Alaska

Auch der erneute Grenzübertritt von Kanada nach Alaska, dieses Mal am Alaska Highway, gestaltet sich völlig problemlos. Die kanadische Grenzstation ist in Richtung Ausreise nicht besetzt, und auf der US-amerikanischen Seite brauchen wir erneut nicht einmal aus dem Fahrzeug auszusteigen. Der Grenzer stellt zunächst die üblichen Fragen nach Feuerholz, Waffen und Lebensmitteln. Dann fragt er nach Bargeld und will wissen, wie wir die Reise finanzieren. Die Antwort, dass wir regelmäßig ATMs anfahren und dort mit unseren Kreditkarten Geld holen, findet er ausreichend. Er verschwindet kurz mit unseren Pässen, dann dürfen wir weiterfahren.

Die schnurgerade Grenze ist durch eine ca. 6 m breite Schneise markiert, die sich über viele hundert Kilometer von Nord nach Süd hinzieht. Sie war schon 1825 zwischen dem Zarenreich und Großbritannien vertraglich vereinbart worden, und die USA hatten den Grenzverlauf mit dem Kauf von Alaska 1867 akzeptiert. Genau vermessen und markiert wurde die Grenzlinie aber erst mehr als ein halbes Jahrhundert später.

Willkommensschild am Alaska Highway
Willkommensschild am Alaska Highway

Unklarheiten über den Grenzverlauf gab es dann jedoch Ende des 19. Jahrhunderts weiter südlich im Bereich des Panhandles. Auslöser war der Goldrausch im Klondike ab 1896. Sowohl Kanada als auch die USA beanspruchten in der Folge die Souveränität u.a. über die gerade entstehenden Hafenorte Skagway und Dyea, von wo aus die Goldsucher Richtung Klondike aufbrachen. Ein von beiden Seiten akzeptiertes internationales Schiedsgericht entschied dann im Sinne der US-Amerikaner.

In Tok, dem ersten Ort in Alaska, müssen wir entscheiden, ob wir nach Norden oder nach Süden weiterfahren wollen. Zunächst füllen wir im lokalen Supermarkt unsere Vorräte auf und fragen dann im Visitor Center nach der Wettervorhersage für Nord- und Süd-Alaska. Diese ist für beide Richtungen identisch, was unsere Entscheidung nicht gerade erleichtert. Für den Norden wird Dauerregen erwartet, und für den Süden auch. Wir beschließen, nach Norden zu fahren.

Delta Junction, das Ende des Alaska Highways
Delta Junction, das Ende des Alaska Highways

In Delta Junction haben wir das Ende des Alaska Highways erreicht. Er stößt hier auf den Richardson Highway, der von Valdez nach Fairbanks führt und schon lange vor dem 2. Weltkrieg existierte. Nach dem obligatorischen Foto am Historic Milepost 1422 fahren wir zur Mittagsrast zwar nicht zum Nordpol, aber nach North Pole. In diesem aus kommerziellen Gründen so benannten Ort kurz vor Fairbanks befindet sich das Santa Claus House, in dem quasi permanent Weihnachten gefeiert wird. Es hat sich zur Standardadresse für Weihnachtswunschzettel an Santa Claus, sprich den Weihnachtsmann, entwickelt. Angeblich wird jeder Brief beantwortet, und mehr als zwei Millionen Antwortschreiben an Kinder aus aller Welt wurden inzwischen versandt. Interessierte Leser mit noch unerfüllten Weihnachtswünschen finden die Adresse auf beigefügtem Foto.

Santa Claus House in North Pole, Alaska
Santa Claus House in North Pole, Alaska

In Fairbanks ist das Visitor Center unser erster Anlaufpunkt. Es ist hochmodern, vergleichbar mit denen in Whitehorse und Haines Junction, und bietet Informationen zu allem, was Alaska zu bieten hat. Wir lassen uns ausführlich beraten und fahren anschließend zum Walmart einkaufen. Auf dem Parkplatz stehen auch hier bestimmt 20 – 30 Wohnmobile. Nicht zum Einkaufen, sondern zum Übernachten. Wie in Whitehorse. Wir können es nicht glauben. Als wir kurz darauf beim River´s Edge RV Park einchecken und dort für die Nacht von uns 49,95 $ verlangt werden, entwickeln wir schon etwas mehr Verständnis.

Wir bereiten uns auf die Fahrt zum Eismeer vor, das letzte Teilstück, das uns zur vollständigen Durchquerung des amerikanischen Doppelkontinents noch fehlt. Vom Beagle-Kanal in Feuerland bis hoch zum Arktischen Ozean. Hildegard näht für uns beide Moskito-Gesichtsnetze, die über den Hut gestülpt werden können. Denn es wurden uns viele Schauergeschichten über Millionen von Mosquitos in der Tundra nördlich der Brooks Range erzählt. Die zusammenfassende Aussage „It´s impossible to breathe“ bringt das, was uns angeblich bevorsteht, auf den Punkt. Ich überprüfe und korrigiere noch den Reifendruck, wir füllen alle Tanks von Leoni auf und fühlen uns gerüstet für das Abenteuer Dalton Highway.

Alaska. Der Dalton Highway nach Deadhorse bzw. Prudhoe Bay ist hervorgehoben.
Alaska. Der Dalton Highway nach Deadhorse bzw. Prudhoe Bay ist hervorgehoben.
Am Beginn des Dalton Highways
Am Beginn des Dalton Highways

Der Dalton Highway beginnt 135 km nördlich von Fairbanks und führt über 414 Meilen / 664 km nach Deadhorse. 75% der Strecke ist Schotterstraße, der Rest geteert. Der ursprünglich Haul Road genannte Dalton Highway wurde in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts als Versorgungsstraße für die neu entdeckten Ölfelder an der Küste des Arktischen Ozeans und den Bau der Trans-Alaska-Pipeline gebaut. Er verläuft in unmittelbarer Nähe der Pipeline, die von der Prudhoe Bay zum Verschiffungshafen Valdez führt.

47% der Pipeline sind unterirdisch verlegt. Dies bietet Vorteile gegen mögliche Beschädigungen, lässt sich aber nur verwirklichen, wenn der Untergrund stabil genug ist. Das Problem stellt der Permafrost-Boden in den zu durchquerenden hohen Breiten dar. Denn das durch die Pipeline fließende vergleichsweise warme Öl gibt trotz aller Isoliermaßnahmen Wärme in den Boden ab, dieser taut dann auf und kann ggf. das Gewicht der Pipeline nicht mehr tragen. Mehr als die Hälfte der Pipeline verläuft daher oberirdisch. Doch auch hier besteht das Problem des auftauenden Permafrostbodens. Denn auch die Befestigungspfeiler, auf denen die durch das Öl aufgewärmte Pipeline ruht, können durch Wärmeleitung das Auftauen des Permafrosts herbeiführen und in der Folge einsinken.

Trans-Alaska-Pipeline mit je zwei Wärmerohren in den Befestigungspfeilern
Trans-Alaska-Pipeline mit je zwei Wärmerohren in den Befestigungspfeilern

Die Lösung liefern in die Befestigungspfeiler integrierte Heatpipes, zu deutsch Wärmerohre. Dies sind evakuierte Rohre, die in einem kleinen Teil ihres Volumens eine verdampfbare Flüssigkeit enthalten. Ist die Temperatur am unteren Ende eines senkrecht stehenden Wärmerohrs höher als oben, verdampft die unten befindliche Flüssigkeit, das Gas strömt nach oben, kondensiert am oberen Ende des Wärmerohrs und gibt dabei Energie ab, die über Kühlfahnen an die Umgebungsluft weitergegeben wird. Es wird also Wärme aus dem Erdreich an die Umgebungsluft abgeführt. Die Schwerkraft bringt die kondensierte Flüssigkeit wieder nach unten, und ein neuer Kreislauf kann beginnen. Das Ganze funktioniert aber wie erwähnt nur dann, wenn das obere Ende des Wärmerohrs mit den Kühlfahnen kälter ist als das untere Ende. Das ist vereinfacht gesagt im Winter der Fall, im Sommer dagegen nicht. Denn im Winter ist die Luft extrem kalt, kälter als das Erdreich, während sie im Sommer durchaus 20 Grad und mehr haben kann. Die Wärmerohre sind also im Winter aktiv, im Sommer dagegen inaktiv. Was in Summe passiert, ist, dass der Permafrost-Block um die Pfeiler herum im Winter weiter abgekühlt und somit stabilisiert und vergrößert wird, so dass er den nächsten Sommer besser überstehen und den Pfeiler stabil in Position halten kann.

