dreht bei, so dass wir ausreichend Zeit zum Beobachten und Fotografieren dieser Riesen der Ozeane haben.
Das letzte Highlight von Süd-Georgien ist für uns der Drygalski-Fjord, benannt nach dem Leiter der deutschen Antarktis-Expedition von 1901 – 1903. Dieser 14 km lange Fjord ganz im Süden von Süd-Georgien ist wahrhaft spektakulär. Die Felswände ragen steil in den Himmel und werden links und rechts von etlichen Gletschern durchbrochen. Auch geologisch ist der Fjord eine Besonderheit. Der Fels links hat eine völlig andere Herkunft und Zusammensetzung als der Fels rechts. Den Abschluss des Fjords bildet der gigantische Risting-Gletscher. Hier muss unser Kapitän auf kleinstem Raum wenden. Wir fahren aus dem Fjord heraus aufs offene Meer und nehmen Kurs auf die Süd-Orkney-Inseln und die Antarktische Halbinsel.
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