Während unseres zweitägigen Aufenthalts in Fairbanks regnet es fast ununterbrochen, doch an unserem ersten Fahrtag Richtung Deadhorse bleibt es erfreulicherweise weitgehend trocken. Wir haben viele Geschichten von zerstörten Windschutzscheiben gehört und sind entsprechend vorsichtig unterwegs. Wenn uns Fahrzeuge entgegen kommen, vor allem auf Strecken mit losen Steinen, fahren wir rechts ran und stellen uns etwas schräg zur Straße, damit aufgewirbelte Steine die Windschutzscheibe nicht frontal treffen können. Dies erfordert eine gewisse Konzentration und Konsequenz, funktioniert aber offensichtlich ganz gut. In Summe lässt der Straßenzustand aber eigentlich nur wenig zu wünschen übrig. Die nicht asphaltierten Strecken weisen zwar zeitweise erheblich viele und auch tiefe Schlaglöcher auf, diese lassen sich jedoch in aller Regel auch bei höherer Geschwindigkeit vergleichsweise leicht umfahren. So kommen wir unerwartet zügig voran. Wir überqueren den mächtigen Yukon River und sind schon bald darauf an einem Schild, das den Arctic Circle, also den Polarkreis, anzeigt. Das Schild behauptet wie für den Polarkreis vorgesehen 66,33 Grad Nord. Unser Navigationssystem ist anderer Meinung und zeigt bereits 66,55 Grad Nord an. Der Polarkreis liegt demnach schon ein ganzes Stück hinter uns. Hier liegt offenbar das gleiche Phänomen vor wie am Äquator in Ecuador. Auch dort stimmten die Positionsangaben auf den Monumenten und Schildern ja oft nicht mit der Realität überein.

Der Polarkreis ist erreicht.
Der Polarkreis ist erreicht.

In unmittelbarer Nähe von Coldfoot, am Südrand der Brooks Range, übernachten wir auf dem Marion Creek Campground. Damit haben wir die halbe Strecke nach Deadhorse am ersten Tag bereits geschafft. Vorher sehen wir uns in Coldfoot allerdings noch im Arctic Interagency Visitor Center um, das mit außergewöhnlich guten Präsentationen zur arktischen Umwelt aufwarten kann. Besonders gut gefällt uns ein einem pensionierten Wissenschaftler des Alaska Geophysical Institutes zugeschriebenes Zitat zum Thema Polarlichter (Aurora Borealis): „How do you increase your chances of seeing Aurora? Drink two glasses of water before you go to bed … and then use the outhouse.“ Unsere eigenen Chancen, in absehbarer Zeit Polarlichter zu sehen, schätzen wir als nicht besonders gut ein. Zum einen werden die Nächte mit jedem Kilometer, den wir nach Norden fahren, kürzer. Das aktuelle Wetter mit wolkenverhangenem Himmel spielt ebenfalls nicht mit, und letztendlich haben wir auch noch eine in Leoni fest installierte Toilette. Der Trick mit dem Outhouse funktioniert bei uns nicht. Denn regelmäßig siegen Komfort und Bequemlichkeit.

Die Südseite der Brooks Range am frühen Morgen. Noch ist es trocken.
Die Südseite der Brooks Range am frühen Morgen. Noch ist es trocken.

Am späten Nachmittag hatte es leicht zu regnen begonnen, die Nacht bleibt jedoch niederschlagsfrei, und am frühen Morgen starten wir frohen Mutes bei trockenem Wetter die nächste Etappe. Doch je weiter wir in die Brooks Range hineinfahren, desto stärker bewölkt es sich. Schließlich fängt es an zu regnen. Vom Gelände um uns herum sehen wir nicht mehr allzu viel. Dazu ist die Sicht inzwischen zu schlecht. Ungefähr auf der Passhöhe des Atigun-Passes auf gut 1.400 m Höhe geht dann der Regen in Schnee über. Bald liegt alles unter einer geschlossenen Schneedecke. Die Piste ist aufgeweicht, lässt sich aber trotzdem weiterhin recht gut befahren. Die einzige Ausnahme bildet eine Schlammpassage von vielleicht 5 km oder 10 km Länge, die ich als wirklich kritisch empfinde. Leoni schlingert und ist nur mit Mühe in der Spur zu halten. Doch diese Episode ist zum Glück bald vorbei. Nach gut vier Stunden Fahrt haben wir immer noch eine Durchschnittsgeschwindigkeit von ca. 45 km/h, was ich als ganz gut empfinde. Leoni hat allerdings inzwischen ein völlig anderes Aussehen bekommen und ist kaum noch wiederzuerkennen. Buchstäblich die gesamte Außenhaut ist mit Schlamm bedeckt.

Es hat zu regnen begonnen, und die Piste beginnt aufzuweichen. Links die Trans-Alaska-Pipeline
Es hat zu regnen begonnen, und die Piste beginnt aufzuweichen. Links die Trans-Alaska-Pipeline
Mittlerweile schneit es. Leoni hat ihr Aussehen bereits enorm verändert.
Mittlerweile schneit es. Leoni hat ihr Aussehen bereits enorm verändert.

Wir haben vor, irgendwo kurz vor Deadhorse am Ufer des Sagavanirktok Rivers, der den Dalton Highway auf der rechten, also der östlichen Seite begleitet, zu übernachten. Die letzten 34 Meilen vor Deadhorse sind jedoch eine einzige durchgehende Baustelle, und wir finden keinen geeigneten Zugang zum Fluss. Im Mai 2015 hatte der Sagavanirktok nach dem Eisbruch weite Teile der Straße komplett weggerissen. Der Dalton Highway war damals volle 18 Tage lang unterbrochen. Kein Fahrzeug konnte Deadhorse erreichen oder verlassen. Und die Reparatur- und Verbesserungsarbeiten sind, wie wir jetzt sehen, nach über einem Jahr immer noch in vollem Gange.

So stehen wir am frühen Abend auf einmal mitten in Deadhorse. Der Niederschlag in Form von Regen und Schnee hat inzwischen aufgehört. An der unbemannten Tesoro-Tankstelle füllen wir unsere Dieseltanks auf und zahlen 5,219 $ pro Gallon. In Fairbanks hatte der Diesel noch 2,699 $ pro Gallon gekostet. Na ja, wir sind schließlich am Ende der Welt. Den einzigen Menschen, den wir im Umfeld der Tankstelle auftreiben können, fragen wir, ob wir auf dem Gelände der Firma Colville, zu der die Tankstelle gehört, übernachten dürfen. Dies ist nämlich als Möglichkeit in der „Milepost“ erwähnt. Der Mann telefoniert mit seinem Chef, und dieser gibt ohne Umstände sein Einverständnis. Wir suchen uns eine ruhige Ecke zwischen abgestellten Containern und sind nach einem anstrengenden Fahrtag froh, angekommen zu sein. Unsere Moskito-Gesichtsmasken haben wir übrigens bisher noch nicht gebraucht. Moskitos scheint es allen Ankündigungen zum Trotz nicht zu geben. Wir haben jedenfalls bisher noch keine gesehen.

Unser Übernachtungsplatz in Deadhorse. Das gezeigte Fahrzeug in Bildmitte ist Leoni. In einem Schlamm-Kokon.
Unser Übernachtungsplatz in Deadhorse. Das gezeigte Fahrzeug in Bildmitte ist Leoni. In einem Schlamm-Kokon.
Vor dem Prudhoe Bay General Store in Deadhorse
Vor dem Prudhoe Bay General Store in Deadhorse

Wir verbringen eine völlig ungestörte und kalte Nacht. Am Morgen ist es draußen noch ganze 2,4 Grad „warm“. Bevor wir eine Erkundungsrunde in und um Deadhorse herum starten, reinigen wir provisorisch die Außenspiegel und die Seitenfenster im Fahrerhaus. Der Rest bleibt erst einmal, wie er ist. Erfreulicherweise ist das Wetter im Gegensatz zum Vortag ganz ok. Es ist bewölkt, und ab und zu kommt sogar die Sonne heraus. Die Temperatur bewegt sich den ganzen Tag zwischen 1 und 3 Grad, das heißt, es ist und bleibt ziemlich frisch.

Deadhorse ist eigentlich gar kein richtiger Ort, sondern eine geradezu unglaubliche Ansammlung von Betriebsgeländen von Firmen, die alle irgendwie mit dem Ölgeschäft zu tun haben. Dazwischen stehen zum Teil riesige Wohnsilos für die Öl-Arbeiter. An vielen Stellen trifft man auf gewaltige Ansammlungen von Bohrgerät, kompletten Bohrtürmen, Tankanlagen sowie geländegängigen Schlepp- und Baufahrzeugen, die zum Teil mit Rädern, zum Teil mit Raupen oder Schneekufen ausgestattet sind. Und direkt daneben erstaunlicherweise immer wieder auf Bereiche mit mehr oder weniger ungestörter Natur.

Nicht im Einsatz befindliche mobile Bohrtürme
Nicht im Einsatz befindliche mobile Bohrtürme
Ein Grader verbessert den Straßenzustand im Zentrum von Deadhorse. Im Hintergrund vorfabrizierte Wohnsilos
Ein Grader verbessert den Straßenzustand im Zentrum von Deadhorse. Im Hintergrund vorfabrizierte Wohnsilos

Direkt neben unserem Übernachtungsplatz schwimmen Trompetenschwäne mit mehreren Jungen über einen kleinen See. Etwas außerhalb entdecken wir in einiger Entfernung zwei kleine Karibu-Herden von insgesamt 10 Köpfen. Enten und Gänse mit Jungen sowie die verschiedensten Seevögel gibt es quasi überall. Bären sehen wir dagegen keine. Allerdings finden Besuche von Grizzlies in Deadhorse und Prudhoe Bay regelmäßig statt, und auch Eisbären, die von der aktuell nur 8 Meilen vor der Küste befindlichen Kante des Polareises herüberschwimmen, tauchen gelegentlich auf. Ich unterhalte mich mit einem der sogenannten Dock Masters, der erzählt, dass in der vergangenen Woche die ersten zwei Eisbären der Saison an Land gekommen sind. Er zeigt mir eindrucksvolle Fotos auf seinem Handy. Motiv Eisbär vor Bohranlagen. Wie er erklärt, werden die Bären nicht etwa erschossen, sondern, solange sie sich auf dem Gelände aufhalten, nur „begleitet“, um sicher zu stellen, dass sie keinen Schaden anrichten. Natürlich versucht man dabei, sie aus dem Bereich von Prudhoe Bay und Deadhorse heraus zu bugsieren. Vor allem die Eisbären sind sehr gefährlich, denn im Gegensatz zu Grizzlies kennen sie keine Scheu vor dem Menschen und greifen diese grundsätzlich an. In Grönland haben wir vor Jahren einmal gelernt, dass bei Begegnungen von Mensch und Eisbär in der freien Natur immer einer von beiden sterben muss. Der Mensch oder der Bär.

Unberührte Tundra in unmittelbarer Nähe von Deadhorse
Unberührte Tundra in unmittelbarer Nähe von Deadhorse
Gänse am Ufer des Sagavanirktok Rivers. Im Hintergrund Förderanlagen von Prudhoe Bay
Gänse am Ufer des Sagavanirktok Rivers. Im Hintergrund Förderanlagen von Prudhoe Bay

Unsere private Sightseeing-Tour mit Leoni durch Deadhorse und Umgebung verläuft erstaunlich ungestört. Niemand behelligt uns. Allerdings dürfen wir dem eigentlichen Ölfördergebiet von Prudhoe Bay nicht zu nahe kommen. Denn dieses ist komplett abgeriegelt und nur im Rahmen einer geführten kostenpflichtigen Tour zu besichtigen. Dies betrifft auch die Küste des noch ca. 13 km von Deadhorse entfernten Arktischen Ozeans.

Die Bustour zu den Ölförderanlagen von Prudhoe Bay und zur Küste dauert zwei Stunden, findet zwei Mal täglich statt, kostet 69 $ p.P. und muss mindestens 24 Stunden vor Abfahrt gebucht werden. Mit Angabe der Passdaten, die für eine Sicherheitsüberprüfung gebraucht werden. Diese Regelung gibt es bereits seit 9/11, also seit dem fürchterlichen Terror-Anschlag auf die Wolkenkratzer in New York im Jahr 2001. Die Amis wollen weiteren Anschlägen vorbeugen. Wir haben schon von Fairbanks aus per Internet gebucht und machen uns mit einem Dutzend weiterer Touristen auf den Weg. Die Fahrt führt an verschiedenen Kontrollstellen vorbei quer durch das Gelände von Prudhoe Bay, von dem wir leider sehr wenig Konkretes zu sehen und noch viel weniger erklärt bekommen, und dann schnurstracks weiter zum Ufer des Arktischen Ozeans. Hier wird ein längerer Halt eingelegt. Zwei Unentwegte stürzen sich in die eiskalten Fluten und bekommen dafür ein Zertifikat ausgestellt. Hildegard und ich verzichten auf dieses zweifelhafte Vergnügen. Auf dem Rückweg findet abschließend noch ein kurzer Stopp beim Prudhoe Bay General Store in Deadhorse statt. Das war´s. Wir hatten für unser Geld und den beträchtlichen Anmeldeaufwand deutlich mehr erwartet und sind ziemlich enttäuscht.

Badevergnügen am Arktischen Ozean
Badevergnügen am Arktischen Ozean

Es ist inzwischen später Nachmittag. Wir klettern raus aus dem Bus und rein in Leoni. Und dann begeben wir uns auf die Heimreise. Objektiv und vor allem auch gefühlt ist dies tatsächlich so. Wir haben den nördlichsten Punkt der Reise erreicht, den Doppelkontinent Amerika von Süd nach Nord komplett durchquert, drehen jetzt um und fahren zurück Richtung Süden, sprich Richtung Heimat. Zuerst nach Fairbanks, dann nach Halifax und schließlich nach Renningen. Auch wenn die Heimfahrt noch ein paar Monate in Anspruch nehmen wird.

Ein ganz bestimmter Gedanke beherrscht den Rest des Tages. Wir würden sehr gerne Moschusochsen in freier Wildbahn beobachten, die in der Tundra des Küstenstreifens am Arktischen Ozean vorkommen und angeblich auch gar nicht so selten sind, haben bisher aber noch keine zu Gesicht bekommen. Laut Milepost sind sie besonders gut an verschiedenen dezidierten Stellen im Uferbereich des Sagavanirktok zu beobachten. Einen dieser Punkte haben wir für unsere nächste Übernachtung vorgesehen. Obwohl wir noch im Bereich der langen Baustelle südlich von Deadhorse sind, biegen wir bei Meile 21 in eine Gravel Road zum Fluss hin ab und landen auf einer weit in den Fluss hinein gebauten und massiv mit Felsblöcken befestigten Buhne. Mit diesen Verbauungen soll der Dalton Highway abgesichert werden. Ich fahre zum Auskundschaften zuerst vorwärts hinein, dann rückwärts wieder hinaus, drehe und setze Leoni anschließend sicherheitshalber rückwärts wieder hinein, damit sie in Fluchtrichtung steht. Diese Regel versuchen wir immer einzuhalten. Unser Platz auf der Buhne ist phantastisch. Wir stehen gefühlt mitten im Fluss, und die Aussicht aus den inzwischen gereinigten Fenstern sowohl flussauf- wie flussabwärts ist grandios. Besser als in jedem Hochsitz. Denn wir sitzen warm, während draußen ein eisiger Wind weht. Leider ist es stark bewölkt, die Lichtverhältnisse sind nicht besonders gut, und ebenfalls leider lässt sich nicht ein einziger Moschusochse sehen.

Als gegen 23 Uhr die Fotos des Tages bearbeitet sind, klappe ich meinen Laptop zu und bin völlig überrascht von dem tollen Licht, das plötzlich draußen herrscht. Im Nordwesten haben sich die Wolken verzogen, die Sonne steht noch deutlich über dem Horizont und hat alles in ein phantastisches Licht getaucht. Ich greife nach meiner Kamera, gehe nach draußen und schieße serienweise Fotos. Das Licht ist geradezu unbeschreiblich. Gerne wäre ich länger draußen geblieben, aber es ist mir einfach zu kalt. Als ich wieder rein gehe, bin ich richtig froh, dass es in der Kabine mit vielleicht 17 Grad so schön warm ist. Die Sonne geht in dieser Nacht zwar kurz unter den Horizont, aber richtig dunkel wird es nicht. Das goldene Licht wird nur durch rötliches ersetzt.

Tundra südlich von Deadhorse mit aufgeschüttetem Damm des Dalton Highways
Tundra südlich von Deadhorse mit aufgeschüttetem Damm des Dalton Highways
Sagavanirktok flussaufwärts gegen 23 Uhr von „unserer“ Buhne bei Meile 21 gesehen
Sagavanirktok flussaufwärts gegen 23 Uhr von „unserer“ Buhne bei Meile 21 gesehen
Leoni auf der Buhne im Sagavanirktok gegen 23 Uhr
Leoni auf der Buhne im Sagavanirktok gegen 23 Uhr

Am Morgen ist alles um uns herum wieder grau. Die Sonne lässt nicht sehen, und die Moschusochsen glänzen ebenfalls durch Abwesenheit. Dafür springt schon nach kurzer Fahrt ein Grizzly vor uns über die Straße. Er „galoppiert“ buchstäblich von links auf die Straße zu, überquert diese und rennt wie von Furien gehetzt ohne Unterbrechung nach rechts weiter. Wer weiß, was dahinter steckt. Als wir ihn bemerken, ist er noch ein ganzes Stück vor uns, und ich fahre weiter, um näher heran zu kommen. Hildegard versucht währenddessen, ihn durch die Windschutzscheibe aus dem fahrenden Auto heraus zu fotografieren. Die Fotos sind folglich nicht perfekt, für uns aber wertvolle Erinnerungen.

Grizzly „galoppiert“ direkt vor uns quer über den Dalton Highway.
Grizzly „galoppiert“ direkt vor uns quer über den Dalton Highway.

Das Wetter wird zunehmend besser, und als wir um die Mittagszeit am Nordrand der Brooks Range ankommen, scheint die Sonne. Es wird noch ein ausgesprochen sonniger Nachmittag. Das hatten wir länger nicht mehr. Wir richten uns auf dem Campingplatz am Galbraith Lake ein und erkunden ein wenig die Umgebung. Das Panorama der vor uns liegenden, zum Teil schneebedeckten Berge der Brooks Range ist absolut eindrucksvoll, aber das Gelände ist sehr feucht und schwer zu begehen, so dass wir schon bald zum Campingplatz zurückstreben. Unser Kühlschrank hat seine Funktion inzwischen komplett eingestellt. Er brummt noch, wird aber nicht mehr kalt. Das, was sich früher im Kühlschrank befand, lagern wir mittlerweile auf dem Boden der Dusche, dem tiefsten und somit kältesten Teil der Kabine.

Blick von Norden auf die Brooks Range
Blick von Norden auf die Brooks Range
In der Umgebung des Campgrounds am Galbraith Lake
In der Umgebung des Campgrounds am Galbraith Lake

Die Sonne scheint am Abend vom inzwischen wolkenlosen Himmel direkt in die Kabinenfenster auf der rechten Seite und nähert sich nur ganz langsam und behutsam dem Horizont. Buchstäblich stundenlang warten wir darauf, dass sie untergeht. Das tut sie zunächst aber nicht. Vielmehr bewegt sie sich in flachem Winkel immer weiter nach Norden. Als sie letztendlich dann doch hinter dem leicht ansteigenden Gelände im Norden verschwindet, wird es nicht etwa dunkel. Vielmehr entsteht eine rot schimmernde Abenddämmerung, die nach zwei oder drei Stunden unmittelbar in die Morgenröte übergeht. Hildegard beobachtet das Geschehen ab Mitternacht geschlagene 2,5 Stunden lang aus dem Kabinenfenster und ist völlig fasziniert. Ich selbst bereite mich derweil schlafend auf den wahrscheinlich wieder anstrengenden nächsten Fahrtag vor.

Unsere zweite Durchquerung der Brooks Range ist deutlich angenehmer als die erste. Die Sonne scheint vom wolkenlosen Himmel, wir genießen die wunderbare Landschaft, die wir auf der Hinfahrt wegen des schlechten Wetters gar nicht richtig wahrnehmen konnten, und versuchen, diese bei einer ganzen Reihe von Fotostopps aufs Bild zu bannen. Kurz vor Coldfoot fangen wir uns trotz aller Vorsicht dann doch noch einen Steinschlag in die Windschutzscheibe ein. Aber nicht etwa von einem der gefürchteten Trucks, sondern von einem eher harmlos wirkenden PKW. Das Ergebnis ist ein etwa 1 cm langer Riss, der sich hoffentlich nicht aufweitet. Wir übernachten auf dem Campground unmittelbar am Arctic Circle. Das herrliche Wetter hat sich inzwischen wieder verabschiedet und einheitlichem Grau Platz gemacht. Aber immerhin bleibt es den ganzen Rückweg bis Fairbanks trocken.

Brooks Range. Im Vordergrund der Galbraith Lake
Brooks Range. Im Vordergrund der Galbraith Lake
Auf dem Dalton Highway in der Brooks Range. Links die Trans-Alaska-Pipeline
Auf dem Dalton Highway in der Brooks Range. Links die Trans-Alaska-Pipeline
Geteerter Abschnitt des Dalton Highways mit dem fotogenen Sukakpak Mountain im Hintergrund
Geteerter Abschnitt des Dalton Highways mit dem fotogenen Sukakpak Mountain im Hintergrund

Unmittelbar an unserem Übernachtungsplatz wachsen erstaunlich große Fliegenpilze. Zumindest nehmen wir an, dass es sich bei diesen Prachtexemplaren um Fliegenpilze handelt. So große haben wir noch nie gesehen. Im weiteren Verlauf der Reise treffen wir dann weiter südlich in den Wäldern Alaskas immer wieder auf erstaunliche Mengen großer und sehr verschiedenartiger Pilze. Das sehr feuchte Wetter mit vielen Stunden Tageslicht scheint den Pilzen gut zu bekommen.

Ebenfalls reif und in großen Mengen vorhanden sind verschiedene Beerenarten. Dies gilt sowohl für Tundra- als auch für Taiga-Gebiete. Beeren sind wichtige Nahrungsmittel für alle möglichen Tierarten, von Singvögeln bis zu Grizzly-Bären. Diverse Beeren überstehen sogar den harten Winter und sind im Frühjahr für viele Vögel eine Haupt-Nahrungsquelle. Jetzt während der Reifezeit sind sie vor allem eine Futterquelle für die Bären. Aus Untersuchungen von deren Exkrementen weiß man, dass Bären „in der Erntezeit“ pro Tag 200.000 Beeren oder mehr fressen. Genügend Vorrat natürlich vorausgesetzt.

Tundra in der Nähe des Polarkreises
Tundra in der Nähe des Polarkreises
Erstaunlich große Fliegenpilze direkt am Polarkreis
Erstaunlich große Fliegenpilze direkt am Polarkreis
Beeren sind eine wichtige Nahrungsquelle für Bären, die 200.000 oder mehr davon pro Tag fressen.
Beeren sind eine wichtige Nahrungsquelle für Bären, die 200.000 oder mehr davon pro Tag fressen.

Wir lassen uns bei der Rückfahrt Zeit und legen noch eine Übernachtung auf dem Campground am Yukon River ein, anstatt gleich nach Fairbanks durchzufahren. Auf der letzten Etappe kommen uns dann ungewöhnlich viele Fahrzeuge entgegen. Alle paar Minuten müssen wir notgedrungen rechts heran fahren, um weitere Einschläge in der Windschutzscheibe zu vermeiden. Dies ist ziemlich nervtötend. Was war das doch in Südamerika schön! Da war man stundenlang alleine auf der Piste unterwegs und freute sich über jedes entgegenkommende Auto. Hier definitiv nicht.

Wir fahren erneut den teuersten Übernachtungsplatz unserer gesamten Reise an, den River´s Edge Campground. Denn dieser hat u.a. einen sehr komfortablen Autowaschplatz. Und den brauchen wir dringend. Das System muss zwar fortwährend mit Ein-Dollar-Scheinen gefüttert werden, funktioniert dafür aber auch hervorragend. Nach und nach wird Leoni wieder erkennbar. Und da wir gerade eine komplett fleischlose Woche hinter uns haben, leisten wir uns ein hervorragendes Abendessen im exklusiven Restaurant des River´s-Edge-Geländes. Filet Mignon bzw. Heilbutt.

Metamorphose. Leoni wird aus dem Schlamm-Kokon befreit …
Metamorphose. Leoni wird aus dem Schlamm-Kokon befreit …

Am nächsten Morgen geht es zur Toyota-Niederlassung von Fairbanks. Öl- und Filterwechsel sowie Abschmieren stehen an. Natürlich ist wie erwartet keiner der benötigten vier Filter verfügbar, aber die haben wir ja alle an Bord. Den Wechsel der beiden Dieselfilter kann man aus Kapazitätsgründen leider erst in zwei Tagen durchführen, und an die Demontage der hinteren Kardanwelle, um den sonst unzugänglichen Schmiernippel zu erreichen, traut man sich gar nicht erst heran. Dabei könnte ja etwas kaputt gehen, und Ersatzteile hätte man dann nicht. Eine wenig überzeugende Argumentation für einen Fachbetrieb. Also werden nur die übrigen Dinge erledigt, dies aber für erstaunlich geringe 105 $. Für die Restarbeiten fahren wir zunächst zum Diesel Doctor, der aber die kompletten nächsten drei Wochen ausgebucht ist. Bei Gabe´s erbarmt man sich schließlich unser und geht die noch anstehenden Arbeiten sofort an. Nach 1,5 Stunden ist es vollbracht, und wir legen wie gefordert 196 $ auf den Tisch, davon 180 $ plus Tax für Arbeitslohn. Etwas sehr viel, wie wir finden. Aber immerhin ist Leoni damit wieder für 10.000 km wartungsfrei. Vielleicht reicht das bis zu Hause. Wir fahren erst einmal am späten Nachmittag auf dem Parks Highway noch ein Stück nach Süden und übernachten auf halbem Weg zum Denali National Park in Nenana auf dem sehr netten Campingplatz.

… und erstrahlt am folgenden Tag auf dem Campingplatz in Nenana in alter Schönheit.
… und erstrahlt am folgenden Tag auf dem Campingplatz in Nenana in alter Schönheit.

Der Denali National Park gilt als die meistbesuchte Touristen-Attraktion Alaskas. Der Hauptgrund dafür ist der mit 6.190 m höchste Berg Nordamerikas, der Denali, vielen sicher noch unter seinem alten Namen Mt. McKinley bekannt. Wie erwartet sind alle Campgrounds im Park auf Tage hinaus ausgebucht, so dass wir knapp außerhalb des Parks im Rainbow RV Park einchecken (müssen). Für satte 45 $ pro Nacht, dicht an dicht mit anderen RVs und insgesamt in einem ziemlich fürchterlichen touristischen Umfeld. Aber was wollen wir machen?

Mit dem eigenen Fahrzeug darf man nur wenige Kilometer in den Park hineinfahren. Wer weiter will, muss eine Bustour buchen. Wir entscheiden uns, am nächsten Tag die 8-stündige Tour zum 66 Meilen entfernten Eielson Visitor Center zu nehmen und bekommen gerade noch zwei Tickets à 34 $ für den 7.30 Uhr-Bus. Alle späteren Termine bis kurz vor Mittag sind bereits ausgebucht. Bezüglich des Wetters machen wir uns einige Sorgen, denn die sehr detaillierte High-Tech-Anzeige im Wilderness Access Center sagt für den aktuellen und auch für den folgenden Tag sowie alle Zielpunkte im Park Regen voraus. Dabei ist das Wetter zurzeit gar nicht so schlecht. Die Sonne ist zwar nicht zu sehen, aber geregnet hat es den ganzen Tag noch nicht. Komisch.

Nach dem Ticketkauf fahren wir zum Savage River, dem Endpunkt der frei befahrbaren Strecke, und machen dort eine kleine Wanderung am Fluss entlang. Ein ganzes Stück flussabwärts entdecken wir ein einzelnes Dall Sheep oben im Berg, das erste Wildlife im sehr tierreichen Denali National Park. Bei der Busfahrt wird dann hoffentlich noch einiges hinzu kommen.

Eingangsschild zum Denali National Park
Eingangsschild zum Denali National Park
Landschaft im Denali National Park unweit vom Parkeingang
Landschaft im Denali National Park unweit vom Parkeingang

Unser Busfahrer, Ken aus Kentucky, ist geschätzte 75 Jahre alt und schon etwas tattrig. Seine Goldene Hochzeit hat er jedenfalls schon einige Zeit hinter sich, wie er stolz erzählt. Er weiß viel und ist ein guter Entertainer. Mit dem Wetter haben wir bei unserer Tour ausgesprochenes Glück. Die meiste Zeit scheint die Sonne, und nach und nach, je weiter wir kommen, wird sogar der Denali sichtbar. Dies ist durchaus nicht selbstverständlich, denn angeblich bekommen ca. 70 % der Besucher den Berg gar nicht zu sehen.

Alle 1 – 1,5 Stunden wird eine kurze Pause eingelegt, um sich die Beine zu vertreten oder die Toilette aufzusuchen. Und immer wieder halten wir für Wildlife an. Wir sehen mehrere Grizzlies, Dall Sheep, Karibus, einen davon direkt neben dem Bus, Ptarmigans und zum Abschluss einen riesigen Elch-Bullen. Ken meint bei der Rückfahrt, wir hätten ausgesprochenes Glück gehabt und die „Big Five“ gesehen: Grizzly, Elch, Karibu, Dall Sheep und Denali.

Grizzly am Ufer des Teklanika Rivers. Näher kommen wir im Park nicht an Grizzlies heran.
Grizzly am Ufer des Teklanika Rivers. Näher kommen wir im Park nicht an Grizzlies heran.
Ptarmigan. Das Schneehuhn ist der Wappenvogel Alaskas.
Ptarmigan. Das Schneehuhn ist der Wappenvogel Alaskas.
„Geweih-Anprobe“ bei einem Bus-Haltepunkt …
„Geweih-Anprobe“ bei einem Bus-Haltepunkt …
… diesem Karibu-Bullen, der direkt am Bus vorbeiläuft, steht das Geweih allerdings wesentlich besser. Links im Hintergrund der Denali
… diesem Karibu-Bullen, der direkt am Bus vorbeiläuft, steht das Geweih allerdings wesentlich besser. Links im Hintergrund der Denali

Einen Wermutstropfen bei der ansonsten ausgesprochen gelungenen Bustour gibt es aber auch. Ich kämpfe fast ununterbrochen mit den Fensterscheiben. Es werden immer noch die altertümlichen ehemaligen Schulbusse eingesetzt, die mich schon bei meinem ersten Besuch 1985 extrem geärgert haben. Vielleicht ist ja sogar der Bus derselbe. Bei jedem Rucker und jedem Schlagloch fällt der obere Teil meines Fensters ein Stück weiter herunter. Irgendwann bin ich es leid, das Fenster mit viel Mühe wieder hochzuschieben und belasse es in der unteren Position. Dadurch bekommen die weiter hinten sitzenden Passagiere immerhin mehr frische Luft.

Der Denali, mit 6.190 m höchster Berg Nord-Amerikas
Der Denali, mit 6.190 m höchster Berg Nord-Amerikas
Vor dem Denali am Eielson Visitor Center
Vor dem Denali am Eielson Visitor Center
Kapitaler Elch-Bulle
Kapitaler Elch-Bulle

Zurück im Wilderness Access Center checken wir noch einmal die Wettervorhersage auf der High-Tech-Anzeige und können es nicht glauben. Für alle Punkte im Park wird aktuell Regen angezeigt. Dabei war und ist den ganzen Tag herrliches Wetter. Prognosen sind schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen. Das wusste schon Niels Bohr. Aber hier stimmt erstaunlicherweise sogar die „Prognose“ für die Vergangenheit nicht.

Auf der gesamten Reise haben wir bisher kaum Elche gesehen. Außer dem kapitalen Bullen in Denali lediglich eine Elchkuh mit zwei Jungen am Alaska Highway und dann eine weitere Elchkuh am Dalton Highway. Bei unserer Weiterfahrt nach Anchorage sollte sich das ändern. Da sehen wir innerhalb einer halben Stunde insgesamt 5 Elche. Zuerst zwei Elche beim Fressen in einem See, und zwar eine Kuh sowie einen jungen Bullen mit nur kleinem Geweih, dann eine Elchkuh mit einem Kalb und etwas später eine weitere einzelne Elchkuh. Elche scheinen also tatsächlich in Alaska nicht ganz so selten zu sein.

Elchkuh mit Jungem
Elchkuh mit Jungem

In Anchorage halten wir uns nicht allzu lange auf. Die Stadt ist zumindest flächenmäßig riesig, hat immerhin 300.000 Einwohner und beherbergt damit etwa 40 % aller Alaskaner. Große Städte liegen uns nicht so. Wir übernachten einmal kurz vor und einmal kurz hinter der Stadt und beklagen das ausgesprochen schlechte Wetter mit heftigem Regen. Wir hoffen, dass es auf der Kenai Peninsula, unserem nächsten Zielgebiet, besser wird.

Wegweiser vor dem Visitor Center in Anchorage
Wegweiser vor dem Visitor Center in Anchorage
Plüschtiere in einem Gift Shop in Anchorage. Der Elch ist schon für 7.999 $ zu haben.
Plüschtiere in einem Gift Shop in Anchorage. Der Elch ist schon für 7.999 $ zu haben.

In Anchorage und später in Soldotna kommen wir erstmals mit dem in Alaska alles bestimmenden großen Thema Lachse-Angeln in Berührung. Sowohl am Ship Creek in Anchorage als auch am Kenai River in Soldotna beobachten wir längere Zeit die Angler, die dicht gedrängt nebeneinander stehend immer wieder ihre mit Haken versehenen Angelschnüre ins Wasser werfen. Wir sehen vier Mal, wie ein Lachs an Land gezogen wird. Dann haben wir restlos genug von diesem Schauspiel. Keiner der vier Lachse hat in den Haken gebissen. Alle vier haben den Haken seitlich im Leib. Denn unbeschadet buchstäblich durch einen Verhau von Haken gegen eine starke Strömung zu schwimmen, ist für Lachse ziemlich schwierig. Gemäß dem Reglement dürfen Lachse aber nur mit Haken im Maul gefangen werden, was übrigens durchaus auch kontrolliert wird. Die vier Lachse werden daher wieder ins Wasser zurückbefördert. Ob den schwer verletzten Tieren das Weiterleben allerdings Freude bereitet, bleibt eine offene Frage. Die Angler halten sich jedenfalls für ausgemachte Sportsleute. Der Begriff Sport Fishing beherrscht im Sommer in Alaska das Geschehen.

Hin und wieder scheint es immerhin zu gelingen, Lachse auch „normal“ zu fangen. In Soldotna zeigt uns eine Anglerin stolz ihren Tagesfang von 6 Lachsen drei verschiedener Arten. 6 Lachse sind zumindest in Soldotna das zulässige Tagesmaximum pro Person. Maximal 12 Lachse darf eine Person im Besitz haben.

Stolze Anglerin präsentiert ihren Tagesfang von 6 Lachsen in Soldotna am Kenai River.
Stolze Anglerin präsentiert ihren Tagesfang von 6 Lachsen in Soldotna am Kenai River.

Auf der Kenai Peninsula gibt es einige interessante Reste der russischen Vergangenheit zu bewundern, russisch-orthodoxe Kirchen und Friedhöfe und auch einige Dörfer, in denen die Menschen sehr traditionell leben und in denen russisch die erste Sprache ist. Wir besuchen zunächst in Kenai City die Kirche Holy Assumption of the Virgin Mary und in Ninilchik die Transfiguration of Our Lord Church, deren Friedhof uns besonders beeindruckt.

Eine ganz besondere Historie hat der Ort mit dem schönen Namen Nikolaevsk. In diesem erst 1967 gegründeten Dorf leben sogenannte russisch-orthodoxe Alt-Gläubige. Die Frauen tragen altmodische Gewänder, und die Männer dürfen sich auf Anweisung ihrer Kirche nicht rasieren, haben also allesamt lange Bärte. Besonders bewegend ist die Geschichte des Popen, der die außen wunderschön bemalte Kirche im Ort gebaut hat. Er wurde im Jahr 1936 in Sibirien geboren. Im gleichen Jahr musste die Familie vor den stalinistischen Säuberungen nach China fliehen. Als dort die Kommunisten unter Mao die Macht übernahmen, ging die Flucht weiter, zunächst für 5 Jahre nach Brasilien, dann nach Oregon und schließlich nach Alaska.

Kirche Holy Assumption of the Virgin Mary in Kenai City
Kirche Holy Assumption of the Virgin Mary in Kenai City
Transfiguration of Our Lord Church in Ninilchik
Transfiguration of Our Lord Church in Ninilchik
Kirche in Nikolaevsk
Kirche in Nikolaevsk

Die Kenai Peninsula südlich von Anchorage ist der Playground Alaskas, das Freizeitgebiet der Alaskaner. Die Hauptorte, auf die sich das touristische Geschehen konzentriert, sind Homer und Seward. Zunächst fahren wir nach Homer, um von dort aus eine Bear Viewing Tour zu machen. Wir wollen ein weiteres Mal Lachse fangende Grizzlies beobachten. Im Visitor Center empfiehlt man uns, nicht, wie von uns eigentlich angedacht, zu den weltberühmten Brooks Falls im Katmai National Park zu fliegen. Dort seien viel zu viele Touristen, und man könne die Bären nur von Holzstegen aus beobachten, die den eigenen Aktionsradius zu sehr einschränkten. Für das richtige Wildnis-Abenteuer sollten wir lieber woanders hin fliegen, wo wir ganz allein mit den Bären sind.

Wir beschließen, dem Rat zu folgen. Für den folgenden Tag ist jedoch bereits alles ausgebucht, so dass wir auf unseren Bear-Viewing-Flug einen weiteren Tag warten müssen. Den „Wartetag“ überbrücken wir u.a. mit Wanderungen am Strand des Homer Spits entlang, einer 7 km langen Landzunge, an deren Ende der Bootshafen von Homer sowie jede Menge touristische Einrichtungen liegen. Homer nennt sich selbst Halibut Fishing Capital of the World, und an der Fish Cleaning Station im Bootshafen wird am späten Nachmittag der aktuelle Heilbutt-Fang filetiert. Erstaunlich große Fische werden angelandet, daraus erstaunlich große Filets herausgeschnitten, und erstaunlich große Reste Fisch anschließend weggeworfen.

Großer geangelter Heilbutt in Homer
Großer geangelter Heilbutt in Homer
Heilbutt-Filetierung
Heilbutt-Filetierung

Der Hafen ist auch Lebensraum der Seeotter, die trotz ihrer enormen Größe äußerst putzig aussehen und wenig Scheu vor dem Menschen haben. Das war in der Vergangenheit oft ihr Verderben. Das Seeotter-Fell ist eins der dichtesten und wärmsten im gesamten Tierreich, und als zunächst russische und später britische und amerikanische Pelzhändler das erst einmal herausgefunden hatten, wurden die äußerst leicht zu „erntenden“ Seeotter bis an den Rand der Ausrottung bejagt. Es ist überliefert, dass die am Fellhandel beteiligten Seeleute kaum glauben konnten, dass ein einziges Seeotter-Fell in China mehr Geld einbrachte, als sie selbst in drei Jahren verdienten. Schon unter den Russen, aber vor allem dann viel später gegen Beginn des 20. Jahrhunderts eingeleitete Schutzmaßnahmen führten schließlich zu einer Erholung der Population. Doch die Ölkatastrophe der Exxon Valdez 1989 bedeutete eine weitere Zäsur. Sie kostete über 3.000 Seeotter das Leben.

Seeotter im Bootshafen von Homer
Seeotter im Bootshafen von Homer

Um Homer herum wimmelt es auch geradezu von Weißkopfseeadlern, den amerikanischen Wappenvögeln. Wir sehen sie, wenn sie über uns hinweg fliegen oder vor uns am Ufer landen. Besonders interessant ist ein Adlernest in einem Baum gegenüber der Post, also in bebautem Gebiet, mit drei fast erwachsenen Jungvögeln, die sich in Nestnähe flügelschlagend auf das Ausfliegen vorbereiten. Drei schon fast flügge Weißkopfseeadler in einem einzigen Nest sind ziemlich ungewöhnlich. Das Elternpaar muss über hervorragende Jagdkünste verfügen und in den vergangenen Wochen viel Einsatz bei der Futterbeschaffung gezeigt haben.

Zunächst sind wir etwas verwundert, dass unser Abflug zur Bear Viewing Tour erst um 17 Uhr stattfinden soll. Weiterhin erstaunt uns, dass wir nicht wie erwartet zum Katmai National Park, sondern zur Chinitna Bay im Lake Clark National Park fliegen, die genau gegenüber von Homer auf der anderen Seite des Cook Inlets liegt. Begründet wird dies u.a. mit dem Wetter, vor allem der Windsituation, sowie der Anzahl von beobachtbaren Grizzlies. Nach einer halben Stunde Flug und der Landung auf einem Kiesstreifen direkt am Meeresufer verstehen wir dann auch den späten Flugtermin. Zwei oder drei Stunden vorher existierte nämlich unsere Landebahn noch gar nicht. Da lag sie wegen des beträchtlichen Tidenhubs im Cook Inlet noch unter Wasser.

Nach der Landung auf dem Strand der Chinitna Bay im Lake Clark National Park
Nach der Landung auf dem Strand der Chinitna Bay im Lake Clark National Park

Außer uns sind noch ein Guide und fünf weitere Passagiere mit von der Partie. Ein Schweizer Paar, etwas jünger als wir, das auch mit einem Camper unterwegs ist, sowie drei ältere amerikanische Herrschaften, ein Mann, den wir auf mindestens 75 Jahre schätzen und zwei ihn begleitende Frauen, möglicherweise Schwestern, die ältere offenbar seine Frau.

Zu Beginn laufen wir etwa einen Kilometer am Ufer entlang und sehen bald mehrere Grizzlies vor uns im flachen Wasser des Strandbereichs, allerdings noch ziemlich weit entfernt. Um dorthin zu gelangen, müssen wir zunächst einen Fluss durchqueren. Alle Beteiligten haben vor dem Flug hüfthohe Gummistiefel angepasst bekommen, so dass dies keine Schwierigkeit sein sollte. Die drei alten Amis bekommen allerdings schon dieses erste kleine Hindernis kaum und nur unter massiver Mithilfe aller anderen geschafft. Nachdem wir nach dem Fluss auch noch ein umfangreiches und auch durchaus unangenehmes Schlick- und Matschfeld durchquert haben und wieder auf festem Boden stehen, ist zumindest der alte Mann so erschöpft, dass er von zurückbleiben und später abgeholt werden redet, was in dieser Bärengegend natürlich überhaupt nicht funktioniert. Wir sehen unser Ziel, nah an Lachse fangende Grizzlies heranzukommen, durch unsere Mitreisenden inzwischen als extrem gefährdet an. Warum gehen diese Leute nicht – ihren Fähigkeiten angepasst –  in den Zoo ihrer Heimatstadt, wenn sie Bären sehen wollen?

Flussdurchquerung auf dem Weg zu den Grizzlies
Flussdurchquerung auf dem Weg zu den Grizzlies

Statt auf die große Grizzly-Ansammlung in der Ferne zuzulaufen, konzentrieren wir uns mit Rücksicht auf die alten Herrschaften auf einen einzelnen Bären, der ganz in der Nähe im flachen Wasser versucht, einen der vielen vorhandenen Lachse zu fangen, die allesamt vorhaben, in die Flussmündung hinein zu schwimmen, um zu ihren Laichgründen zu gelangen. Nach einiger Zeit ist er erfolgreich und vertilgt seine fette Beute an Ort und Stelle, umlagert von Möwen, die ebenfalls Anteil an dem Festschmaus haben wollen.

Erfolgreicher Lachsfänger
Erfolgreicher Lachsfänger

Während wir den Bären im Wasser vor uns beobachten, dreht Hildegard sich kurz um und entdeckt hinter uns einen weiteren Grizzly, der genau auf uns zu marschiert. Wir werden von unserem Guide angewiesen, eng nebeneinander und quasi „unterwürfig“ niederzuknien, damit der Bär erkennt, dass von uns keine Aggression zu erwarten ist. Er hat ohnehin nur die massenhaft vorkommenden Lachse im Sinn und ist an uns Menschen nicht weiter interessiert. Tatsächlich läuft der Grizzly unbeirrt und ohne uns groß zu beachten ziemlich genau 15 m an uns vorbei und weiter ins Meer. Durch meine knieende Position bin ich während seines Vorbeimarsches mit ihm praktisch auf Augenhöhe. Ich schieße ein Foto nach dem anderen und messe anschließend anhand seiner Spur im Sand seine Entfernung zu uns nach.

Grizzly, der urplötzlich hinter uns auftaucht …
Grizzly, der urplötzlich hinter uns auftaucht …
… und nur 15 m entfernt an uns vorbei marschiert
… und nur 15 m entfernt an uns vorbei marschiert

Somit sind jetzt zwei Bären unmittelbar vor uns im Wasser. Und auch der zweite Grizzly ist nach ein paar Fehlversuchen bei der Lachsjagd erfolgreich. Wir beobachten die Beiden eine ganze Zeit lang. Dann würden wir gerne zu den anderen Bären weitergehen, die ein paar hundert Meter weiter im seichten Wasser jagen. Doch der Guide denkt offenbar an die drei Alten, beschließt umzukehren und auf einem anderen Weg durch den Schlick des immer weiter zurückweichenden Meeres zum Flugzeug zurückzulaufen. Er hält diesen Weg für einfacher als den Hinweg, was sich als gravierender Irrtum herausstellt. Denn was jetzt kommt, ist geradezu grotesk. Der Schlick wird immer tiefgründiger. Sobald man stehen bleibt, sinkt man unweigerlich immer weiter ein und kommt kaum wieder heraus. Man sollte sich also zügig weiterbewegen. Das geht aber nicht, denn unsere drei Klötze am Bein schaffen es kaum noch, ohne Hilfe aufrecht zu stehen, geschweige denn sich fortzubewegen. Sie bekommen kaum noch einen selbständigen Schritt hin. Ständig müssen der Guide, die beiden Schweizer sowie Hildegard und ich die Drei aus dem Schlamm herausziehen und weiterschleppen. Wir tragen sie buchstäblich über das ausgedehnte Schlammfeld. Ich diskutiere später mit den beiden Schweizern, was der Guide wohl gemacht hätte, wenn er allein mit dieser Truppe unterwegs gewesen wäre. Er hätte die Drei niemals alleine wieder aus dem Schlamm herausgebracht. Man darf dabei nicht vergessen, dass nach ein paar Stunden wieder die Flut mit ihrem enormen Tidenhub kommt.

Zu allem Überfluss hat es während des für alle sehr kräftezehrenden Rückwegs auch noch heftig zu regnen begonnen. Der ganze Ablauf ist ein absolut unglaubliches Spektakel.

Im Schlick gefangen
Im Schlick gefangen

Wir erreichen schließlich wieder festen Boden und glauben, dass wir an diesem Tag keine Grizzlies mehr aus der Nähe zu sehen bekommen werden. Doch diese Annahme stellt sich zum Glück als falsch heraus. Eine Bärenmutter mit drei nach Aussage des Guides einjährigen Jungen, die weit draußen im flachen Meer auf Lachsfang ist, beschließt, zum Ufer zurückzukehren und dabei relativ dicht an uns vorbeizulaufen. Erneut knien wir nieder und genießen das sich uns bietende tolle Bild. Die vier Grizzlies laufen im Gänsemarsch Richtung Ufer. Es regnet, alles ist grau in grau, und die jetzt entstehenden Fotos wirken fast wie Schwarz-Weiß-Aufnahmen oder Scherenschnitte. Aber das Ganze ist toll.

Kurz darauf zählen wir die uns in fast allen Richtungen umgebenden gerade sichtbaren Grizzlies und kommen auf immerhin 14 Exemplare. Allerdings sind alle relativ weit entfernt. Immer wieder drehe ich mich um, um unliebsame Überraschungen von hinten zu vermeiden, und tatsächlich taucht plötzlich schräg hinter uns und nicht weit entfernt eine Grizzly-Mutter mit zwei Jungtieren auf einer kleinen, parallel zum Strand verlaufenden Anhöhe auf. Kontakte mit Bären, auch aus der Nähe, haben wir damit eigentlich ausreichend  gehabt. Dies ist dann letztlich doch noch ein versöhnlicher Abschluss einer mit 650 $ p.P. nicht ganz billigen Bear Viewing Tour, die ohne unsere drei Mit-Passagiere sicher ganz anders, aber nicht unbedingt interessanter verlaufen wäre.

Bären-Mutter mit ihren drei einjährigen Jungen kommt von der Lachsjagd zurück
Bären-Mutter mit ihren drei einjährigen Jungen kommt von der Lachsjagd zurück
Andere Bären-Mutter mit zwei Jungen am Strand
Andere Bären-Mutter mit zwei Jungen am Strand

Auf dem Weg von Homer nach Seward übernachten wir am malerischen Hidden Lake auf einem sehr schönen Campground und sehen uns am nächsten Tag den Exit Glacier an, der schon zum Kenai Fjords National Park gehört. Wir laufen zur Gletscherzunge hoch und erfahren durch entsprechende Markierungen, dass auch der Exit-Gletscher extrem auf dem Rückzug ist.

Der städtische Waterpark Campground in Seward zieht sich unmittelbar neben dem Ortskern geschätzte 1,5 km am Ufer des Fjords entlang, hat also riesige Ausmaße und ist gerammelt voll mit RVs und Campern aller Art. Es ist ein geradezu unbeschreiblicher Anblick. Ich glaube, einen so ausgedehnten und dabei gut gefüllten Campingplatz habe ich noch nie gesehen. Dabei kenne ich diesen Platz von früher her noch ganz anders. 1985 war hier eine Wiese, auf der außer uns noch zwei oder drei weitere Zelte standen. Mehr nicht. Aber die Zeiten ändern sich bekanntlich.

Wie Homer hat auch Seward einen großen Bootshafen, und auch hier wird fleißig vom Boot oder von Land aus geangelt. Die Putzstationen für die gefangenen Fische sehen ebenfalls ganz ähnlich aus. Da in Seward aber zurzeit gerade das jährliche Silver Salmon Derby läuft, sind es neben Heilbutt vor allem Lachse (Silver Salmons), die angelandet werden.

Im Hafen von Seward. Der Fang des Tages wird präsentiert.
Im Hafen von Seward. Der Fang des Tages wird präsentiert.

Eine sehr besuchenswerte Attraktion von Seward ist das Alaska Sea Life Center. Es erinnert uns sehr an das Monterey Bay Aquarium in Kalifornien, auch wenn es wohl doch eine ganze Nummer kleiner ist. Die zum größten Teil lebenden Exponate sowie die vielfältigen Erklärungstafeln beschäftigen sich ausschließlich mit dem Thema der kalten Gewässer um Alaska und sind sehr beeindruckend. Jede Menge Aquarien mit Fischen, Oktopussen, Krebsen, Quallen und weiteren Meeresbewohnern gestatten Einblicke, die man sonst kaum irgendwo bekommt. Auch Umweltprobleme werden sehr anschaulich behandelt, von der Ölkatastrophe der Exxon Valdez bis zum Problem des Plastikmülls, der die Meere weltweit immer stärker belastet. Vor allem für Kinder gibt es eine Art „Streichelzoo“, bei dem Seesterne, Seegurken, Shrimps und ähnliches Getier in flachen, offenen Behältern angefasst werden können. In einem großen Freigehege tummeln sich Papageientaucher, Lummen und Enten aller Art. Der Teich, der einen großen Teil des Geheges ausmacht, dient gleichzeitig als riesiges Aquarium für verschiedenste Meeresfische. Ein Stockwerk tiefer können die Besucher zum Einen die Fische und zum anderen auch die Lummen betrachten, die immer wieder zu Tauchgängen in die Tiefen ihres Teiches bzw. des Aquariums starten.

Ein kleiner Junge im Alaska Sea Life Center ist fasziniert von einem Harbor Seal.
Ein kleiner Junge im Alaska Sea Life Center ist fasziniert von einem Harbor Seal.

Seward ist das Tor zum Kenai Fjords National Park, der mit Ausnahme des schon erwähnten leicht zugänglichen Exit Glaciers praktisch nur im Rahmen einer organisierten Bootstour zu erreichen ist. Für einen sechsstündigen Ausflug incl. Mittagessen an Bord haben wir satte 377,22 $ auf den Tisch gelegt und hoffen inständig, dass das bisher so unbeständige Wetter uns ausnahmsweise einmal wohl gesonnen ist. Denn eine teure Bootstour bei Regen und Sturm ist nicht das, was wir uns vorstellen. Und tatsächlich: Das Wunder geschieht. Unsere Tour am folgenden Tag findet bei phantastischem Wetter statt. Es ist der einzige wirklich schöne Tag der Woche.

Unser Schiff für die Tour in den Kenai Fjords National Park, der Katamaran Spirit of Adventure
Unser Schiff für die Tour in den Kenai Fjords National Park, der Katamaran Spirit of Adventure

Den ersten Stopp macht unser Schiff, der Katamaran Spirit of Adventure, noch im Hafenbereich, wo sich ein Weißkopfseeadler auf einem Geländer niedergelassen hat. Der Kapitän dreht eine Runde um den majestätischen Vogel, damit seine Passagiere diesen von allen Seiten fotografieren können. Dann geht es hinaus in das Inselgewirr vor Seward. Zwei verschiedene Arten Papageientaucher schwirren durch die Luft, sitzen in den Felsen oder dümpeln im Wasser. Sie dominieren für uns überraschenderweise die Vogelwelt. Lummen, Enten, Seeschwalben und Möwen sehen wir deutlich seltener. Ein flacher Felsen im Wasser ist von den sehr seltenen und vom Aussterben bedrohten Steller´s Sea Lions bevölkert, und zwei Mountain Goats klettern weit oben über uns im Fels. Unser Kapitän fährt mehrfach sehr nah an die steilen Felswände heran, damit wir alles gut beobachten können. Immer wieder sehen wir Seeotter, einmal sogar vier Stück gleichzeitig. Als wir nach einiger Zeit weiter ins Meer hinausfahren, wird wie erhofft auch ein erster Buckelwal gesichtet. Im Laufe des Tages kommen noch zwei weitere dazu. Für ein gutes Foto reicht es leider in keinem der drei Fälle.

Weißkopfseeadler
Weißkopfseeadler
Papageientaucher
Papageientaucher
Steller´s Sea Lions
Steller´s Sea Lions

Das Highlight der Tour ist aber für die meisten Passagiere der Holgate Glacier, an den wir ganz nah heranfahren. Dies ist ein Gezeitengletscher, also ein Gletscher, der unmittelbar im Meer endet. Seit unserer Antarktis-Tour vor anderthalb Jahren haben wir keinen mehr gesehen. Er kommt wie der Exit Glacier vom Harding Icefield herunter, und seine Gletscherwand bietet eine durchaus imposante Kulisse. Im Prinzip endet hier unsere Tour, denn vom Holgate Glacier geht unsere Fahrt dann zügig zurück.

Auf dem Weg zum Holgate Glacier
Auf dem Weg zum Holgate Glacier
Der Holgate Glacier
Der Holgate Glacier

Am nächsten Morgen regnet es vom Himmel hoch, und uns wird noch einmal sehr bewusst, welches Glück wir am Vortag mit dem Wetter gehabt haben. Wir verlassen Seward und machen uns auf den Weg nach Whittier, von wo aus wir die Fähre des Alaska Marine Highways nach Valdez nehmen wollen. Unterwegs entdecken wir zwei Elch-Kälber in der Nähe der Straße, die erstaunlicherweise ohne ihre Mutter unterwegs sind und sehr verstört wirken. Wahrscheinlich ist die Mutter umgekommen, durch einen Autounfall, durch einen Grizzly oder durch einen Jäger. Das sind wohl die wahrscheinlichsten Varianten.

Zwei verstörte Elch-Kälber, die offenbar ihre Mutter verloren haben
Zwei verstörte Elch-Kälber, die offenbar ihre Mutter verloren haben

Um nach Whittier zu kommen, muss man einen mehrere Kilometer langen mautpflichtigen Tunnel passieren (13 $). Und dies ist ein ganz besonderer Tunnel, der ursprünglich nur für den hier eingleisigen Eisenbahnverkehr gebaut wurde. Mittlerweile wird aber auch der Straßenverkehr durch den Tunnel geleitet. Im halbstündigen Wechsel dürfen Fahrzeuge mal in der einen und mal in der anderen Richtung den Tunnel passieren.

Im Eisenbahntunnel nach Whittier
Im Eisenbahntunnel nach Whittier

Im Ferry Terminal von Whittier teilt man uns mit, dass die Fähre nach Valdez für den Folgetag bereits ausgebucht ist. Die nächste Fähre geht erst zwei Tage später. Es gibt jedoch die vage Möglichkeit, über Waitlist doch noch mitgenommen zu werden. Dazu sollen wir am nächsten Morgen um 9.30 Uhr wiederkommen. Wir sind pünktlich da, aber es hat die ganze Nacht in Strömen geregnet und regnet immer noch, und wir stellen uns die Frage, ob wir wirklich mehrere hundert Dollar ausgeben wollen, um dann vom Prince William Sound mit seiner spektakulären Gletscherwelt doch nichts zu sehen und schließlich in Valdez beim gleichen schlechten Wetter anzukommen.

Wir beraten kurz und beschließen, auf die Fährfahrt und auf Valdez zu verzichten, durch den Tunnel zurückzufahren und über Anchorage das uns schon bekannte Tok am Alaska Highway anzustreben. Dies sind jedoch immerhin fast 600 zurückzulegende Kilometer. Die ersten zwei Stunden nach der Abfahrt von Whittier fahren wir noch durch strömenden Regen, doch der hört dann irgendwann auf, und als wir vom Glenn Highway auf den Richardson Highway und kurz darauf auf den Tok Cutoff einbiegen, kommt so langsam die Sonne heraus. Es wird noch ein wunderschöner Nachmittag, was am Morgen in Whittier noch weitab von jeder Vorstellung lag.

Die Landschaft, durch die wir fahren, ist zum Teil atemberaubend schön. Zuerst die Chugach Mountains mit dem Matanuska Glacier südlich des Glenn Highways und später die Wrangell Mountains und der Wrangell-Saint Elias National Park östlich von Richardson Highway und Tok Cutoff. Besiedelt ist an der ganzen Strecke im Wesentlichen immer nur das Gelände unmittelbar an den Straßen, und auch dies nicht kontinuierlich, sondern nur sehr punktuell. Dahinter breiten sich weite unberührte Ebenen mit dichtem Nadelwald und vielen Seen aus, die nach und nach in die Berge übergehen. Alaska ist nur dünn besiedelt und für uns geradezu unvorstellbar groß.

Die Chugach Mountains vom Glenn Highway aus gesehen
Die Chugach Mountains vom Glenn Highway aus gesehen
Blick auf den Wrangell-St. Elias National Park mit den Wrangell Mountains im Hintergrund, vom Tok Cutoff aus gesehen
Blick auf den Wrangell-St. Elias National Park mit den Wrangell Mountains im Hintergrund, vom Tok Cutoff aus gesehen

Nach einem langen Fahrtag kommen wir am frühen Abend in Tok an. Allerdings hat Leoni unterwegs eine weitere Blessur abbekommen. Kurz vor Tok bescherte ihr ein entgegen kommender Lastwagen ein weiteres, und zwar ziemlich großes Loch in der Windschutzscheibe. Wir übernachten auf dem Campingplatz der Tok River State Recreation Site nur wenige Kilometer vom Ort Tok entfernt. Seit dem Denali National Park haben wir nicht mehr auf privaten, sondern nur noch auf den wesentlich kostengünstigeren öffentlichen Campingplätzen der Kommunen, State Parks oder Recreation Areas übernachtet und jeweils überschaubare 10 $ bis 20 $ bezahlt.

An unserem letzten Tag in Alaska fahren wir über den Taylor Highway zügig Richtung Dawson City, der früheren Hauptstadt des Yukon. Die Straße, zuerst Teer, später Piste, führt durch eine sehr hügelige, völlig unbewohnte Landschaft und steigt langsam, aber stetig bis auf über 1.000 m an. Je höher wir kommen, desto stärker ist das Laub der Bäume bereits verfärbt. Es wird unübersehbar Herbst.

Herbstliche Farben am Taylor Highway
Herbstliche Farben am Taylor Highway

Vor der Grenze gibt es einen einzigen kleinen Ort, in dessen Umgebung immer noch intensiv nach Gold geschürft wird. Der Ort heißt Chicken und hat laut „Milepost“ im Sommer 23 und im Winter 7 Einwohner. Zu Beginn des Goldrauschs in dieser Gegend vor gut hundert Jahren wollten die Goldsucher ihr Camp eigentlich Ptarmigan nennen. Doch da keiner wusste, wie das geschrieben wird, einigte man sich schließlich auf Chicken. Wir machen hier kurz Halt und sehen uns die noch relativ gut erhaltene alte Gold-Dredge an. Dies ist ein Schwimm-Bagger, der sich selbst seinen Weg durch die Gegend gräbt, das ausgebaggerte Material nach Gold durchsucht und den Abraum hinter sich deponiert. Er schwimmt praktisch in einem wandernden See.

Der Goldgräber-Ort Chicken
Der Goldgräber-Ort Chicken
Alte Gold-Dredge
Alte Gold-Dredge

Von Chicken sind es dann nur noch ca. 60 Pisten-Kilometer bis zur kanadischen Grenze.

Einsamer Grenzposten am Top of the World Highway
Einsamer Grenzposten am Top of the World Highway

4 Comments

  1. Nobis said:

    … wieder ein spannender Bericht von einer ungemein interessanten Reise, garniert mit tollen Fotos.
    Noch viel Spaß und schöne Erlebnisse auf der „Heimreise“!! Hoffentlich hält die Windschutzscheibe durch!
    Sabine und Andreas Nobis

    29. August 2016
    Reply
  2. Jens said:

    …die letzte Zieländerung. Nach „Feuerland“ und „Alaska“ heißt es ab jetzt „Heimat“. Weiter eine gute gesunde und unfallfreie Fahrt.
    Liebe Grüße Jens

    30. August 2016
    Reply
  3. Bernd said:

    Hallo Leoni-Crew,
    hiermit teile ich Euch mit, dass ich getreu dem Motto: Es ist einfacher um Verzeihung zu bitten, als um Erlaubnis zu fragen, auf der neuen Homepage der Stuttgarter Globetrotter http://stuttgarter-globetrotter.jimdo.com/ Euren Reiseblog „Hildegard und Franz opp joeck“ unter den Links eingepflegt habe. Ich gehe davon aus, Ihr habt nichts dagegen? Falls doch, bitte gebt mir kurz Nachricht. In diesem Fall werde ich Eure Romane aber nie, nie, nie mehr lesen.
    Gruß und weiterhin gute Reise.
    Bernd

    11. September 2016
    Reply
    • Franz Thoren said:

      Hallo Bernd,
      das mit dem Link auf der Website der Stuttgarter Globetrotter ist ok.
      Aber Eines hast Du offenbar bisher missverstanden: Du brauchst unseren Reise-Blog nicht zu lesen. Wirklich nicht. Ich denke, niemand erwartet das von Dir. Ich jedenfalls nicht.
      Viele Grüße Franz

      13. September 2016
      Reply

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